An den Dohmdechant Freyherrn von Spiegel, zum Diesenberg, als er gesagt hatte, daß er schlaflose Nächte hätte, und bey Lichte nicht gut lesen könnte

[277] 1761.


Dich flieht der Schlaf? dich sieht die Lampe wachen?

Du nimmst ein Buch, um dir die Nächte kurz zu machen?

Das Auge fodert Sonnenschein?

Dein Blick ist, wie die Nächte, trübe?

Ein Mädchen sollte da dir vorzulesen seyn,

Ein Mädchen, schön wie Lenz und Liebe!

Und an Geschmack wie Dichter fein!

Doch wachend fällt dir nur die Lust zu jagen ein,

Du wünschest dir im Wald dem Hirschmann nachzusetzen,

Den Hauer im Morast zu hetzen,[278]

Ihn fällen, und dann zappeln sehn,

Wie Russen, die gestürzt in schwarzem Blute röcheln,

Und krümmend sich im Staube drehn!

Sie fallen brüllend hin; die Preussen aber lächeln

Des Heldentodes, sterben so,

Als ein gerechter Mann, verarmt, auf wenig Stroh

Im Schlafe lächeln liegt; Ihn träumt von Gottes Knechten,

Von Engeln, die ihm Brodt auch in der Wüste brächten.

So schlief ich ehedem sanft und geruhig ein,

Vier Kinder um mich her und neben mir ein Gatte,

Der keinen Gram um Brodt, und keine Pflichten hatte,

Als, über mich ein Herr zu seyn!

Die Sorgen blieben alle mein;

Mein süsser Trost der Schlaf, und Träume wie Propheten

Verminderten den Druck von täglich neuen Nöthen;[279]

Je grösser Kummer nun mit mir zu Bette ging,

Je lieblicher daß mich der sanfte Schlaf umfing!

Wie glücklich war ich da! ich fühlte halb mein Leiden!

Der Tag war schwer für mich! die beßre milde Nacht

Verliehe dieser Seele Freuden,

Die noch im Schlafe denkt und wacht.

Ich lag wie unterm Schutz von einer Gottheit Händen,

Nicht aufgeweckt, bis sich die Schatten von uns wenden,

Bis mir die Sonne schien, da sah ich ihren Gruß

Wie Gottes Augen an, die auf mich niederblickten.

Ich bat ihn nie um Ueberfluß;

Nicht ungeduldig bat ich, Sorgen die mich drückten

Von mir zu nehmen, nein, ich blieb

Gelassen, bis er meinen Kummer,

Wie einen Nebel von mir trieb.

Dir wünsch ich jenen sanften Schlummer,[280]

Der mir im Elend Wohlthat war;

So wirst du nie das Buch erwählen,

Um Mitternacht wird dir nie deine Ruhe fehlen,

Zur Sommernacht wird dir die längste Nacht im Jahr.

Quelle:
Anna Louisa Karsch: Auserlesene Gedichte, Berlin 1764, S. 277-281.
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