An Palemon

[297] (Den 2ten April 1762.)


Freund! staune mich nicht an. Ich komm im schönsten Putz,

Bin wie der Frühling grün, und bunt wie Blumenstücke;

Dem wolckigten April, der Kälte biet ich Trutz;

Mich wärmen andre Sonnenblicke.

Der Freund, der oft mein Tag, wenn ich ihn dachte, war,

Zählt heute sechsmal sieben Jahr.

Ihm wird kein Liebes-Gott Wein in den Becher giessen.

Du weißt, wie grimmig seine Hand

Den Pfeil aus seiner Brust gerissen,

Und hingeworfen Hymens Band.

Ach! er zerbrach des kleinen Amors Leyer,

Und heiß von einem Heldenfeuer,

Sang er von Krieg und Vaterland.[298]

Auf goldnem Saytenspiel, das ihm Apollo brachte,

Da Friedrich Frankreich schlug, und Wien erzittern machte.

Itzt braucht ers nicht. Doch beym Apoll

Beschwör ich ihn, daß er es dann gebrauchen soll,

Wann Mars und Pallas trinken werden,

Was Ganimedes giebt, von Heben eingeschenkt,

Wann Venus weiter macht ihr grosses Reich auf Erden;

Und Friedrich keine Schlacht mehr denkt.

O dann soll Gleim, von Freuden stark getrieben

Laut singen: daß der Held groß wie ein Gott geblieben.

Quelle:
Anna Louisa Karsch: Auserlesene Gedichte, Berlin 1764, S. 297-299.
Lizenz:
Kategorien: