2. Konditor und Poet

[156] Kennt ihr den Kleinkinderhimmel,

Wo als Gott der Zuckerbäcker

Waltet süß und hoch und herrlich

In den Augen kleiner Schlecker?


O zur Weihnachtszeit, wie flimmert,

Duftet es rings an den Wänden!

Welchen Schatz von Herrlichkeiten

Schüttet er aus vollen Händen!


Läßt erblühen süße Blumen,

Weise streut er die Gewürze;

Schön stehn ihm die hohe, weiße

Zipfelmütze, Wams und Schürze.


Doch wonach die guten Kinder

Schmachtend vor dem Laden stehen,

Muß dem Reichen, Allgewalt'gen

Reizlos durch die Hände gehen!


Kaum einmal des Jahres ißt er,

Aus Zerstreuung in dem Handel,

Flüchtig eine Zuckererbse

Und verächtlich eine Mandel.


Aber auch den andern Himmel,

Den der Poesie, wohl kennt ihr,

Der sich mit der Maizeit öffnet,

Drin den Dichter König nennt ihr!
[157]

Zipfelmütze, weiße Schürze,

O wie nüchtern glänzet ihr!

Und wie mahnt ihr mich an weißes

Reinliches Konzeptpapier!

Quelle:
Gottfried Keller: Sämtliche Werke in acht Bänden, Band 1, Berlin 1958–1961, S. 156-158.
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