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[301] Nein! – Zwischen uns soll Friede sein,

Die weiße Fahne steck ich auf,

Daß in geharnischtem Verein

Wir wallen einen Siegeslauf.

Voran, voran, ihr Bittern,

In fegenden Gewittern!

Die Dichter aber schreiten nach

Mit klar gestimmten Zithern!


Ihr seid die feuerschwangre Kraft,

Vor der der gift'ge Dunst zergeht,

Sprengt den entlaubten Eichenschaft,

Der starr und dürr im Wege steht;

Doch funkelnd aufgezogen

Sind wir der Regenbogen,

Der von der Erd zum Himmel lacht,

Wenn das Gelärm verflogen.


Ihr werft die Götzen aus dem Haus

Im Heidentum, im Christentum;

Ihr jätet Dorn und Distel aus

Und pflügt den starren Acker um!

Doch wir auf Lenzesschwingen,

Mit Spielen und mit Singen,

Wir müssen in die Furchen dann

Den neuen Samen bringen.
[301]

Ihr brecht die Bahn durch finstre Nacht,

Die Fackel in der sichern Hand;

Ihr seid die Vorhut und die Wacht,

Ihr sengt und brennt in Feindesland;

Vor der Posaune Schallen

Ist Jericho gefallen:

Vor eurer Tuba stürzen selbst

Des Himmels höchste Hallen!


Dann aber folgt der Sänger Schar,

Die einen neuen Himmel baut,

Darinnen man im Lichttalar

Den alten Gott der Liebe schaut!

Voran, voran, ihr Bittern,

In fegenden Gewittern!

Wir ziehen heilend, segnend nach

Mit hell gestimmten Zithern!

Quelle:
Gottfried Keller: Sämtliche Werke in acht Bänden, Band 1, Berlin 1958–1961, S. 301-302.
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