An den Phöbus Apollo

wegen des ihr von dem Freyherrn Dohmdechanten von Spiegel geschenkten dreyseitigen Pettschafts

[34] 1764.


Der du mir dieses Saytenspiel bespanntest,

Daß es die Seelen rühren soll,

Und mir jüngst zum Geschenk ein dreyfach Wappen sandtest,

O gütiger Apoll!


Erschienst du nicht im Traume deinem Spiegel,

Der dich in meinen Liedern liebt,

Und oftmals meinem mattgewordnen Geiste Flügel

Durch seine Freundschaft giebt?
[34]

Ja, Phöbus! seinem Geiste vorgemahlet

Hast du die Bilder also fein;

Du, dessen grünumkränzte Locke prächtig strahlet

Von Sonnenschein.


Der Griechinn Kopf, die von Leukadens Klippe

In kalte tiefe Fluthen sprang,

Und noch mit todtenblasser halberstorbner Lippe

Von Liebe sang;


Ein Saytenspiel, von ihr allein erfunden,

Und dir geopfert, daß es sey

Einst nach Jahrtausenden mit Rosen frisch umwunden

Für mich wie neu;


Den Lorber, den ich so wie sie ersungen,

Der über dieser Leyer schwebt;

Und meines Vaters Namen, wie er sich geschlungen

In meinen webt:


Dies alles seh ich – o du Gott der Musen!

Sprich, ob mein Herz nicht schwellen soll?

So hoch schwoll vormals nicht des Sylla stolzer Busen

Von Freude voll,
[35]

Wenn er sein blaues Auge lachend wandte

Auf seinen großen Siegelring,

Auf dessen Schnitte man den König Bachus kannte,

Der treulos fing


Den Gatten seines Kindes, und ihn brachte

Gefesselt in des Römers Hand,

Der den Jugurtha, den ein Herr nicht zittern machte,

Jezt überwand,


Und im Triumph zum erstenmal geführet

Den Sklaven, der sonst Kronen trug,

Auf Purpur schlief, und unumschränkt regieret,

Und Helden schlug.
[36]

Quelle:
Anna Louisa Karsch: Gedichte von Anna Louisa Karschin, geb. Dürbach. Berlin 1792, S. 34-37.
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