Der Pächter und der arme Schäfer

[199] Eine Dosenmalerei-Geschichte.


Dem reichen Pächter Schinkenrund

Gefiel im nächsten Dorfe

Des schönsten Mädchens Rosenmund,

Sein Herz hatt' gleich dem Torfe

Geglommen, als er sie gesehn,

Es war in Brand gerathen

Und wollte nicht um Rettung flehn,

Denn Dorchens Blicke thaten

Ihm immer tapfern Widerstand.

Er konnte nichts gewinnen

Bei ihrem Lächeln, denn er fand

Der Tugend Sprache drinnen.[199]

Einst saß er in dem Traubenmond

Vor seiner Thür und zechte –

Er war des Zechens sehr gewohnt;

Ein Pächter trinkt mit Rechte

Den jungen Most, den alten Wein

Aus einer großen Kanne,

Die Gläser sind ihm viel zu klein,

Die sind dem Bürgersmanne

Nur angemessen, nur gesund,

Nach kluger Aerzte Sagen –


Aus Kannen trinket Schinkenrund,

Sein Kopf kann Wein vertragen.

Claus Aermlich, Dorchens Vater, kömmt

Recht zu gelegner Stunde,

Auf seinen Schäferstab gestämmt,

Und grüßt mit trocknem Munde

Den Pächter und Gevattersmann;

Der horcht mit schlauem Ohre,

Dankt ihm so freundlich als er kann,

Und frägt nach seiner Dore,

Und trinkts dem alten Weißkopf zu

Mit Bitte, mit Bedingen

Ihm morgen um die Mittagsruh

Sein Dorchen herzubringen.

Er wollt ihr einen Vorschlag thun,[200]

Der werth sey anzunehmen;

Auch sollte Claus im Alter ruhn,

Und ohne Noth und Grämen

Sein Brod genießen, seinen Wein,

Das Herz damit zu laben, –

Claus Aermlich hörts und saget nein,

Ich will, ich mag nichts haben.

Behaltet euren Labetrank,

Ich trinke reines Wasser

Und bin Zeitlebens, Gott sey Dank!

Des Lasterlebens Hasser.
[201]

Quelle:
Anna Louisa Karsch: Gedichte von Anna Louisa Karschin, geb. Dürbach. Berlin 1792, S. 199-202.
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