Der Tod des Adonis

[72] Sieben Wochen schon schreit Kypris,

Denn Adonis starb,

Der schönste der Menschen.

Die Sterne weinen nachts Sternschnuppen,

Und salzig von Tränen ist

Das Gewässer der Flüsse.

An den Quellen sitzen die Nymphen

Und schluchzen,

Und jammernd durch Feld und Hain

Streifen Eroten.

Ihr Klagegeschrei

Ai ai ai

Durchhallt die Schluchten und schreckt

Den einsamen Wanderer.


Unseligen Tod

Starb der Geliebte.

Denn als er wandelt

Durch den Wald,

Begegnet ihm ein wilder Eber,[72]


Der alsogleich entbrennt wider den Schönen

In Liebe.

Liebkosend er gegen ihn sprang.

Aber so rauh war seine Zärtlichkeit,

Dass mit den Hauern er

Dem schönen Knaben

Die Brust zerriss.


Unbeerdigt lag er im Moose

Unverwest.

Kein Wurm ihn benagte

Und keine Krähe ihn hackte.

Der Mond hielt mit bleicher Fackel

Die Totenwacht.

Die Geister der untern Welt,

Sie kamen

Schleichend und schillernd

Herauf

Und sassen am weissen Strom seines Leibes

Wie an den Ufern des heiligen Flusses.


Und Charon nahm

Am siebenten Tage

Den leuchtenden Leichnam

Auf seine Schulter wie ein totes Reh,

Das der Jäger nach Hause trägt

Zu den Seinen.


Der Leichnam blinkte

In den Grotten der Unterwelt[73]


Wie eine weisse Ampel.

Von allen Seiten

Die toten Seelen

Wie nächtliche Falter zum Lichte flogen,

Bis sie ihn deckten

Bedeckten

Und er

Unter den schwarzen Flügelschlägen

Erlosch.

Quelle:
Klabund: Das heiße Herz. Berlin 1922, S. 72-74.
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