Lied vom Schuft

[170] Ein armer Teufel ist der Schuft!

Er weiß: es kennt ihn jedes Kind;

Er wandelt, wie ein Träumender,

Wo unverdorbne Menschen sind.


Ein dummer Teufel ist der Schuft,

Weil er doch der Geprellte ist,

Wenn ihn ein rein, einfältig Herz

Mit großen, klaren Augen mißt.


Er geht einher im Silberhaar

Und keimt schon in des Knaben Blick,

Er bleibt sich auch im Kot getreu

Und sonnet sich im hellsten Glück.


Bald sitzt er auf dem Königsthron

Und ist von Gottes Gnaden Schuft,

Bald wieder fault und modert er

In eines Bettlers Hundegruft.
[170]

Doch immer müht und quält er sich

Und tut, als wär er sehr gescheit!

Wenn man an ihm vorübergeht,

So pfeift er aus Verlegenheit.


Laßt pfeifen sie und nagen nur,

Wie Ratten, im dunkeln Erdenhaus!

So Gott will, kommt ein Sonnentag,

Wo auch die Schufte sterben aus!


Quelle:
Gottfried Keller: Sämtliche Werke in acht Bänden, Band 1, Berlin 1958–1961, S. 170-171.
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