Phillis, die Helferin

[279] Eine Idylle an Damon.


1763.


Hellaugige, dem Frühling ähnliche Tage wünsch ich

O Damon! dir, und jeglichem zartfühlenden Schäfer,

Dem sein Schicksal verlieh eine Hütte von dünnen

Gewebten Widerstand gegen die herbstlichen Sturmwinde,

Welche gefiedert mit Schneeflocken, oder mit peitschenden

Wolkengüssen daher kommen, und in mitternächtlicher Stunde

Feindseelig von deinem Auge verscheuchen den Kraft einflößenden

Schlummer. Du lächelst meinen Bedaurungen, denn

Deine zufriedne ruhige Seele schätzt dich glückseelig

Gegen einer unzählbaren Menge von Menschen, denen nicht

Das gefräßige Raubthier, der Krieg, gelassen hat das Fell[279]

Eines Lammes, um ihre Schultern zu schützen vor

Dem Mauerdurchdringenden Nordwind, der

Die Wälder entblößt, und abstreift sorgfältig gepflegeten Bäumen

Des ungezäuneten Gartens jegliches Blatt. Traurig

Stehen sie da! gleich der nakkenden Armuth weinen

Sie von ihrer schmucklosen Stirn herunter die Nässe

Der dicken niederfallenden Luft, voll Schauer einhauchenden

Kälte. Dieser Anblick, o Damon! erinnert deine Phillis

An das Bild einer unglücklichen Hirtin. Höre von mir

Du leisefühlender Schäfer! Diese das Herz angreifende

Geschichte, und liebe noch anbetender Deine Phillis.

Sie bewohnte mit ihrer trauertragenden Mutter

Eine nicht weiträumliche Hütte auf wehrloser Trift

In jenen schrecklichen Tagen, als Räuberheerden

Aus fernen Wüsteneyen gezogen kamen. Gleich den

Verderblichen Wetterwolken hagelten sie Verwüstung

Auf blühende Fluren, und dichtverwachsene Weitzenfurchen,

Und zerbissen mit schäumendem Zahn den grasgrünen Apfel

Und die unvollkommene, steinharte Birn

Abgerissen von den widerstrebenden Aesten des unwilligen[280]

Baumes. Brüllend stürzten sie über die Felder

Auf Pfeilschnellen Roß. Ihr Ansehn war das furchtbare

Bild eines Thraciers oder Parthers, vor welchen in alten Zeiten

Gezittert haben die Schäfer unter den Mandelbäumen

Und Weinstökken der innergrünenden Hügel

Und blumvollen Thälern Italiens. Phillis tröstete

Mit überredender Stimme ihre zaghafte Mutter;

Zärtlich drückte sie das bebende Herz an ihren kindlichen

Busen, in welchem mehr männlicher Muth klopfte,

Und mehr Zuversicht redete von den beschützenden Göttern.

Aber jetzt ward Phillis geschreckt aus mütterlichen Armen

Durch Tumult und Geschrei, gleich dem Geheule eines

Wirbelwindes, der verwickelt gewesen in irgend einem alten

Gemäuer, und nun mit tösender Gewalt hervorbrauset

Und in Grauen verhüllt die Seele des nächtlichen Wandrers.

Phillis eilte dem Wirbel entgegen;

Ihr aufgelösetes Haar flog in melancholischer Ordnung

Um den elegantesten Nacken. Mit kelchender

Brust drängte sie sich in einen wehklagenden

Zirkel des erschrockenen Volks. Alle rungen über[281]

Bestäubten Häuptern die Hände, und in der Mitte des Kreises

Lag ausgebreitet ein elendes Weib auf ihrem sterbenden

Mann. Er weidete Rinder unter den Haselstauden

Und Pappelbäumen, als die Wolke von Feinden

Daher gerauschet kam. Einer, dem die Schwärze des Pluto

Die haarliche Wange bedeckte, trat vor dem Rinderhirten

Und frug mit der Stimme des Donners: ob jenseits

Des Berges gelagert wären kreigerische Jünglinge

Zum deckendem Schilde der Heerde? Ihn verstand nicht

Der zurückbebende Rinderhirte, und plötzlich flog

Aus den rauhhäutigen Händen des Barbaren

Der mörderische Wurfspieß in das Eingeweide

Des Mannes, welcher nun schwimmend in seinem Blute

Das Leben ausröchelte. Drei übelgekleidete Kinder

Vermengeten ihre weinende Stimme in das Jammer-

Geschrei ihrer Mutter, an deren Busen ein dreitägiger

Säugling einen Theil der Bitterkeit ihres Schmerzes

Verschluckte. Die mitleidige Luft heulte ihre laute

Seufzer nach, und die Erde des Grabhügels öffnete sich[282]

In großen Ritzen, aufzutrinken den salzigen Strom ihrer Augen.

