§. 10.

Das andere [47] Argumentum Schookii.

Wir nehmen vielmehr das andere vor die Hand / welches wir zum Ende gesparet haben / dasselbe wird nun also lauten:


Welche Erzehlung solche Sachen proponiret / welche nicht zu glauben sind / und nicht so wohl der Göttlichen Natur zuwider sind / als aller Menschen Judicio, dieselbe wird billig in Zweiffel gezogen.


Nun proponiret aber die Hamelische Historie solche Sachen etc.


Derohalben wird sie billig in Zweifgezogen.


[48] Damit man aber sehe / wie facilis er in concedendo sey / so giebt er dieses beydes zu: Nemlich / daß auf GOttes Zulassen / mit solchen zauberischen Gepfeiffe stumme Thiere könnnen gelocket werden als vernünfftige Menschen; Und daß die Erde lebendige Menschen verschlingen könne. Beydes beweiset er / welches auch gar leichte. Bald darauf erweiset er den Minorem also: Weil / spricht er / aus dieser Ausführung der Kinder folgen würde / daß GOTT ob personale peccatum ihrer Eltern / da sie nemlich dem Zauberer das Geld nicht gegeben / welches sie ihn doch versprochen / sich so sehr erzürnet habe / daß er auch dem Teufel Macht gegeben / ihre unschuldige Kinder zu entführen. Wir wollen die gantze Sache kürtzlich ausmachen. Der Schluß trifft weder uns noch die Sache. Denn was noch in Zweiffel kan gezogen werden / ist derowegen nicht alsbald eine Fabel. Den Majorem beantworte mit einer distinction, da man einen Unterscheid machet / unter dem was revera ist / und was [49] nur apparenter so scheinet. Verstehet ers auf erste maße / so kan man ihn passiren lassen / will er aber das letzte so negire den Satz. Denn auch in rebus politicis ich geschweige naturalibus viel viel /Sachen geschehen / welche allen Glauben weit / weit übertreffen. Und gestehet der Schookius selbsten /daß viele Sachen unglaublich scheinen / welche indessen doch geschehen seyn: Und daß die Historici öffters eine Sache als unglaublich vorstelleten welche sich doch in der That warhafftig also verhält. Er führet auch Exempla an. Darzu man denn auch welche aus GOttes Wort und andern Historicis setzen kan. Der Minor ist ausdrücklich falsch. Denn welche Sache in der That und Warheit also beschaffen ist /die pflantzet man nicht auff die Nachkommen fort /man verwahret sie nicht in Archivis, man bildet sie nicht in Steine / Holtz / Fenster und dergleichen: Es beschreiben sie auch nicht die Historici, vielweniger verdefendiren sie dieselbe / welches doch alles dieser Erzehlung häuffig wiederfahren. Deswegen sie denn desto gewisser stehet. In der [50] Ration, die er hinzugethan / ist keine Folge / und hätte er dieselbe auch beweisen sollen. Wenn dem Pfeiffer die Ratzen und Mäuse wegzupfeiffen sein Lohn nicht gegeben worden / wer würde doch deswegen mit dem Schookio auf diese Gedancken gerathen / GOtt sey eben hierzu bewogen worden? Als hat Gott nicht tausend andere Ursachen gehabt / daß er diese Kinder hätte lassen ausführen. Wie viel unschuldige Kinder / wie viel 6 Wochen Kinderchen sind nicht im Erdbeben / wenn es öffters gantze Städte getroffen / jämmerlich mit zerdrücket worden? Wie viel sind nicht im Kriegen grausam mit Spiessen erstochen? Unter der Rotte Coræ Dathan und Abiram sind auch unschuldige Kinder gewesen. Und sind doch alle von der Erden verschlungen worden. Wie viel sind nicht durch Zauberey umbs Leben kommen? Wie viel hat der Teufel nicht also verblendet / daß sie GOtt / dem sie doch in der Tauffe geschworen / abgesaget / und sich hingegen dem Teufel ergeben? Hat nun GOtt solche Sachen zugegeben / welche viel erschrecklicher / so müssen sie seiner heiligen [51] Natur und Gerechtigkeit nicht zuwider seyn / sonst hätte ers nicht zugelassen. Noch eins wirfft der Schookius ein / nemlich die Kinder wären unter der Erden in die Hölle geführet worden /Ursach / weil ihr Führer der Teufel in die Hölle gehörte. Wir wollen hier des Schookii oben angeführte Freygebigkeit mit der unseren compensiren / und ihm zugeben / daß der Führer ein Teufel gewesen. Allein /wie wird ers denn erweisen / daß die Kinder warhafftig von der Erde mit verschlungen seyn. Die meisten Scribenten sagen / sie seyn verschwunden. Und gesetzt / sie wären von der Erden verschlungen / was ist denn dran gelegen? Des frommen Hiobs seine Söhne wurden auch von den Teufel umbracht / und habe ich noch keinen vernünfftigen Menschen hören dieselbe verdammen. Auf was vor Art und Weise will man denn diese Kinder dem Teufel übergeben?

Quelle:
[Meister, Johann Gottlieb:] M. Theodori Kirchmayeri Curiöse Historia von den unglücklichen Ausgange der Hamelischen Kinder. Aus dem Lat. ins Teutsche übers. von M. M. [d.i. Johann Gottlieb Meister], Dresden, Leipzig 1702, S. 47-52.
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