[Es stimmen meines Herzens Saiten]

[121] Es stimmen meines Herzens Saiten,

O Herr, Dir an ein Dankgebet,

Und tausend Stimmen es begleiten,

Ich sing es früh und spät.


Was sing' ich denn? Ich singe: »Erhaben,

Hoch über Zeit und Raum,

Bist Du, o Herr, und Deine Gaben

Sind Wirklichkeit, nicht Traum!«
[121]

Ich halte still und juble weiter:

»Das goldne Leben gleicht

Nur einer Sprosse auf der Leiter,

Die bis zum Himmel reicht; –


Die Jakobsleiter voller Wesen

– Jahrtausende der Grund –

Auf dem sie werden, sind gewesen,

Ein Chaos schön und bunt!


Ein Chaos, Herr, von tausend Sonnen,

Von Sternen, Mondschein-Pracht,

Von kleinen Blüten, Millionen Wonnen,

Dazwischen Dämm'rung, Traum und Nacht!


Dazwischen milde Frühlingslüfte

Und Tränenschauer liegt,

Und süßes Hoffen, Himmelsdüfte,

Und was das Herz besiegt!«


Ich juble laut und singe weiter,

»Hab' Dank, o Herr, dafür,

Wie auf dem Gipfel jener Leiter,

So preis ich Dich schon hier!«

Quelle:
Friederike Kempner: Gedichte. Berlin 81903, S. CXXI121-CXXII122.
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