[13] Nun bin ich untreu worden
Der Sonn und ihrem Schein;
Die Nacht, die Nacht soll Dame
Nun meines Herzens sein!
Sie ist von düstrer Schönheit,
Hat ein bleiches Nornengesicht,
Und eine Sternenkrone
Ihr dunkles Haupt umflicht.
[13]
Heut ist sie so beklommen,
Unruhig und voller Pein;
Sie denkt wohl an ihre Jugend –
Das muß ein Gedächtnis sein!
Es weht durch alle Täler
Ein Stöhnen, so klagend und bang;
Wie Tränenbäche fließen
Die Quellen vom Bergeshang.
Die schwarzen Fichten sausen
Und wiegen sich her und hin,
Und über die wilde Heide
Verlorene Lichter fliehn.
Dem Himmel bringt ein Ständchen
Das dumpf aufrauschende Meer,
Und über mir zieht ein Gewitter
Mit klingendem Spiele daher.
Es will vielleicht betäuben
Die Nacht den uralten Schmerz?
Und an noch ältere Sünden
Denkt wohl ihr reuiges Herz?
Ich möchte mit ihr plaudern,
Wie man mit dem Liebchen spricht –
Umsonst, in ihrem Grame
Sie sieht und hört mich nicht!
Ich möchte sie gern befragen
Und werde doch immer gestört,
Ob sie vor meiner Geburt schon
Wo meinen Namen gehört?
[14]
Sie ist eine alte Sibylle
Und kennt sich selber kaum;
Sie und der Tod und wir alle
Sind Träume von einem Traum.
Ich will mich schlafen legen,
Der Morgenwind schon zieht –
Ihr Trauerweiden am Kirchhof,
Summt mir das Schlummerlied!
|
Ausgewählte Ausgaben von
Gesammelte Gedichte
|
Buchempfehlung
Als Hoffmanns Verleger Reimer ihn 1818 zu einem dritten Erzählzyklus - nach den Fantasie- und den Nachtstücken - animiert, entscheidet sich der Autor, die Sammlung in eine Rahmenhandlung zu kleiden, die seiner Lebenswelt entlehnt ist. In den Jahren von 1814 bis 1818 traf sich E.T.A. Hoffmann regelmäßig mit literarischen Freunden, zu denen u.a. Fouqué und Chamisso gehörten, zu sogenannten Seraphinen-Abenden. Daraus entwickelt er die Serapionsbrüder, die sich gegenseitig als vermeintliche Autoren ihre Erzählungen vortragen und dabei dem serapiontischen Prinzip folgen, jede Form von Nachahmungspoetik und jeden sogenannten Realismus zu unterlassen, sondern allein das im Inneren des Künstlers geschaute Bild durch die Kunst der Poesie der Außenwelt zu zeigen. Der Zyklus enthält unter anderen diese Erzählungen: Rat Krespel, Die Fermate, Der Dichter und der Komponist, Ein Fragment aus dem Leben dreier Freunde, Der Artushof, Die Bergwerke zu Falun, Nußknacker und Mausekönig, Der Kampf der Sänger, Die Automate, Doge und Dogaresse, Meister Martin der Küfner und seine Gesellen, Das fremde Kind, Der unheimliche Gast, Das Fräulein von Scuderi, Spieler-Glück, Der Baron von B., Signor Formica
746 Seiten, 24.80 Euro