Dreizehnte Nachtwache

[149] Ich stieg den Berg hinauf am Ausgange der Stadt – es war die Tag- und Nachtgleiche des Frühlings, und draußen lag die alte Fee, die Erde, und kochte ihre mitternächtlichen Zauberkräuter, um am Morgen nach abgeworfenem Silberhaare und ausgeglätteten Runzeln, schön umlockt und bekränzt als eine junge Nymphe aufzustehen, und ihre neugebornen Kinder an dem schwellenden Busen zu tragen. – Unten im Thale blies ein Hirte das Alphorn, und die Töne sprachen so lockend von einem fernen Lande, und von Liebe und Jugend und Hofnung; ich dichtete zu ihrer Begleitung folgenden


Dithyrambus über den Frühling.

»Du erscheinst, und erschrocken flieht dein finsterer Bruder, und die Schilde und Panzer, worin er gewaffnet dastand, rasseln durcheinanderstürzend und zerbrechen; und siehe erröthend in Morgengluth tritt die junge Erde hervor, wie eine blühende Jungfrau; und du küssest die Geliebte, Jüngling, und schlingst ihr den Brautkranz in die Locken. Da sinkt der letzte Glätscher und das erstarrte Element wird frei, und fließt still dahin zwischen Blumen und überwölkt von grünen Gebüschen, die Berge halten ihre Sennenhütten hoch in die blaue Luft, und an ihren Abhängen kleben die gefleckten Heerden. Blumen blühen und träumen Liebe, und die Nachtigall singt sie in den Gesträuchen. Die Bäume schlingen ihre Zweige in duftige Kränze, und reichen sie zum Himmel[149] empor; der Adler steigt betend in den Sonnenglanz auf, wie zu Gott, und die Lerche wirbelt ihm nach, jubelnd über der geschmückten Erde. Jeder duftende Kelch wird zu einer Brautkammer, jedes Blatt ist eine kleine Welt, und alles saugt Leben und Liebe an dem heißen Herzen der Mutter! – Nur der Mensch –«

Hier verstummte plözlich das Alphorn, und der lezte Ton und das lezte Wort verhallten langsam und sterbend.

»Hast du nur bis zu diesem Worte geschrieben, Mutter Natur? Und in wessen Hand überlieferst du die Feder zur Fortsetzung? – Kannst du es nimmer lösen, warum alle deine Geschöpfe träumend glücklich sind, und nur der Mensch wachend dasteht und fragend – ohne Antwort zu erhalten? – Wo liegt der Tempel des Apollo – wo ist die Stimme, die einzig antwortende? Ich höre nichts, als Wiederhall, Wiederhall meiner eigenen Rede – bin ich denn allein?

Allein! ruft die hämische Stimme. Mutter, Mutter, warum schweigst du? – O du hättest das letzte Wort in der Schöpfung nicht schreiben sollen, wenn du dabei abbrechen wolltest. Ich blättere und blättere in dem großen Buche, und finde nichts, als das eine Wort über mich, und dahinter den Gedankenstrich, wie wenn der Dichter den Karakter, den er vollführen wollte, im Sinne behalten, und nur den Namen hätte mit einfließen lassen. War der Karakter zu schwierig zur Ausführung, warum strich der Dichter nicht auch den Namen aus, der jetzt allein dasteht, sich anstaunt, und nicht weiß, was er aus sich selbst machen soll.[150]

Schlag das Buch zu, Name, bis der Dichter bei Laune ist, die leeren Blätter, vor denen du nur als Titel stehst, vollzuschreiben!« – –

An dem Berge, mitten in das Museum der Natur, hatten sie noch ein kleines für die Kunst gebaut, wohinein jetzt mehrere Kenner uns Dilettanten mit brennenden Fackeln zogen, um bei dem sich bewegenden Lichtscheine die Todten drinnen möglichst lebendig sich einzubilden. Ich habe auch dann und wann meine Kunstlaunen, aus mehr oder minderer Bosheit, und trete oft gern aus der großen Kunstkammer in die kleine, um zu sehen wie der Mensch, auch ohne den Haupttheil alles Lebens, das Leben selbst, einblasen zu können, doch recht artig etwas bildet und schnitzt, wovon er nachher meint, es gehe noch über die Natur.

