Erste Scene.


[140] Die Gräber und Mausoläen der Könige von Trilinik.

Es ist pechschwarze Nacht, nur so viel Sternen-Licht, daß man den König Caromasko der als Todten-Geripp, doch ohne Kron und Purpur nach den Gräbern seiner Väter herspazirt, sehen kann.1


KÖNIG CAROMASKO sieht sich um, seufzt ein wenig, und schüttelt sich, wie einer der aus dem Schlaf erwacht. Da bin ich nun endlich einmal gestorben! Es hält wahrhaftig hart, bis ich mich von Regierungs-Geschäften, Kron und Scepter, den weichen Sophas, den guten Weinen, feinen Speisen und Madame Colombine trennen konnte. Doch hab ich mir das Ding noch immer fürchterlicher vorgestellt, als es ist. Ich bin leicht und fühle keinen Hunger. Kalt ists ein wenig – vermuthlich haben sie mir deßwegen meinen neusten Mantel mitgegeben. –

Ich bin so funfzig Jahr König von Trilinik gewesen. Eine hübsche Zeit! und läßt sich viel drinnen thun; aber jezt ists, als wie der Wind der über meine Kiefer streicht – als wärs nicht gewesen. Drum ließ ich mir bas wohl seyn. –

Wenn ich aber nun so denke, was für ein elendes, lumpichtes, niederträchtiges Geschmeiß die Menschen sind! Ich war ein Prinz von funfzehen Jahren, ein unbärtiger[140] Junge; regierte über das große Trilinik, über Kerls von 60 Jahren, voll Weisheit und Verstand, mit langen grauen Bärten, und doch sagten mir die Bursche grade zu ins glatte Angesicht, ich wisse mehr als sie alle; sie seyen Dumköpfe gegen mich, ich sey die Sonne die sie erleuchte. Ich glaubte es auch steif und fest, und glaubt es noch hier auf dem Grabe, hätten sie gestern, als ich so furchtsam zwischen der Winkel- Treppe des Lebens und des Todes schwankte, nicht das nehmliche zu meinem Prinz Seiden-Wurm gesagt, der doch bey meinem Scepter! und der Höhle des Tods seys geschworen! dummer ist, als eine Auster! Das ist nun alles was ich in den funfzig Jahren gelernt hab, nehmlich: Daß das Menschenzeug, elendes Lumpen-Gesindel ist, das sich unter einem Seiden-Wurm eben so gut befindet, als unter einem Solon; oder meines gleichen.

Ich muß doch meine königliche Gemahlin Tritina aus dem dumpfen Loch hervorpochen. Ich glaub immer nicht, daß ich Seiden-Wurms Vater bin; der Gauch hat keine königliche Ader an seinem Leibe, und ich hab immer den Schuft von dikem Minister Bim im Verdacht, der da oben die Menschen, die ich noch gestern meine Sclaven nannte, räudig sticht.


Er klopft an der Königin Tritina Gruft.


Frau Gemahlin auf ein Wort! – Machen Sie nicht lange! brauchen nicht vor der Toilette zu sizen, und viel zu schminken. Hab die Ehre mit dürren, hohlen Kiefern zu paradiren, wie Sie –[141]

KÖNIGIN TRITINA aus der Gruft. Ey, sind Sie da Herr Gemahl! Ich hab schon lange auf Sie gewartet! Es ist ein sonderbares Leben hier! Das Zimmer ist etwas eng, und schlecht tapizirt. Man lebt so still – Indessen Sie wissen, ich laß mich nicht gern vor meinem Gemahl ohne Puz sehen. Nur die Haarloken will ich etwas zusammen suchen. Viel Umstände bin ich dermalen nicht gewohnt zu machen. Die Dames d'honneur logirn ein wenig zu weit von mir. Auch haben mir die leidige Würme – Ach! ich kanns Ihnen gar nicht beschreiben, wie dumm es hier ist –

KÖNIG CAROMASKO. Hab ich mirs nicht eingebildet, sie würde solches Zeug machen. Sie hat noch weniger gelernt als ich, denn sie hat nichts als Moden erfunden – Kommen Sie hervor wie Sie sind. Der Wind streicht übern Hag, ich bin etwas bloß, und meine Knochen raßlen.

KÖNIGIN TRITINA mit zerfreßnen Haaren, Lumpen, verrosteten Perlen, zerrauften Blumen und Flitter-Staat. Hu! wie frisch mein Herz! – Sie sind nicht zum Kennen!

KÖNIG CAROMASKO. Hab die Ehre ein gleiches Kompliment zu machen.

KÖNIGIN TRITINA. Aber wo bleiben Sie so lange; oder vielmehr sollt' ich fragen, wo kommen Sie so früh her? denn früh ists immer mein Schaz, in die einsame, grause, kalte Höhle zu kriechen, wenn man beßre Tage gewohnt ist zu leben. Ach! wenn ich Ihnen erzählen sollte, wie ich weinte, als ich das erstemal da stund, keinen Kammerherrn sah – auch nicht den Minister[142] Bim, dem ich gewohnt war in Gnaden meinen Arm zu reichen. Apropos! was macht der dike Bim? Er lebt unverschämt lange –

KÖNIG CAROMASKO. Just recht Frau Gemahlin, daß Sie selbst geruhen, von dem großen Floh anzufangen! Hören Sie einmal! wenns was mit dem Gewissen wäre, so müßt ich mir würklich ein Gewissen draus machen, dem Menschen-Geschlecht von Trilinik eine so dumme Bestie, wie unser Seiden- Wurm ist, zum Regenten zu hinterlassen. Das hat aber in so weit nichts zu sagen; denn hier Frau Gemahlin, liegt mancher Seiden-Wurm; aber um sie herum liegen die Leute, die's nicht besser wollten.

