Abschiedslied

[181] An einen auswandernden Freund, Dr. Christian Heußer


1856


Von Berg und grünen Weiden

Steigt nieder der Genoß,

Und wieder heißt es meiden,

Was treue Lieb umschloß!

Die letzten Jugendtage[181]

Sind eben nun verrauscht,

Mit rauhem Flügelschlage

Der Wind ein Segel bauscht.


So geh zu Schiff, Geselle!

Und fahre deine Bahn!

Das mutige Wehen schwelle

Dir alle Segel an!

Doch stet, wie deine Ehre,

Und treulich, wie dein Sinn,

So tragen dich die Meere

Zu der Atlantis hin!


An Weltmeers Silberschäumen,

Durch fernes Palmengrün

Such nicht in wehem Träumen

Der Heimat Firnenglühn!

Doch siehst du bang sich sehnen

Verlaßnes Schweizerblut,

Da hilf und still die Tränen:

Das steht den Schweizern gut!


So schreite fest, umwandre

Die Welt an Wundern reich!

Kehr einst und find uns andre,

Will's Gott, uns selber gleich!

Du kennst die besten Bande,

Die Altes binden neu:

Bleib treu dem Vaterlande,

So bleibst dir selber treu!


Quelle:
Gottfried Keller: Sämtliche Werke in acht Bänden, Band 1, Berlin 1958–1961, S. 181-182.
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