Ich folgte den Kennern und Dilettanten!

Und vor mir standen die steinernen Götter als Krüppel ohne Arme und Beine, ja einige gar mit fehlenden Häuptern; das Schönste und Herrlichste, wozu die Menschenmaske sich je ausgebildet hatte, der ganze Himmel eines großen gesunkenen Geschlechts, als Leichnam und Torso wieder ausgegraben aus Herkulanum und dem Bette der Tiber. Ein Invalidenhaus unsterblicher Götter und Helden, hineingebaut zwischen eine erbärmliche Menschheit.

Die alten Künstler, die diese Göttertorsos gedacht und gebildet hatten, zogen verhüllt vor meinem Geiste vorüber. –[151]

Jezt kletterte ein kleiner Dilettant von den Anwesenden an einer medicäischen Venus ohne Arme, mühsam hinauf, mit gespiztem Munde und fast thränend, um, wie es schien, ihr den Hintern, als den bekanntlich gelungensten Kunsttheil dieser Göttin, zu küssen. Mich ergrimmte es, weil ich in dieser herzlosen Zeit nichts weniger ausstehen kann, als die Frazze der Begeisterung, wozu sich manche Gesichter verziehen können, und ich bestieg erzürnt ein leeres Piedestal, um einige Worte zu verschwenden.

»Junger Kunstbruder! – redete ich ihn an. – Der göttliche Hintere liegt Ihnen zu hoch, und Sie kommen bei Ihrer kurzen Gestalt nicht hinauf, ohne sich den Hals zu brechen! Ich rede aus Menschenliebe, denn es thut mir leid, daß Sie sich unter Lebensgefahr versteigen wollen. Wir sind seit dem Sündenfalle, vor dem Adam bekanntlich, nach der Versicherung der Rabbinen, seine hundert Ellen maß, merklich kleiner geworden, und schwinden von Zeit zu Zeit immer mehr, so daß man in unserm Säkulo vor allen solchen halsbrechenden Versuchen, wie der vorliegende ist, ernstlich warnen muß. Was wollen Sie überhaupt bei der steinernen Jungfrau, die in diesem Augenblicke zu einer eisernen für Sie werden würde, wenn ihr nicht die ächten Arme zum Umschlingen fehlten; denn mit den ergänzten hat es keine Noth, sie dienen nicht einmal zu einer Berlichingensfaust, und gleichen nur den angehefteten hölzernen, an den Körpern zerschossener Soldaten. O Freund, was die Kunstärzte der neuern Periode auch immer heilen und flicken mögen, sie bringen doch die von der tückischen Zeit verstümmelten Götter, wie z.B. diesen daliegenden Torso, nicht[152] wieder auf die Beine, und sie werden immer nur als Invaliden und emeriti hier in Ruhe gesezt verbleiben müssen. Einst, als sie noch aufrecht standen, und Arme und Schenkel und Häupter hatten, lag ein ganzes großes Heldengeschlecht vor ihnen im Staube; jezt ist das umgekehrt, und sie liegen im Boden, während unser aufgeklärtes Jahrhundert aufrecht steht, und wir selbst uns bemühen leidliche Götter abzugeben.

Kunstfreund, wohin sind wir gekommen, daß wir es wagen, diese großen Göttergräber aufzuwühlen, und die unsterblichen Todten ans Licht zu ziehen, da wir doch wissen, wie hart bei den Römern die bloße Verletzung der Menschengrüfte verpönt war. Freilich achten Aufgeklärte diese Verstorbenen jezt geradezu für Götzen, und die Kunst ist nur noch eine heimlich eingeschlichene heidnische Sekte, die an ihnen vergöttert und anbetet – aber was ist es auch mit ihr, Kunstfreund? Die Alten sangen Hymnen und Aeschylus und Sophokles dichteten ihre Chöre zum Lobe der Götter; unsere moderne Kunstreligion betet in Kritiken, und hat die Andacht im Kopfe, wie ächt Religiöse im Herzen.

Ach, man soll die alten Götter wieder begraben! Küssen Sie den Hintern, junger Mann, küssen Sie, und damit gut!

