§. 5.

Antwort aufs dritte [32] Argument.

Der Ordnung nach solten wir itzt / das andere Argumentum vor die Hand nehmen; Aber wir wollen einmahl ein ὕςερον πρότερον begehen / und von hinten zu anfangen / das dritte erst nehmen und das andere zuletze behalten / weil das dritte ein wenig mit diesen ersten verwand / und nicht wohl von einander kan gerissen werden. Wenn wir nun dasselbe in richtige terminos fassen / so wirds ohngefehr so heraus kommen:


[32] Eine Erzehlung die auf einen falschen Principio beruhet / ist nicht höher zu achten als eine alte Fabel /


Nun ist aber die Hamelische Erzehlung eine solche etc.


Ergo ist sie auch nicht viel höher als eine Fabel zu achten.


Wir negiren den Minorem, und beruffen uns auf die im ersten Cap. §. 3. 4. 5. und 6. gesetzte Scriptores, die mögen uns verdefendiren. Etliche unter ihnen sind Hamelische Kinder / etliche nahe Nachbarn. Viele sind dahin gereiset / es in Augenschein zu neh men / die es hernach nicht würden in ihre wohl ausgearbeitete Schrifften gesetzet haben / wenn sie es nicht mit wichtigen Gründen stabiliret befunden. Der Beyfall ein hauffen gelehrter Leute kan schon einer Sache eine Autoritæt erwecken / und was nach Tertulliani Meynung / bey vielen Gelehrten angetroffen wird / ist kein erratum, sondern traditum. Drey Stück urgiret sonderlich der Schookius: Daß diese Erzehlung erstlich nach vielen [33] Seculis annotiret: Es könne kein richtiges documentum anbey gebracht werden: Die Historien-Schreiber würden öffters hintergangen / indem immer einer den andern verführe. Was das erste anlanget / so sind weit höhere Sachen öffters erst nach etlichen Seculis annotiret worden / und sind deßwegen nicht ohne einige Nachforschung und Fundament angenommen worden. Geschehene Sachen sind und bleiben geschehene Sachen / sie mögen nun aufgezeichnet und erzehlet werden oder nicht. Daß man aber keine documenta allegiren könne / welche glaubwürdig / ist ein falsissimum. Das Wiederspiel soll sich zeigen. Daß Historici können hintergangen werden giebt man in thesi zu / mit nichten aber in hypothesi. Denn wer sind denn dieienige andere / die unsere Scriptores haben irrend gemacht. Sie beruffen sich ja vielmehr fast alle auf die öffentlichen Monumenta der Stadt / und haben die Sache auch sonst aufs allergenaueste untersuchet und sich fleißig in Acht genommen / damit sie dem Leser keine Unwarheiten vorlegten. Wir excipiren sie zwar deswegen[34] nicht von allen Irrthum / sondern gestehen vielmehr mit dem Frischlino gar gerne / daß kaum ein einiger Historicus könne gefunden werden / wenn ihn auch gleich die Sonne selber suchte / an welchen nicht ein kleiner Fehl zu finden. Drum ists vergebens / was der Schookius vorgiebt / daß nemlich dieser Erzehlung alsdenn könne einiger Glaube beygemessen werden /wenn nur ein teutscher Scriptor aus glaubwürdigen monumentis dieser Stadt es erwiesen / obs gleich etliche Jahr hernach geschehen. Denn wir haben ja mehr als einen teutschen Scriptorem schon angeführet. Wir haben ja auch populares Landesleute und Einheimische hinzugefüget. Nemlich Hondorffium, Lossium, Fincelium, Selneccerum, Calvisium und andere mehr. Wer wird doch den Wierum und Nullejum mit wichtigen Gründen widerlegen können? Sie sind beyderseits zu Hameln gewesen / u. haben die monumenta was zur Bekräfftigung dieser Historie dienet / fleißig zusammen gesuchet. Wer will den Büntingium einer Unwarheit beschuldigen? Und wundert mich / wie doch [35] der Schookius sich so eifrig auf die Auswertigen Chronicken beruffen kan / und doch nicht an die alte Sachsen Chronicke gedencket / vielleicht weil sie so nicht stille schweiget wie die andern.

Quelle:
[Meister, Johann Gottlieb:] M. Theodori Kirchmayeri Curiöse Historia von den unglücklichen Ausgange der Hamelischen Kinder. Aus dem Lat. ins Teutsche übers. von M. M. [d.i. Johann Gottlieb Meister], Dresden, Leipzig 1702, S. 32-36.
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