42. Kapitel
Deinen Frieden sollst du nicht auf Menschen bauen!

[150] 1. Der Herr: Mein Sohn, wenn du deinen Frieden auf irgend einen Menschen setzest, daß er denkt wie du und daß er immer um dich ist, so wird dein Friede sehr wandelbar und dein Herz bald uneins mit sich selber sein. Wenn du dir aber überall den Rückweg zur Wahrheit, die immer dieselbe[150] bleibt und ewig lebt, offen hältst, so wirst du nicht sonderlich betrübt werden, wenn dich gleich dein Freund verläßt oder dir von der Seite wegstirbt.

Die Liebe zu deinem Freunde soll eigentlich in mir ihre Wurzel haben, und jeder, den du für gut hältst und vorzüglich lieb hast, soll dir um meinetwillen vorzüglich lieb sein. Denn ohne mich hat der Freundschaftsbund keine Gültigkeit und keinen Bestand, und alle Liebe, deren Bande ich nicht knüpfte, ist weder wahr noch rein. So solltest du aller Anhänglichkeit an geliebte Menschen abgestorben sein, daß du, soweit es auf dich allein ankommt, Mut genug hättest, allen Umgang mit Menschen zu entbehren.

Um so viel näher kommt der Mensch seinem Gott, je weiter er sich von allem irdischen Trost entfernt. Er steigt auch um so viel höher aufwärts zu Gott, je tiefer er zuvor abwärts in sich gestiegen, je geringer er sich in seinem Auge geworden ist.

2. Wer aber sich selbst etwas Gutes zuschreibt, der richtet eine Scheidewand auf zwischen sich und der Gnade Gottes, daß sie nicht zu ihm herein kann; denn die Gnade des Heiligen Geistes sucht zu ihrer Herberge immer nur ein demütiges Herz. Könntest du dich selbst vollkommen zernichten, könntest du dich von aller Liebe zu irgend einem Geschöpfe frei machen, so müßte ich meine Gnadenfülle in dich einströmen und die leere Stätte in dir ausfüllen lassen. Sobald du aber auf die Geschöpfe zurückschaust, wird dir die Anschauung des Schöpfers genommen.

So lerne denn, dich in allen Dingen um deines Schöpfers willen zu überwinden; dann wird dir in deiner Seele eine neue Tür zur göttlichen Erkenntnis aufgehen. Was man immer wider die heilige Ordnung der Liebe achtet und liebt, es sei so gering als es wolle, das schlägt uns weit zurück auf dem Wege zum höchsten Gut, und es befleckt uns.[151]

Quelle:
Reclams Universal-Bibliothek Nr. 7663, Stuttgart., S. 150-152.
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