Zweiter Auftritt

[961] Alter Guelfo. Amalia. Ferdinando. Camilla.


FERDINANDO. Nun ist mir ganz wohl, da ich wieder hier im Hause des Vaters bin. Mich kam eine wunderbare Empfindung an, da ich so den Hegwald herunterfuhr. Aber da ich in Guelfos Hause bin, jedes Bildchen seh, jeden Gegenstand erkenne, des Vaters Liebe fühl, ist mir ganz leicht.

CAMILLA. Du hast mich sehr erschreckt, lieber Ferdinando. Du wardst so bleich – Guelfo, er saß auf einmal so still, und zitterte, ich konnt ihn kaum zu sich bringen. Komm, Ferdinando! Deine Stirne ist noch heiß – er schwitzte Angstschweiß, Vater! – Lieber Ferdinando! –

AMALIA. Sohn! Lieber! Mach mir nicht angst!

ALTER GUELFO. Es kömmt vom Fahren. Es ist heute sehr heiß gewesen.

CAMILLA. Nein! Ihm fehlt was –

FERDINANDO. Es ist nun wieder vorüber. Es ist närrisch! Camilla, ich wollte dir's nicht gleich sagen, aber itzt lach ich selbst drüber. Guelfo, als wir an die Eichen kamen, sah ich in der Ferne meine Gestalt aufsteigen, daß ich mich kannte, und wildes Geräusch schreckte mein Ohr.

AMALIA. Deine Gestalt, Ferdinando?

FERDINANDO. Lebendig! Meine Sinne können mich betrogen haben; ich vergeß es schon wieder.

ALTER GUELFO. Einbildung, Ferdinando! nichts als Einbildung!

FERDINANDO. So nehm ich's auch. Mir ist's nur leid, daß ich meine Camilla erschreckte. Es ist vorüber, und war vorüber, da du[961] mir mit der Hand über die Stirne fuhrst, und riefst. Ich wachte auf, wie aus einem Schrecktraum, und schien mir in Himmel überzugehn. Nun, Vater? Nicht so ernsthaft! Küssen Sie Ihren Sohn noch einmal! Meine Mutter! Laßt mich glücklich sein! Alles will ich's machen, und alles wird mich's machen! Meine Camilla hat Ihnen ihr Herz geschenkt, da sie mir's gab; und ihr Blick gibt Ihnen die Versicherung. O wir werden ein Leben führen – –

AMALIA. Mein lieber Ferdinando! – Ja! wir werden nun recht freudig sein zusammen.

FERDINANDO. O Mutter! Sie sind's! Diese wenige Worte – Sehen Sie mich fort so an!

ALTER GUELFO. Ruh aus, mein Sohn, du überläßt dich zu sehr dem Gefühl! Ruh aus!

CAMILLA. Ich zählte alle Stunden, fragte jeden Augenblick: »Wie weit sind wir noch, Ferdinando?« so begierig war ich, den alten Guelfo wieder einmal zu sehen, und meines Ferdinandos Mutter. Und Ferdinando war gütig, erzählte mir viel von Ihnen, von der herrlichen Gegend, und alles find ich so. »Es ist ein lieblicher Sitz«, sagt' er, »beim Vater.« Und gewiß ist's ein lieblicher Sitz. Eine Gegend, so schön, als eine in Italien. O so die Tiber hinunterzusehen, von der Sonne vergüldet, den süßen Gesang der Vögel – und den Guelfo, die Mutter, meinen Ferdinando – Guelfo, wir wollen der Liebe und Freude leben!


Küßt der Alten Hände, Amalia küßt sie.


ALTER GUELFO. Sie machen mich mein Alter vergessen. Alles vergnügt, verjüngt mich, was ich seh und höre. Ihr Kinder bestürmt des alten Guelfos Herz mit zu viel Liebe; er ist ihrer so wenig gewohnt, daß es ihm Traum scheint. Zwar, wenn Ferdinando da ist, da leb ich immer so im Taumel; denn Ferdinando weiß mit Liebe des Alten Herz warm zu halten. Ferdinando! Ferdinando! Gepriesen sei Gott, daß ich dich wieder einmal in meinen Armen halten kann! daß ich die Wonne fühle, das treue Kind fest an mich zu drücken! Laß dich recht drücken, Guelfos Zierde!

FERDINANDO. Mich nicht allein, mein Vater.

ALTER GUELFO. Ha! Dich allein! Dich allein! Bist du's nicht allein, der dem Vater gütlich tut? der des Vaters Wohltat ist? der des Guelfos Haus erhebt, daß die Feinde vor Neid vergehen? Ja! sie werden sich verzehren in Marter, unser Haus so mächtig zu sehen. Ferdinando, Segen über dich! Daß du hoch emporwachsest[962] im Lande! – Camilla, sein Sie nicht so bewegt! Ruhen Sie! Wir wollen euch zusehn; ihr seid müd, und ich möcht euch zusammen sitzen sehn.

