Drittes Buch
1.

[85] Der Teufel hatte Fausten durch einige Abenteuer geführt, die nebst den vorhergehenden seinem Herzen bloß zur Vorbereitung auf die Stürme des Lebens, welche er vermöge seiner Menschenkenntnis vorsah, dienen sollten. Das, was Faust bisher gesehen hatte, erfüllte seinen Busen höchstens mit Hohn und Bitterkeit; aber die Szenen, die sich nun eröffnen, rissen nach und nach solche tiefe Wunden hinein, daß sein Verstand sie nicht mehr zu tragen und zu heilen fähig war. Und nur ein Großer der Erde oder, welches meistens einerlei ist, ein Schöpfer und Mitwürker des menschlichen Elends, kann sie gelassen ansehen.

Der Teufel und Faust ritten unter Gesprächen an der Fulda hin, als sie unter einem Eichbaum, nahe bei einem Dorfe, ein Bauernweib mit ihren Kindern sitzen sahen, die leblose Bilder des Schmerzes und der stumpfen Verzweiflung zu sein schienen. Faust, den die Tränen ebenso gut wie die Freude anzogen, nahte sich hastig und fragte die Elenden um die Ursach ihrer Not. Das Weib sah ihn lange starr an. Nur nach und nach taute sein freundlicher Blick ihr Herz so weit auf, daß sie ihm unter Tränen und Schluchzen folgen des mitteilen konnte:

»In der ganzen Welt ist niemand unglücklicher als ich und diese arme Kinder. Mein Mann war dem Fürstbischof seit drei Jahren die Gebühren schuldig. Das erste Jahr konnte er sie wegen Mißwachs nicht bezahlen, das zweite fraßen die wilden Schweine des Bischofs die Saat auf, und das dritte ging seine Jagd über unsre Felder und verwüstete die Ernte. Da der Amtmann meinen Mann beständig mit Pfändung bedrohte, so wollte er heute ein gemästetes Kalb mit dem letzten Paar Ochsen nach Frankfurt führen, sie zu verkaufen, um die Gebühren zu bezahlen. Als er aus dem Hofe fuhr, kam der Haushofmeister des Bischofs und verlangte das Kalb für die fürstliche Tafel. Mein Mann stellte ihm seine Not vor, bat ihn, die Ungerechtigkeit zu bedenken,[85] daß er das Kalb für nichts hingeben sollte, das man ihm in Frankfurt teuer bezahlen würde. Der Haushofmeister sagte, er wisse doch wohl, daß kein Bauer etwas über die Grenze führen dürfte, was ihm anstünde. Der Amtmann kam mit den Schergen dazu, anstatt meinem Manne beizustehen, ließ er die Ochsen ausspannen, der Haushofmeister nahm darauf das Kalb, mich trieben die Schergen mit den Kindern von Haus und Hof, und mein Mann schnitt sich in der Scheune aus Verzweiflung den Hals ab, während sie unser Hab und Gut wegführten. Da, seht den Unglücklichen unter diesem Tuche! Wir sitzen hier, seinen Leichnam zu bewachen, damit ihn die wilden Tiere nicht fressen, denn der Pfarrer will ihn nicht begraben.«

Sie riß das weiße Tuch von der Leiche weg und sank zu Boden. Faust fuhr bei dem schrecklichen Anblick zurück. Dicke Tränen drängten sich aus seinen Augen, er rief: »Menschheit! Menschheit! ist dies dein Los?« zum Himmel. »Ließest du diesen Unglücklichen darum geboren werden, daß ihn ein Diener deiner Religion durch Verzweiflung zum Selbstmord treibe?« Er deckte den Unglücklichen zu, warf der Frau Gold hin und sagte: »Ich gehe zum Bischof, ich will ihm Eure unglückliche Geschichte erzählen, er muß Euren Mann begraben, Euch das Eurige zurückgeben und die Bösewichter bestrafen.«

Diese Geschichte machte einen so starken Eindruck auf ihn, daß sie schon an dem bischöflichen Schlosse waren, bevor er seiner Empfindung Luft machen konnte. Man nahm sie sehr gut auf und lud sie zur Tafel. Der Fürstbischof war ein Mann in seinen besten Jahren und so ungeheuer dick, daß das Fett seine Nerven, sein Herz und seine Seele ganz überzogen zu haben schien. Er fühlte nirgends als bei Tische, hatte nur Sinn auf der Zunge und kannte kein andres Unglück, als wenn eine von ihm angeordnete Schüssel nicht geriet. Seine Tafel war so gut besetzt, daß Faust, dem der Teufel durch dienstbare Geister einigemal hatte auftischen lassen, gestehen mußte, ein Bischof überträfe selbst diesen Tausendkünstler an feinem Geschmack. Auf der Mitte des Tisches stund unter andern ein großer fetter Kalbskopf, ein Lieblingsgericht des Bischofs. Er, der mit Leib und Seele bei[86] Tische war, hatte noch nicht gesprochen. Auf einmal erhub Faust seine Stimme:

»Gnädiger Herr, nehmt mir nicht übel, wenn ich Euch die Eßlust verderben muß, aber es ist mir gar nicht möglich, diesen Kalbskopf da anzusehen, ohne Euch eine schreckliche Geschichte zu erzählen, die sich heute ganz nahe bei Eurem Hoflager zugetragen hat. Auch hoffe ich von Eurer Gerechtigkeit und christlichen Milde, daß Ihr den Beleidigten Genugtuung verschaffen und in Zukunft dafür sorgen werdet, daß Eure Angehörigen die Menschheit nicht mehr auf eine so unerhörte Art verletzen.«

Der Bischof sah verwundernd auf, blickte Fausten an und leerte seinen Becher aus.

Faust erzählte mit Wärme und Nachdruck die obige Geschichte, keiner der Anwesenden schien darauf zu horchen, der Bischof aß fort.

FAUST: Mich dünkt doch, ich rede hier zu einem Bischof, einem Hirten seiner Herde, und sitze mit Lehrern und Predigern der Religion und christlichen Liebe zu Tische. Herr Bischof, seid Ihr es oder nicht?

Der Bischof sah ihn verdrießlich an, ließ den Haushofmeister rufen und fragte ihn: »He, was ist denn das mit dem Bauern da, der sich wie ein Narr den Hals abgeschnitten hat?«

Der Haushofmeister lächelte, erzählte die Geschichte wie Faust und setzte hinzu: »Ich habe ihm darum das fette Kalb genommen, weil es eine Zierde Eurer Tafel und für die Frankfurter, denen er's verkaufen wollte, zu gut ist. Der Amtmann hat ihn gepfändet, weil er immer ein schlechter Wirt war und seit drei Jahren seine Gebühren nicht bezahlt hat. So verhält sich's, gnädiger Herr, und wahrlich, kein Bauer soll mir etwas Gutes aus dem Lande führen!«

BISCHOF: Da hast du recht. – Zu Faust. Was wollt Ihr nun? Ihr seht doch, daß er wohlgetan hat, dem Bauer das Kalb zu nehmen; oder meint Ihr, die Frankfurter Bürger sollten die fetten Kälber meines Landes fressen, und ich die magern?

Faust wollte reden.[87]

BISCHOF: Hört Ihr, eßt, trinkt und schweigt. Ihr seid der erste, der an meiner Tafel von Bauern und solchem Gesindel spricht, und wenn Euch Euer Rock nicht zum Edelmann machte, so müßt ich denken, Ihr stammt von Bettlern her, weil Ihr ihnen so laut das Wort redet. Wißt, ein Bauer, der seine Gebühren nicht bezahlen kann, tut ebenso wohl, daß er sich den Hals abschneidet, als gewisse Leute tun würden zu schweigen, wenn sie einem die Eßlust mit unnützem Gerede verderben. – Haushofmeister, dies ist ein vortrefflicher Kalbskopf –

HAUSHOFMEISTER: Es ist eben der von Hans Ruprechts Kalbe.

BISCHOF: So! So! Gib ihn her und reiche mir die Würze. Ich will ihm ein Ohr herunterschneiden – er wird auch dem Schreier dort schmecken.

Der Haushofmeister stellte die Schüssel vor den Bischof. Faust raunte dem Teufel etwas ins Ohr, und in dem Augenblick, da der Bischof das Messer an den Kalbskopf setzte, verwandelte ihn der Teufel in den Kopf Ruprechts, der wild, gräßlich und blutig dem Bischof in die Augen starrte. Der Bischof ließ das Messer fallen, sank rücklings in Ohnmacht, und die ganze Gesellschaft saß da in lebloser Lähmung des Schreckens.

FAUST: Herr Bischof und Ihr, geistliche Herren, laßt Euch nun diesen da christliche Milde vorpredigen!

Er brach mit dem Teufel auf.




2.

