Mit einer Reißkohle

[279] Gefächelt von der Lüfte Schwingen,

Zeigt's deines Mundes hohe Rosenglut

Und knistert leis, wie deine Lippen singen,

Wenn ein geheimer Traum bewegt dein Blut.


Nun schweigt das Knistern, stirbt die Röte,

In tiefe Nacht versinkt der Fünklein Tanz;

Nun ist es tot und schwarz – was überböte

Die Schwärze als dein Haar im Morgenglanz?
[279]

Noch warm, nehm ich die zarte Leiche

Und schreib auf deines Flurs besonnten Stein

Ihr art'ges Leben, dem das deine gleiche,

So hoch erglühend und so schlicht und rein:


»Ich war ein Bäumlein auf den Rainen,

Mein Mark war weich und weiß, die Blättlein grün;

Ich sah die Sonne feurig niederscheinen,

Dann brannt ich selber, selig im Verglühn!


Was von mir blieb, zeigt noch die Triebe

Der Adern und der Jahresringe Lauf;

Schreib froh mit mir, Poet, den Preis der Liebe

Und brauch mich ganz zu deinem Liede auf!«

Quelle:
Gottfried Keller: Sämtliche Werke in acht Bänden, Band 1, Berlin 1958–1961, S. 279-280.
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