Venus von Milo

[285] Wie einst die Medizäerin

Bist, Ärmste, du jetzt in der Mode

Und stehst in Gips, Porz'lan und Zinn

Auf Schreibtisch, Ofen und Kommode.
[285]

Die Suppe dampft, Geplauder tönt,

Gezänk und schnödes Kindsgeschrei;

An das Gerümpel längst gewöhnt,

Schaust du an allem still vorbei.


Wie durch den Glanz des Tempeltors

Sieht man dich in die Ferne lauschen,

Und in der Muschel deines Ohrs

Hörst du azurne Wogen rauschen!


Quelle:
Gottfried Keller: Sämtliche Werke in acht Bänden, Band 1, Berlin 1958–1961, S. 285-286.
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