Die Unempfindlichkeit des Fürstbischofs und seiner Tischgenossen, die Faust bei der Erzählung dieser traurigen Geschichte wahrnahm, die Art, wie dieser über das Schicksal dieses Unglücklichen entschied, legte den ersten Samen zum finstern Groll in sein Herz. Er lief in seinem Geiste seine vorige Erfahrung und das, was er, seitdem er mit dem Teufel herumzog, gesehen, durch und entdeckte, wohin er sich wandte, nichts als Härte, Betrug, Gewalttätigkeit und Bereitwilligkeit zu Lastern und Verbrechen, um des Golds, des Emporsteigens und der Wollust[88] willen. Er seufzte tief in seinem Herzen und sah mit feuchtem Auge gen Himmel: »Du hast allen, von dem Größten bis zu dem Kleinsten, den Anspruch von Glück und Genuß ins Herz gelegt! allen das Gefühl von Recht und Unrecht mitgeteilt. Hast sie alle gleich empfindlich für Schmerz und Freude gemacht! Warum kann und darf ein einziger diese anerkannten Ansprüche und Gefühle verletzen? Wie kann der Mensch vor deinem Angesicht gegen den Menschen wüten?« Noch wollte er die Ursache dazu in dem Menschen selbst suchen; aber sein unruhiger, zu Zweifeln geneigter Geist, seine Einbildungskraft, die so gern über die nähern Verhältnisse wegflog, sein erbittertes, heftig teilnehmendes Herz fingen schon jetzt an, in dunklen Gefühlen den Schöpfer der Menschen wo nicht zum Urheber, doch wenigstens durch seine Duldung zum Mitschuldigen alles dessen zu machen, was ihm Empörendes aufstieß. Diese dunkle Empfindungen brauchten nur einen stärkern Stoß, um seinen Verstand zu verwirren, und der Teufel freute sich darauf, die Veranlassung darzu in der Ferne wahrzunehmen. Faust hoffte sich bald an dem Hof des berühmten Fürsten von diesem Mißmut zu heilen, und in diesem Wahn ließ ihn sein Gefährte sehr gerne.

Sie kamen gegen Abend in eine Stadt, wo sie bei dem Einritt eine Menge Volks um einen Turm versammelt fanden, in welchem man die zum Tod Verurteilten die letzte Nacht ihres Lebens zu bewachen pflegte. Faust merkte, daß einige wild, andre gerührt hinaufsahen, und erkundigte sich um den Grund dieser Äußerungen. Das Volk schrie untereinander:

»Unser Vater, der Freund der Freiheit, der Beschützer des Volks, der Rächer der Unterdrückung, der Doktor Robertus sitzt da oben! der harte, tyrannische Minister, sein Freund, hat ihn zum Tod verdammt, und Morgen soll er hingerichtet werden, weil er uns gegen ihn so kühn verteidigt hat.«

Diese Worte fielen in die Seele Fausts. Er faßte eine hohe Meinung von dem Manne, der sich auf Gefahr seines Lebens zum Rächer der Menschen aufgeworfen; und da er soeben ein Augenzeuge der Folgen tyrannischer Gewalttätigkeit gewesen war, so forderte er den Teufel schnell auf, ihn zu diesem Doktor zu[89] bringen. Der Teufel führte ihn seitwärts, schwang sich mit ihm auf den Turm und trat mit ihm in das Gefängnis des Rächers der Freiheit. Faust sah da einen Mann vor sich, dessen stolze, kühne, düstre Gesichtsbildung jeden andern als ihn zurückgestoßen hätte; aber es tat eine ganz andre Würkung auf ihn, und da er ihn in diesem entscheidenden Augenblick ruhig und gelassen fand, so setzte seine rasche Einbildungskraft aus dem, was er gehört hatte und was er vor sich sah, beim ersten Blick das Bild eines großen Mannes zusammen. Der Doktor schien über ihre plötzliche Erscheinung gar nicht betroffen. Faust nahte sich ihm und sagte:

»Doktor Robertus, ich komme, Eure Geschichte aus Eurem eignen Munde zu hören, nicht als wenn ich daran zweifelte, denn Euer Anblick bestätigt das, was ich vernommen habe. Ich bin nun gewiß, daß Ihr als ein Opfer der Gewalt fallt, die das Menschengeschlecht unterjocht und die mich so wie Euch empört. Ich komme, Euch meine Dienste anzubieten, die Euch gegen allen Schein aus dieser traurigen Lage retten können.«

Der Doktor sah ihn kalt an, ließ sein Haupt in seine Hand fallen und anwortete:

