[206] (Den 20ten des Herbstmonaths 1761.)
O Freund! was hilft, der Hoheit und des Geldes
Besitzer seyn, in dieser Welt,
Dem Sterblichen, der wie das Gras des Feldes
Hervorkömmt, wächset, welkt und niederfällt?
Im Ueberfluß und im Geräusch der Ehre
Bey Saitenspiel und Tänzen seyn,
Reizt nicht das Auge; nichts nimmt das Gehöre
Und den sonst nimmer satten Busen ein,
So bald von dem zerbrechlichen Gebäude
Ein Theil mit Schmerzen wird durchnagt.
Der kranke Mensch ists, der zur lauten Freude
Zum Scherz und Lachen: du bist Thorheit! sagt.
[207]
Der Reiche wühlt in seines Goldes Haufen:
Sein Abgott haucht nicht Leben ein.
Gesundheit oder Jahre noch zu kaufen
Dazu sind beyde Welten viel zu klein.
Das kranke Mädchen fodert auf ihr Lager
Den Spiegel, zittert und erschrickt
Wenn sie auf ihrer Wange, blaß und mager
Des Todes drohende Gestalt erblickt!
Den Jüngling wirft, trotz der belebten Glieder,
Trotz seines Muths im Angesicht,
Mit Riesen-Arm ein Fieber schnell danieder.
Witz, Jugend, Stärke, alles half ihm nicht!
Der Weitbezwinger! (Nationen krochen
Im Staub und horchten sein Geboth –)
Krank liegt er machtlos. O! sein Blick gebrochen
Befiehlt nicht mehr. Im Auge sitzt der Tod.
[208]
Der Weise, der vom Himmel, bis zur Erde
Vom Cederbaum zum kleinsten Kraut
Erkenntniß hat, fragt unter der Beschwerde
Nicht, ob der Ruhm ihm Ehren-Säulen baut?
Der, dem sein Schiff auf ungebahntem Meere
Viel Lasten Reichthums zugebracht,
Nimmt, wenn sein Eigenthum ganz China wäre
Nichts mit als nur die weisse Todten-Pracht.
Nichts folgt dem Grossen, der in vollem Glanze
Beneidet von dem Pöbel saß.
Dem Herrn des Gartens folgt kaum eine Pflanze,
Die irgend einer, der ihn nicht vergaß
Mit Thränen feuchtet, aus der Erde reisset.
Sie auf des Freundes Grab versetzt,
Und ewig ihre Blätter grünen heisset
Auf einem Staube, den er heilig schätzt!
[209]
O! fand mein Sulzer in des Gartens Raume
Nicht der Cypressen junge Zucht?
Wird sie auf jenem Grabe nicht zum Baume
Den oft ein Sohn, die Gräber denkend sucht?
Hinüber durch die hohe Sternen-Pforte
Der Ewigkeit, gieng er im Schlaf
Dem Vater, den mit seinem Vollmachts-Worte
Der Tod nicht ohne Zubereitung traf.
Du jung, beglückt und deinen Freunden wichtig
Sagst zu den Gütern dieser Welt:
Seyd mein Gebrauch; Ihr alle werdet nichtig
So bald des Lebens Vorhang niederfällt.
Buchempfehlung
Der junge Chevalier des Grieux schlägt die vom Vater eingefädelte Karriere als Malteserritter aus und flüchtet mit Manon Lescaut, deren Eltern sie in ein Kloster verbannt hatten, kurzerhand nach Paris. Das junge Paar lebt von Luft und Liebe bis Manon Gefallen an einem anderen findet. Grieux kehrt reumütig in die Obhut seiner Eltern zurück und nimmt das Studium der Theologie auf. Bis er Manon wiedertrifft, ihr verzeiht, und erneut mit ihr durchbrennt. Geldsorgen und Manons Lebenswandel lassen Grieux zum Falschspieler werden, er wird verhaftet, Manon wieder untreu. Schließlich landen beide in Amerika und bauen sich ein neues Leben auf. Bis Manon... »Liebe! Liebe! wirst du es denn nie lernen, mit der Vernunft zusammenzugehen?« schüttelt der Polizist den Kopf, als er Grieux festnimmt und beschreibt damit das zentrale Motiv des berühmten Romans von Antoine François Prévost d'Exiles.
142 Seiten, 8.80 Euro
Buchempfehlung
Zwischen 1804 und 1815 ist Heidelberg das intellektuelle Zentrum einer Bewegung, die sich von dort aus in der Welt verbreitet. Individuelles Erleben von Idylle und Harmonie, die Innerlichkeit der Seele sind die zentralen Themen der Hochromantik als Gegenbewegung zur von der Antike inspirierten Klassik und der vernunftgetriebenen Aufklärung. Acht der ganz großen Erzählungen der Hochromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe zusammengestellt.
390 Seiten, 19.80 Euro