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[119] Von Holz und Reisig eine hohe Wand

Seit langen Jahren um die Scheune stand,

Schon vieles ward vom Regen unbrauchbar,

Doch jeder Herbst bringt neue Lasten dar.


Der letzte Winter brachte große Not,

Und manche arme Witwe, frierend, bot

Ihr armes Geld dem Mann für wenig Holz;

Er gab's nicht her in seinem Bauernstolz.


Nun flammt es auf im wilden Feuerflug,

Mit Scheun und Stall, Pferd, Wagen, Vieh und Pflug;[119]

Die armen Weiber stehn und schaun es an

Und wärmen lächelnd ihre Hände dran.


Dies Lächeln mag die bleichste Blume sein,

Die einstens ziert des Mannes Totenschrein –

Weh dem, der solchen Blütenflor gesät,

Wenn einst die Saat in reifen Knospen steht!


Quelle:
Gottfried Keller: Sämtliche Werke in acht Bänden, Band 1, Berlin 1958–1961, S. 119-120.
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