Cybele,

[6] eine Erzählung


Die ihr schon ein halb Jahrhundert überlebt,

Und noch schöne Jünglinge bewundert,

Und nach ihrer Liebe strebt,

Wittwen! hört die Strafgeschichte

Einer alten Göttinn an,

Die das blühende Gesichte

Eines Jünglings liebgewann!

Euch zur Warnung, euch zur Lehre,

Sing' ich ihre Lust und Schmach,

Und wer Ohren hat, der höre,

Und wer klug ist, richte sich darnach.[7]

Die Göttermutter, die thurinköpfige Cybele,

Ward endlich, zur Betrübniß ihrer Seele,

Zur Trauer ihres Herzens, alt,

Und tadelte nunmehr Gang, Mienen und Gestalt

An allen jüngeren Göttinnen;

Sie spottete zum Zeitvertreib;

Die große Juno war ein gar zu stolzes Weib,

Minervens Sittsamkeit war hölzern, steif und trocken,

Die blonde Ceres war, mit ihren goldnen Locken,

Zu plump gebaut, zu fleischigt um die Brust,

Diana ward so wild genennet,

Als der gejagte Hirsch, der durch Gebüsche rennet;

Und Cypria, die Göttinn süßer Lust,

Die Schöpferinn der inniglichsten Freuden,

War nichts, als eine freche Dirn';

Sie konnt' an ihr die glatte Stirn'

Und den beflammten Blick nicht leiden;[8]

Es hieß ohn' Unterlaß: Vulkan, der arme Mann,

Wie herzlich muß ich ihn beklagen!

Zwar ich war einst auch schön und jugendlich,

Doch wer von mir kann so was sagen,

Den will ich sehn, der melde sich.

Sie sprachs, und brüstete dabey sich übermüthig

Auf ihre Tugend – und verfuhr

Mit allen Töchtern scharf, und mit den Söhnen – gütig.

Wenn Zeus zum Stiere ward, und listiglich Merkur

Ihm seine Donnerkeile mauste,

Und Bacchus taumelnd, wie der Most im Fasse brauste,

Und Gott Apollo manchen Streich

Bey hübschen Erdenkindern spielte,

Da war ihr Herz zu mütterlich, zu weich,

Als daß es Zorn darüber fühlte;

Da sprach sie nur: Die losen Söhne sind

Beweglich, wie das Meer, und flüchtig, wie der Wind;[9]

Ihr ganzer Hohn fiel einzig auf die Töchter. –

Jedoch, die Strafe trifft am Ende die Verächter

Und bittre Spötter allemal.

Das Schicksal hatte sich die Rache vorbehalten,

Und wählete darzu in einem Phrygerthal

Den Wohlgestaltesten von allen wohlgestalten

Und jungen Schäfern, gleich dem jugendlichen May,

Wenn er vom Himmel fährt, die Erde zu beschwängern:

Er war in Phrygien von Tänzern und von Sängern

Der allerlieblichste, und auf der Feldschalmey

Und auf dem Haberrohr, und auf der süßen Flöte

Kam keiner diesem Atys gleich;

Sein lächelnd Angesicht war wie die Morgenröthe,

Sein schwarzes Auge feuerreich,

Und seine Lippen, wie Korallen;

Er tanzte bey Cybelens Fest,

Sie sah sein braunes Haar um weiße Schultern wallen;

Sie sah ihn, wie den jungen West,[10]

Leichtfüßig über Blumen schlüpfen;

Da fieng ihr Herz im Busen an zu hüpfen;

Bey jeder Wendung, jedem Sprung

Des schlanken Jünglings, ward ihr Blut von neuem jung,

Und feuriger, als es vor Zeiten kaum gewesen,

Als sie den Marsias sich zum Gemahl erlesen.

Sie lächelte ohn' Unterlaß;

Sie konnt' ihr Auge von dem Tänzer nicht verwenden.

Itzt glüht ihr Angesicht, itzt zittern ihre Lenden,

Itzt wird sie roth, itzt wieder blaß,

Und weil das Schicksal sie nun einmal will bestrafen,

So regt sich ihr Verstand und ihre Tugend nicht;

Nein, die sind tief in ihr entschlafen.

Zuweilen staunt sie zwar und denkt:

Ist das die Liebe, die mich zu dem Schäfer lenkt?[11]

Nein, es ist Götterhuld, es ist ein wenig Gnade,

Womit ich ihm ergeben bin,

Wodurch ich nicht der Hoheit schade.

So dachte sie, und sah begierig nach ihm hin,

Schien mit den Augen ihn zu küßen;

Verstellte sich in eine Schäferinn;

Rief ihm, und sprach: O! laß mich, schöner Hirte, wissen:

Wer wand dir diese Rosen um das Haar,

Die nicht so blühend sind, wie deine Stirn und Wangen;

Verlaß die Hirtinn, die mit dir im Tanze war,

Du sollst von mir bald einen bessern Kranz empfangen.

Von mir – Von meiner eignen Hand –

So sprach sie freundlich und verschwand,

Fuhr gen Olymp zurück, und suchte

Daselbst die Einsamkeit, und frug sich tausendmal:

Liebst du Cybele? – Du, die sonst der Göttinn fluchte,

Die für den Mars entbrannt; du hast im Erdenthal[12]

In einen Schäfer dich verliebet,

Der noch ein Jüngling ist? und ach! du bist schon alt? –

Doch ob gleich meine Stirn schon graues Haar umgiebet;

So bin ich dennoch von Gestalt

Nicht häßlich anzusehn, ich bin noch zu ertragen;

Und was den Unterschied des Standes anbelangt,

Davon ist weniger zu sagen.

Hat nicht die Venus, die mit so viel Reizen prangt,

Einst den Adonis und auch den Anchis geküßet?

Ihr Götter und Göttinnen nehmt

Mirs nur nicht übel: denn ihr wisset,

Die keusche Cynthia selbst hatte sich bequemt,

In eines Hirten Arm zu ruhn, und von Auroren

Weiß jedermann, sie war verliebt in Cephalus.

Was wunderts euch, wenn ich den Atys mir erkohren?

Ich sehe wohl, daß ichs ihm selber sagen muß.[13]

Ich will mich gern herunter lassen,

Und ihm gestehn: ich liebe dich.

Das junge schöne Blut, er wird bestürzt erblassen;

Beym Jupiter, ich fürchte mich

Das er vor Freuden stirbt – Auch hab ich Muth vonnöthen.

Soll mir die Schaam das Wort nicht auf der Zunge tödten.

Sie sagts, und fasset den gefülleten Pokal,

Thut sieben Züge draus, und setzt ihn siebenmal

Von neuen an den Mund: itzt wachsen ihre Triebe;

Sie schmecket schon voraus des jungen Schäfers Liebe,

Schwingt sich auf ihres Löwenwagens Sitz,

Und fährt, geschwinder als der Blitz,

Herab ins Thal und sieht in einer kleinen Grotte

Mit Muschelschaalen ausgeziert,

Den Atys schlummern, gleich dem schönen Tagesgotte,

Als ihm sein Schicksal in die Schäferwelt geführt.[14]

Er fährt erschrocken auf: – fällt ihr verstummt zu Fuße;

Sie aber hebt ihn auf, und spricht mit heißem Kuße:

Ich komme vom Olymp zu dir,

Um deine Tugenden durch Liebe zu belohnen.

Von allen die dort oben wohnen,

Erkießt' ich keinen mir;

Dich hab ich auserwählt. Dir meine Hand zu geben,

That ich den sonderbaren Schritt –

Ich komm, und theile dir der Gottheit Würde mit:

Mein Arm soll dich gewaltiglich erheben,

Ich schwöre dir beym Styx den fürchterlichsten Eyd,

Dich soll an dampfenden Altären

Mit mir zugleich das Volk der Phrygier verehren;

Und dafür heisch' ich nichts, als deine Zärtlichkeit.[15]

Hier bückt der Schäfer sich mit seinem Rosenmunde

Nach ihrer mütterlichen Hand,

Und küßt sie dreymal stark, aus dem Bewegungsgrunde

Des Stolzes, den sein Herz empfand;

Denn Liebe konnt er nicht empfinden.

Sie aber läßt, zu Hoffnung größrer Luft,

Dadurch ihr gierig Herz entzünden;

Drückt ihn voll Inbrunst an die Brust,

Will in Entzückungen sich ganz und gar verlieren;

Und zwinget ihn zu Gegenschwüren.

Er schwört, weil ers nicht ändern kann,

Bey dem Neptun und bey dem Pan,

Ihr ewig, ewig treu zu bleiben,

Drauf sinket sie mit ihm auf eine Bank von Moos;

Und welche Wollust da durch ihren Busen floß,

Dies kann nur Wieland euch beschreiben.[16]

Sie ward berauscht von Süßigkeit

Und fiel in Schlaf der trunknen Leute;

Indessen schlich der Hirt mit leiser Schlauigkeit

Sich unvermerkt von ihrer Seite,

Und flog – Wohin? Dieß rathet, wenn ihr könnt.

Drey Stunden lang blieb er von ihr getrennt;

Sie blieb in einem honigsüßen Traume

Verwickelt, bis vom nächsten Baume

Minervens Vogel kläglich schrie.

Ihr Götter, nun erwachte sie;

Fuhr plötzlich auf, und rief vergebens:

Ach! Atys, du Vergnügen meines Lebens.

Wirst du schon meiner Küße satt.

Wo bist du? Welcher Dämon hat

Aus meinen Armen dich gerissen?

Wo wird mein Fuß dich suchen müssen?

Wo findet dich mein Blick, dem in der Unterwelt,

Und im Olympus selbst, nichts außer dir gefällt![17]

Sie sprachs, und schwang sich auf den Wagen,

Dem schönen Atys nachzujagen,

Der allzufrüh die Treue brach;

Fuhr über Stock und Stein und Hügel;

Und gleich wie Hektor einst mit seinen Pferden sprach,

So sprach sie jetzt durch manches Ach!

