18. Auf einen Bären[8] 1

Der Todte redet.


Mich, dem der rauhe Nord die erste Luft gegeben,

Hieß meiner Fürstinn Wink in Leipzigs Gärten leben.

Die Kette ward mir schwer, ich brach sie voller Wuth,

Doch ich erkaufte mir die Freyheit durch mein Blut.

Noch klaget Doris mich; die fast zerstäubten Knochen

Bewegten sich, als sie das holde Wort gesprochen:

»Mich dau'rt das arme Thier! O sollt er lebend seyn,

Wie würd' er uns nicht jetzt voll Artigkeit erfreun!«

Wie selten ist mein Glück! man hört sie solche Klagen

Um keinen Schooßhund nicht, um keinen Dichter sagen.

O Dichter, die ihr stets in Sklavenfesseln sterbt,

Und doch durch euren Tod kein nasses Aug' erwerbt,

Laßt mich von dieser Welt nicht unbesungen scheiden,

Laßt einen Schäfer doch des Bären Tod beneiden.

Fußnoten

1 Er war von einer fürstlichen Person in einen Garten bey Leipzig geschenkt worden, hatte sich aber nach einiger zeitlangen Gefangenschaft losgerissen, und so viel Unordnung angerichtet, daß man ihn erschießen mußte. Er war sonst im Klettern und allen andern Dingen, die einen Bären artig machen können, sehr artig.


Quelle:
Abraham Gotthelf Kästner: Gesammelte poetische und prosaische schönwissenschaftliche Werke, Theil 1 und 2, Teil 1, Berlin 1841, S. 8-9.
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