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An einen Schulgenossen

[45] Wohin hat dich dein guter Stern gezogen,

O Schulgenoß aus ersten Knabenjahren?

Wie weit sind auseinander wir gefahren

In unsren Schifflein auf des Lebens Wogen!


Wenn wir die Untersten der Klasse waren,

Wie haben wir treuherzig uns betrogen

Und schwärmerisch, erfindrisch uns belogen

Von Aventüren, Liebschaft und Gefahren!«


Da seh ich just, beim Schimmer der Laterne,

Wie mir gebückt, zerlumpt, ein Vagabund

Mit einem Häscher scheu vorübergeht. –


So also wendeten sich unsre Sterne?

Und so hat es gewuchert, unser Pfund?

Du bist ein Spitzbub worden – ich Poet!


Quelle:
Gottfried Keller: Sämtliche Werke in acht Bänden, Band 1, Berlin 1958–1961, S. 45.
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