Mit ihren Löwen. Seyd, rief sie, wie Flügel,

Des Windes, bringet mich in einen jeden Hayn,

In jede Flur, bis ich mein Liebstes wieder finde!

Sie fuhr umsonst durch alle Gründe,

Durch jeden Hayn im Phrygerland:

Hier lenkte sie zurück, und fand

Nicht weit von der verlaßnen Grotte

Ein Myrtenwäldchen, wo mit Lust zu bittern Spotte,

Ein Satyr vor dem Eingang stand.

Hier stieg sie ab und gieng in eine dunkle Laube,

Auf der ein Tauber saß mit einer jungen Taube,

Und in der Laube selbst befand[18]

Sich Atys, den ein Arm, ein schöner Arm umschlossen,

Und seine Seele war in Freuden wie zerflossen.

Er hörte nicht Cybelens Tritt;

Er sahe nicht, was ihre Götterseele litt.

Matronen, die ihr oft, von Wollust hingerissen,

An junger Männer Herz den alten Busen drangt,

Und eurer Lüsternheit gerechten Lohn empfangt,

Matronen, sagts, ihr müßt mehr als die Muse wissen –

Wie dieser Göttinn ist geschehn;

Als sie den Atys und die Philaris beysammen,

Versunken in ein Meer von süßen Liebesflammen,

Unvorbereitet angesehn.

Sie war wie von dem Donner Jupiters getroffen;

Das Auge starrete, der Mund blieb gräßlich offen;

Doch endlich brach der Zunge Band.

Da schrie sie laut, wie der Cyklope,

Dem der Gemahl der Penelope

Sein einzig Auge weggebrannt.[19]

Cybele schrie nicht mehr, sie brüllte

Und ihre Löwen brüllten drein.

Das junge Paar sprang auf und ein Gewölke hüllte

Sie beyde, wie den Paris, ein;

So daß sie der Gefahr entkamen:

Cybele blieb wie angewurzelt da,

Und wiederholete den hassenswerthen Namen

Des Hirten, den sie nicht mehr sah.

Ihr Mund, ihr Auge sprühten Funken

Des Grimmes, und ihr Herz in schwarzen Gram versunken,

Wollt immer brechen, und nun stammelte sie dies

In rauhen und gebrochnen Tönen:

Verwünschter Jüngling, o! verfluchte Philaris –

Nun ist mir Schimpf und Schmach gewiß.

Wie werden mich nunmehr die Göttinnen verhöhnen![20]

Was hilft, was nutzet mir mein ängstlich Klaggeschrey? –

Und itzt zog ihr Geheul den Cypripor herbey:

Der ohngefähr mit seinem siegesreichen Bogen

Von Tempe kam daher geflogen,

Wo seine Macht ein Paar zu spröde Seelen zwang.

Er jubelte, das ihm die feine List gelang,

Und wird erblicket von Cybelen;

Sie fährt nach Art empörter Seelen

Ihn zornigpolternd an und spricht:

Du Schalk, du kleiner Bösewicht,

Du Räuber meines Ruhms und meiner stolzen Ruhe,

Du sollst erfahren, was ich thue.

Warum hast du mein Herz entbrannt,

Und diesen Atys, mir zum Schimpfe,

Zu gleicher Zeit zu einer Thälernymphe,

Zu einer Bäuerinn gewandt.[21]

Warum? sprach Amor; kannst du fragen?

Die Hirtinn ist dem Schäfer gleich

An Herkunft und an Reiz, und jugendlichen Tagen;

Und beyde sind sie flammenreich,

Und beyde hab ich längst verbunden.

Es ist ein gar zu schönes Band.

Verräther, schrie darauf die Göttinn mehr entbrannt,

Was sagst du – deine Bubenhand

Hat ihn und sie schon längst ins Liebesgarn gewunden?

Und dennoch freventlich, durch Mißbrauch deiner Macht,

Mein schon verloschnes Busenfeuer

Zu neuen Flammen angefacht?

O! fürchte, kleines Ungeheuer,

Den itzt erstarrten Arm, und zittere vor mir;

Ich will dirs nach Verdienst vergelten.[22]

Der Gott der Liebe sprach: Wie kannst du mich so schelten?

Du wurdest nicht entflammt von mir.

Nein! Ahnfrau, nein! bey diesem Bogen schwör ichs dir,

Mit dem ich itzt zu meiner Mutter eile:

Die Thorheit stiehlt mir dann und wann

Wenn ich entschlummert bin, aus meinem Köcher Pfeile;

Und zielt damit, so schnell sie kann,

In abgelebte Weiberherzen:

Die Thorheit ist allein der Grund,

Ist die Urheberinn von deinen herben Schmerzen.

Er sprachs – und flog nach Amathunt.

Quelle:
Anna Louisa Karsch: Neue Gedichte, Mietau und Leipzig 1772, S. 6-23.
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