3

[18] Die Nacht wiegt sich mit sternbesäten Schwingen

Auf stillen Weltmeers blauen Wassergärten;

Daraus zurück, wie Silberglöcklein, klingen

Die Sterne, die in feuchter Flut verklärten.


Wie ein entschlummert Kind an Mutterbrüsten

Ruht eine Insel selig in den Wogen:

So weich und weiß ist um die grünen Küsten,

Der Mutterarm, die Brandung rings gezogen.


Die Insel schläft, doch Träume auf ihr gaukeln.

Wie blüht, wie leuchtet, flüstert es so minnig!

Wie lustig die Lianenkränze schaukeln!

Wie duftet der Orangenhain so innig!


Ich wollt, mein Herze wär so dicht umflossen

Von einem Meer der Ruhe und der Klarheit

Und drüberhin ein Himmel ausgegossen,

Des einz'ge Sonne nur das Licht der Wahrheit!


Was mag denn wohl der alte Urwald träumen?

Er ist ja selbst ein üpp'ger Traum der Zeiten,[18]

Wenn, grüßend nach des Meeres Silberschäumen,

Hoch auf ihm hin sich Blumengärten breiten.


Das ist das Paradies im Mondenschimmer,

Ein Geisterabglanz des so schnöd verlornen,

Vom Erdenglück ein abgesprungner Flimmer,

Ein Blütenblatt vom Sarg des totgebornen!


Und schöne Menschen schlafen in den Büschen,

Wie Bildwerk in ein Blumentuch gewoben,

Wie Engel in der Waldkapelle Nischen,

Wie Götterspielzeug sorglich aufgehoben.


Und über allem wallt ein frohes Ahnen,

Sich unbewußt, und doch so alldurchdrungen,

Der Blutlauf, der in unsichtbaren Bahnen

Dies reine Leben in den Gang geschwungen.


– Ein Blitz, ein Schlag! – die Meeresfläche zittert;

Braun wälzt der Rauch sich auf dem krausen Spiegel:

Als hätt ein Drache seinen Raub gewittert,

Naht es sich pfeilschnell mit gespreiztem Flügel.


Die Anker rasseln und die Segel sinken

– Wohl fallen auch des Himmels schöne Sterne –

Und hundert Bleigesichter lüstern blinken

Im fahlen Schein der trüben Schiffslaterne.


Zuvorderst, auf des Schiffes schwarzen Wänden,

Ragt schwärzlich aus der giererfüllten Rotte

Der Christenpfaffe, schwingend in den Händen

Das blut'ge Kreuz mit dem gequälten Gotte!


Quelle:
Gottfried Keller: Sämtliche Werke in acht Bänden, Band 1, Berlin 1958–1961, S. 18-19.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Gedichte
Gedichte: Eine Auswahl
Gedichte in einem Band
Sämtliche Werke in sieben Bänden: Band 1: Gedichte
Sämtliche Werke in sieben Bänden: Band 1: Gedichte
Gottfried Keller's Traumbüchlein. Aufzeichnungen, Gedichte, Prosa

Buchempfehlung

Meyer, Conrad Ferdinand

Gustav Adolfs Page

Gustav Adolfs Page

Im Dreißigjährigen Krieg bejubeln die deutschen Protestanten den Schwedenkönig Gustav Adolf. Leubelfing schwärmt geradezu für ihn und schafft es endlich, als Page in seine persönlichen Dienste zu treten. Was niemand ahnt: sie ist ein Mädchen.

42 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon