Kronprinzen

[146] Hoffnungsblumen, Morgenröten,

Die am dunkeln Himmel blühn!

Und das Volk in seinen Nöten

Schaut erwartend ihr Erglühn.

Harrt ergeben auf die Sonne,

Die da auferstehen soll,

Und von beßrer Zeiten Wonne

Wird sein Wermutbecher voll.


Horch! was flüstert in den Gassen

Und was zischelt im Palast?

Herolde durchziehn die Straßen,

Rufend mit gedämpfter Hast!

Hei, der König ist gestorben!

Hei, der alte Kauz ist tot,

Ist gestorben und verdorben,

Und zu End ist unsre Not!
[146]

Bald verhallt der dumpfe Klang von

Trauerglocken durch das Land,

Festtrompeten harren lang schon,

Zu erschallen durch das Land.

Heil ihm, er hat sich gebildet

Lang mit Männern weis und alt!

Heil uns, nun sind wir geschildet

Gegen Willkür und Gewalt!


Morgenjubel ist verklungen,

Wetter hielt sich leidlich gut,

Und die Alten und die Jungen

Schlendern heimwärts wohlgemut.

Doch schon tropft es auf die Nase –

Spute sich, wer laufen mag!

's kommt nach all dem frohen Spaße

Gar ein langer Regentag.


Quelle:
Gottfried Keller: Sämtliche Werke in acht Bänden, Band 1, Berlin 1958–1961, S. 146-147.
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