Dazumal rieselten kleine Bäche in dem Herzen der Phillis

Und zween kostbare Thränen, gleich den Thautropfen,

Die auf Rosen zittern, flossen auf den Aurorfarbnen

Wangen nieder in ihren Lilienbusen. Hülfreich bot sie

Ihre Rechte der mattgeächtzen Hirtin, und führte sie

Zurück. Ihre Kinder wankten um sie her. So kommen

Nach einem Wolkenbrechenden Platzregen unvermögende

Blökende Lämmer hinter den Schaafmüttern, und tragen

Den Tod in erstarreten Knöcheln. Jetzt waren Phillis

Und die Verlaßnen in einer armseligen Hütte.

Sie zog aus ihrer Tasche hervor, Feigen, und Rosinen

Und zween erquickende Aepfel, und stärkte mit Reden

Der Weisheit das verzweifelnde Weib, und ging von ihr,

Um das Herz der besten Schäfer zum Mitleid

Gegen die Bedürftige zu schmelzen. Ein so edler Vorsatz

Gelung ihr. Die Schäfer gaben zusammen, und Phillis

Vergaß nicht beizulegen ihr Theil zum Unterhalt

Derer, die alles verloren hatten. Unsere Vorfahren

Haben erzählet von einem Lautenspieler, der die Wellen

Und die Meerfische horchend gemacht. Deine Geliebte,[283]

Mein fernweidender Damon! trägt in ihrer Zunge

Ein gleich wunderbares wohlklingendes Saytenspiel.

Sie öffnete die Lippen, und alles stand unter der Herrschaft

Ihrer Honigströhmenden Beredsamkeit. Nun wandelten

Sich die Klagen der unglückseligen Kinderhirtin

Zu einem Lobgesang. Einsmals, da schon das Angesicht

Der Nacht mit dunkelgrauem Schleyer verhangen war,

Und nur einige Sterne anzeigten ihre königliche Würde;

Da schlich die bescheidene Phillis zu der schwarzbalkigten

Hütte ihrer armen Hirtin. Sie lauschte unter der

Niedrigen Hütte, und hörte singen, und vernahm

Bald darauf einen betenden Ton. Auf ihren

Abgemergelten Knieen lag das mühselige Weib,

Auf jeglicher Seite knieeten zween Kinder,

Und auf ihren beyden ausgestreckten Armen hielt sie

Den Säugling. »Höre mich! rief sie, du Erster, Unsichtbarer,

All-Lebenschaffender! es sei, daß dich die Himmel Jupiter

Oder Apollo nennen, wie du auch heißest, ich fühle

Daß du bist; denn durch deinen unhörbaren Zuruf

Ward mir gebracht jene helfende Phillis; eine Göttin

Muß sie seyn, nachgebildet deiner Erbarmung. Ohne sie[284]

Wär ich nicht mehr, und diese Kinder müßten einen lang-

samen Tod leiden. Unter den Bissen eines nagenden Hungers

Zum Grabe herunterschmachten würden sie mir nach

Und ihrem verbluteten Vater. Wir athmen mit gesättigtem

Munde das Leben, das neue Geschenk von dir, ein.

Du gabst es uns durch sie, an der du verwendet hast

Alle Reitzungen, die du deinen Geschöpfen zu geben vermagst.

Laß diese Träuen und dieses Wimmern meines Säuglings

Opfer und Hynine seyn vor dir; und wenn du Wohlgefallen hast

Daran, daß dir nachahmen die Sterblichen;

So vergilt dieser Erretterin, dieser wohlthätigen Phillis,

Ihre göttlichen Verrichtungen. Alle Glückseeligkeit

Und alle Freuden der Erden bestimme für sie;

Und wenn vor ihrem himmlischglänzenden Auge

Hundert Frühlinge vorüber geblühet sind, alsdann

Sei die blühendste Gegend in Elysium bereitet

Zu ihren Empfang. Unter einer Laube von ewig grünenden

Myrthen will ich sie finden; und noch mit Freude zitternden[285]

Armen umfassen will ich ihr Knie, und mit stammelnder

Zunge lobreden Dir, du Namenloser, Unsterblicher!

Der die Fluren durch träufelnden Regen, und die Herzen

Der Elenden erfrischet durch Menschen, welche wetteifern

Mit deiner Hülfe verbreitenden Liebe!«


Anmerkung. Diese von der Dichterin im Idyllenton bearbeitete Geschichte ist eine wahre Anekdote aus den traurigen Begebenheiten des siebenjährigen Krieges.

Quelle:
Anna Louisa Karsch: Gedichte von Anna Louisa Karschin, geb. Dürbach. Berlin 1792, S. 279-286.
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