AMALIA. Guelfo! vergiß nicht, ich bitte dich!


Ab.


ALTER GUELFO. Ferdinando, wärst du nicht, ich legte mich hin, und stürbe; denn Guelfo wird sehr geärgert in seinen alten Tagen. Aber nun will ich leben; meine grauen Haare sollen sich weiß färben, und meine Jahre hoch steigen, von dir geleitet. Ich muß es erleben, was aus meinem Ferdinando wird. Jüngst war so ein Hofschranze hier, der erzählte Wunderdinge (und mochte ihn wohl heimlich hetzen) was man aus dir so große Dinge machte – wie schon alle große Häuser aufmerksam würden – daß du des Herzogs rechter Arm wärst – Ha! dacht ich bei mir – seht nur auf Guelfos Stamm – er soll bald Herzog sein.

FERDINANDO. Gnügsamkeit! Nicht zu hoch gespannt, Vater, daß die Sehne nicht springt! Es ist noch Zeit genug; und ich könnte tiefer fallen, je höher.

ALTER GUELFO. Das wollt ich sehn, ich! Was Gnügsamkeit! Man muß steigen, so hoch man kann! war immer mein Denken. Und da ich mich so weit im Gleichgewicht hielt, euch so weit vorgearbeitet hab – also red mir nicht!

CAMILLA. Werden Sie nicht zu ernsthaft!

ALTER GUELFO. Verzeihen Sie mir!

CAMILLA. Nicht doch, Vater! Reden Sie, was Sie wollen, was Ihnen guttut.

ALTER GUELFO. Das ist freundlich, Tochter! Gott erhalt dich mir!

FERDINANDO. Wo ist denn mein Bruder? Ich seh lang nach ihm. Wo ist er?

CAMILLA. Ich dachte, er würde der erste sein, der uns entgegenkäme.

ALTER GUELFO. Ja doch, er! Ich seh ihn manchmal in einem Monat nicht, den wilden Guelfo. Ferdinando, er wird immer unbändiger, stolzer. Rachgierig ist er; stößt mich und seine Mutter ins Grab im blinden Zorn. Er brennt, wie Feuer, wenn wir ihn berühren. Ich bin zu alt, den Sohn Guelfo zu bändigen. Ich muß zittern für ihn. Heute hab ich ihn einmal wiedergesehen, und fast brach er mir das Herz. Er liegt immer im Walde, badet seine Hände in der armen Tiere Blut. Kömmt er einmal, vergräbt er sich, und weh, der sich ihm naht!

FERDINANDO. Vater, ich sagte immer, man muß Guelfo mit Liebe und Nachgeben begegnen, will man ihn gut haben.[963]

ALTER GUELFO. Und tu ich's nicht? und muß ich's tun, ich sein Vater? Doch tu ich's, halt ihn sanft, wie du deine Braut. Meine Amalia tut's auch. Ich fürcht, unser Streicheln macht den Wilden unbändiger.

CAMILLA. Der Ritter hat ein edles Herz.

FERDINANDO. Das hat er, Camilla. – Vater, lassen Sie ihm seine Unbändigkeit, all sein Wesen; wenn's Krieg gibt, braust er aus. Ich will ihn mit meiner Liebe zwingen, mir hold zu sein.

ALTER GUELFO. Ich kenn ihn auch, und mag nicht reden. Ich wollte, mein Herz hing nicht so an ihm.

CAMILLA. Es muß an ihm hängen; der Ritter verdient's.

FERDINANDO. Er ist die Zierde Ihres Hauses, ein Schrecken der Feinde.

ALTER GUELFO. Das ist wahr. Nun – wir wollen ihn mild zu machen suchen. Camilla hat eine liebliche Stimme, und singt in die Laute. Wir wollen täglich harmonische Musik machen, und ihn zähmen. Ich wollt, er hing dem Grimaldi nicht so an, der macht ihn traurig dazu mit seiner Melancholie; das verdirbt ihn völlig. Grimaldi ist ein düstrer Mensch, der nachts im Feld läuft, bei Sturm und Wind, und zu den Sternen ruft. Der Kirchhof soll sein liebster Aufenthalt sein. Ich selbst fand ihn einstens durch die öde Nacht weinen, daß ich erschrak. Das ist Guelfos Gesellschaft.


Quelle:
Sturm und Drang. Band 2, München 1971, S. 961-964.
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