Also um meiner Ehren willen, um meiner kalten Ruhe willen! – Sie sehen, es macht jezt keinen Lermen mehr, keine Poeten, Zeitungs- und Hof-Anectoten – wir haben hier einen so ziemlich kleinen und stummen Hof-Staat – zu fürchten haben Sie demnach nichts – hättens auch eben dort nicht gehabt, da die Geseze so zu sagen, nicht für uns –

KÖNIGIN TRITINA stekt ach eine Loke fest, die eben aus ihrem Kopf-Puz gefallen. Sie machens auch verzweifelt lang –

KÖNIG CAROMASKO. Königin der Eitelkeit! die Flamme deiner Augen ist verloschen, und die scheußliche Verstöhrung hängt um deine schlanke Taille!

KÖNIGIN TRITINA. O Juno! immer noch die harte Art zu reden –

KÖNIG CAROMASKO. Hm! so nakend und hager! –[143] ein Anblik – Uh! ich gleich ihr – Nu! – Also mit dem Seiden-Wurm – ich glaub einmal, daß ich der Vater von Prinz Seiden-Wurm nicht bin, er hat nichts königliches an sich – Sie werden also gestehen Frau Gemahlin –

KÖNIGIN TRITINA wischt die Augenhöhlen. Grausamer! jezt sagen Sie mir solche Dinge, wo Sie wissen, daß die Quelle meiner Thränen vertroknet ist, und ich Ihnen nicht mehr meine Unschuld durch Weinen beweisen kann –

KÖNIG CAROMASKO. Und mich einschläfern – einstreichlen – freilich ists jezt anders –

KÖNIGIN TRITINA. Er sieht Ihnen so ähnlich – so ähnlich – Und Prinz Seiden-Wurm hat hübsche Wissenschaften. Er spricht unvergleichlich in Gesellschaften. Hat Wiz, erstaunend viel Wiz. Weiß etwas unverschämtes mit der feinsten Manier zu sagen. Spricht seinen Vers. Hat die französische Finanziers studirt. Spricht von allgemeinen Monarchien. Liebt die Soldaten, weils Mode ist. Macht Schulden, glaubt seinen Ministres wie Sie thaten. Hält die Menschen für Sclaven, wie Sie thaten. Ist das nicht Ihr Bild, bis auf jeden Zug getroffen. Herr Gemahl. Legt den zerfreßnen Palladin in Ordnung. Nun hab ich ihn in der Enge!

KÖNIG CAROMASKO etwas verlegen. Es ist all nicht wahr. Wenns noch so etwas wäre; aber – und Frau Gemahlin, was wagen Sie, gewisse Anzüglichkeiten – Die Prinzeßin Purperine – giebts eine eitlere, verliebtere, verschwenderische Seele in Trilinik, und ist[144] das nicht Ihr Bild Frau Gemahlin? Hat sie der Prinz Aster von Surisur nicht deßwegen sizen lassen –

KÖNIGIN TRITINA. Purperine macht mir Ehre; ich hab sie erzogen nach allen Methoden der erleuchteten Philosophen. Und kennt sie nicht alle Wissenschaften, alle Spiele? hat sie nicht alle Romanen gelesen? Was Prinz Aster anlangt – so ist er –

KÖNIG CAROMASKO. Frau Gemahlin, Sie werden sich also nicht bequemen, mir zu sagen, ob Prinz Seiden-Wurm die Frucht meiner Lenden, oder ob etwa Herr Bim – dem Sie gewohnt waren, den Arm –

KÖNIGIN TRITINA. So lebt er noch der dike Bim – Reden wir von etwas anders. Er wird schon kommen, jezt brauchen Sie ihn ja nicht. Lesen wir Ihr Mausoläum. Die Bataillen sind alle drauf gemahlt, die Sie schlagen ließen. Und was macht denn die Colombine, des weisen Harlequins Gemahlin, die Sie mein Herr König Caromasko, einer besondern Aufmerksamkeit würdigten? Sollte die schöne Pedrilla – Es ist just noch Zeit Ihr Eloge zu lesen. Bald wird der Hahn krähen. Dies ist der Ruf ins Schlafzimmer, wenn Sie's etwa noch nicht wissen. Gesellschaft ist alle Nacht hier. Unsre Voreltern lesen Ihre Mausoläen, und erzehlen einander Ihre Thaten. Es geht aber immer erstaunend Wind dabey. Nehmen Sie sich in Acht Herr Gemahl, daß es Ihnen nicht auch so geht. Ha! ha!

KÖNIG CAROMASKO. Haben sich nicht ein bischen geändert. – Der Seiden-Wurm – Was das jezt ein Lamento in Trilinik seyn wird, wegen meinem Absterben.[145] – Ich muß doch gehen und mein Mausoläum lesen, ich hab mich bey meinem Leben immer dafür gefürchtet.

KÖNIGIN TRITINA. Herr Gemahl, Visite!


Quelle:
Friedrich Maximilian Klinger: Dramatische Jugendwerke. Band 3, Leipzig 1913, S. 140-146.
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