Auf der andern Seite, Freund, wollen Sie nicht mehr anbeten, so sollen Sie auch nicht weiter auf Kosten der Natur bewundern; denn der Menschwerdung dieser Götter widersetze ich mich standhaft. Sie haben die Wahl; entweder beten, oder begraben! –[153]

Nicht so aufgeschaut, Lieber! Führen Sie die Natur, die ächte meine ich, wo möglich in Person einmal in diesen Kunstsaal, und lassen Sie sie reden. Beim Teufel, sie wird lachen über die komische Menschenmaske, die ihr so abgeschmackt wie der Popanz in Horazens Briefe an die Pisonen erscheinen muß.

Lassen Sie sie sprechen, ob sie jemals zu dieser Zehe diese Nase, zu diesem Munde jene Stirn, zu die ser Hand jenen Hintern wirklich geschaffen haben würde; – ich wette sie würde verdrießlich werden, wenn Sie ihr so etwas einreden wollten! Dieser Apoll wäre vielleicht ein Krüppel, hätte sie ihn von der kleinen Zehe fortgesetzt, dieser Antinous ein Thersites und jener tragische gewaltige Laokoon gar eine Art von Kaliban, wenn nach Naturgesetzen alles reformirt werden sollte. Ja was möchte dann wohl aus dieser Minerva werden, die jetzt bis zum höchsten Punkte des Ideals hinaufgearbeitet vor Ihnen steht, indem nämlich das Haupt an ihr defekt ist, worin der weise Geist thront, der nach Geisterart sich unsichtbar gemacht hat.

Diese Minerva ohne Kopf erregt überhaupt noch in weit größerem Maaße meine Aufmerksamkeit, als der Agamemnon mit verhülltem Haupte, in dem bekannten Gemälde des Timanthes. So wie dieser nämlich den Künstlern die Regel gegeben hat, den höchsten unendlichen Schmerz nur errathen zu lassen, so scheint jene dasselbe in Hinsicht auf die Urschönheit anzudeuten. Unsere modernen richten sich auch danach, und ihre Köpfe sind in doppelter Hinsicht nur als Surrogate von Köpfen anzusehen, und stehen da oben nur gleichsam wie die[154] Knöpfe auf Thürmen, zum bloßen Schlusse der Gestalt. – Die Alten backten, wie jener Prometheus dort im Winkel, ihre Menschen zwar auch aus Thon, aber sie schufen den Sonnenfunken mit hinein; – wir spielen mit dem Feuer nicht gern, aus Furcht vor Gefahr, und lassen deshalb den Funken weg; – ja es giebt jetzt sogar eine allgemeine Feuerpolizei – eine Zensur und Rezensur – die schnell genug jedwede Flamme, die emporlodern will, erstickt. So kann denn der Sonnenfunken bei uns nicht aufkommen. Weise Einrichtung des Staates, der lieber gute brauchbare Maschienen, als kühne Geister unter seinen Bürgern duldet, der den Fuchs selbst zum Balge herauspeitscht, um den Balg zu benutzen, der die Hände und Füße, als dauerhafte Dreh- und Tretemaschienen, höher anschlägt, als die Köpfe seiner Landeskinder. – Der Staat hat, wie der Briareus, nur einen einzigen Kopf, aber hundert Arme von Nöthen – und damit gut!« –

Ich endete erschrocken, denn bei dem täuschenden Fackelglanze schien sich der ganze verstümmelte Olymp umher plözlich zu beleben; der zürnende Jupiter wollte sich aufrichten von seinem Sitze, der ernste Apoll griff nach dem Bogen und der klingenden Leier, mächtig bäumten sich die Drachen um den kämpfenden Laokoon und die sinkenden Söhne, Prometheus formte mit den Stümpfen seiner Arme Menschen, die stumme Niobe schützte das jüngste ihrer Kleinen vor den herabstrahlenden Sonnenpfeilen, die Musen ohne Hände, Arme und Lippen regten sich durcheinander, wie wenn sie sich bemüheten die alten verklungenen Lieder zu singen und zu spielen – aber es blieb alles still ringsum, und schien nur noch heftige zuckende Bewegung auf einem Schlachtfelde;[155] – nur tief im Hintergrunde stand, ohne Beleuchtung, starr und versteinert ein Furienchor, und schaute finster und schrecklich dem Gewühle zu.[156]

Quelle:
August Klingemann: Nachtwachen von Bonaventura. Frankfurt a.M. 1974, S. 149-157.
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