»Wohl falle ich als ein Opfer der Gewalt und Tyrannei, und was mir das empfindlichste ist, durch die Hand eines falschen Freundes, der mich mehr seiner Furcht, seinem Neide, als seinen despotischen Grundsätzen aufopfert. Ich weiß nicht, wer Ihr seid und ob Ihr mich retten könnt; aber es liegt mir daran, daß Männer von Eurem Ansehen den Doktor Robertus kennenlernen, der morgen für die Freiheit blutet. Von frühster Jugend lebte der Geist edler Unabhängigkeit, dem der Mensch allein das Große, dessen er fähig ist, zu danken hat, in meiner Brust. Früh empörten meine Seele die Gewalt und Unterdrückung, wovon ich Beweise sah und in der Geschichte las, ja bis zur Wut entflammten sie mich, und oft vergoß ich glühende Tränen, daß ich mich unvermögend fühlte, die Leiden der Menschheit zu rächen; zu meiner Qual erfuhr ich aus der Geschichte der edlen Griechen und Römer, welche große Ansprüche der Mensch auf Würde und Achtung hat, wenn ihn die Tyrannen das sein[90] lassen, wozu ihn die Natur gemacht hat. Glaubt darum nicht, ich sei einer der Toren, welche die Freiheit dahinein setzen, daß jeder tun kann, was ihm gefällt. Wohl weiß ich, daß die Kräfte des Menschen verschieden sind und ihre Lage im bürgerlichen Leben bestimmen müssen, aber da ich mich nach Gesetzen umsah, die einem jeden diese Lage, sein Gut und seine Person sicherten, so fand ich nichts als ein wildes Chaos, das tyrannische Gewalt geflissentlich zusammengemischt hat, um sich zum eigenmächtigen Herrn des Glücks und des Daseins der Untertanen zu machen. Nach dieser Entdeckung schien mir das ganze Menschengeschlecht eine Herde zu sein, gegen die sich eine Bande Räuber verschworen hat, sie nach von ihnen nur zu ihrem eignen Vorteil entworfnen Gesetzen zu plündern und zu würgen, ohne daß sie selbst eins erkennen. Denn wo ist das Gesetz, das die Herrscher der Erde fesselt? Ist es nicht Unsinn, daß eben diejenigen, die ihre Macht dem Mißbrauch der Leidenschaften und des Übermuts am meisten aussetzt, keinem Gesetz unterworfen sind und keinen Richterstuhl anerkennen, der sie zur Verantwortung ziehen könnte? Wollt Ihr den Himmel dafür annehmen, meinetwegen, sie stehen sich gut dabei, er scheint taub gegen das Winseln der Elenden, der Jammer ist nah, die versprochne Rache ferne, und dies reimt sich schlecht mit dem Gefühl und der Natur des Menschen.«

Faust faßte dieses stark auf, blickte düster und strich über seine Stirne. Den Teufel ergötzte der Redner, er fuhr fort:

»Der wilde Ungestüm, den ich nach dieser Entdeckung äußerte, macht meinem Herzen Ehre, und ich kümmre mich wenig darum, daß meine Feinde meine Klugheit antasten. Denn was anders heißt den Menschen Klugheit als blinde Unterwerfung, Niederträchtigkeit, Schmeichelei, Gleichgültigkeit darüber, wie man einen Posten erschleicht, wenn man nur dahingelangt, mit zu unterdrücken und mit zu plündern? Nur dieses nennen sie klug sein, aber ein Mann wie ich sucht das Glück auf reinern Wegen. Mein Unglück war, daß ich mit dem jetzigen Minister von der Schule an aufs innigste verbunden war. Er besitzt den Geist, der dazu gehört, emporzukommen, von frühster Jugend suchte er[91] durch mir entgegengesetzte Grundsätze Aufsehn zu machen und verteidigte in eben dem Maße die tyrannische Regierungsformen, als ich sie antastete. Wir stritten über diesen kitzlichen Punkt geheim und öffentlich, ich schlug ihn mit meiner Beredsamkeit überall nieder, aber wenn es natürlich war, daß ich den unterdrückten Teil der Menschheit auf meine Seite zog, so war es noch natürlicher, daß es ihm gelingen mußte, alle die zu gewinnen, deren Vorteil die Unterjochung der Menschen ist. Da es nun eben diese sind, die ihren Mitverschwornen die Türe zum Glück und den Ehrenstellen öffnen, so ward er bald hervorgezogen, stieg von Stufe zu Stufe bis zur Stelle des Ersten im Lande, während ich vernachlässigt, verkannt und verachtet sitzen blieb. Der Stolze wandte alle Mittel an, mich an sich zu ziehen, trug mir bald diese, bald jene Stelle an; aber ich merkte wohl, daß er mir dadurch nur seine Größe fühlbarer machen wollte und daß seinem Triumph nun weiter nichts mehr abginge, als daß ein Mann von meinen Grundsätzen ihn als Beschützer erkennte und öffentlich seine harte Regierung durch seinen Beitritt heiligte. Überdem wollte mich der Listige dem Volk, das an mir hing, immer verdächtiger machen. Ich aber, meinen Grundsätzen getreu, griff seine Fehler bei jeder Stufe, die er stieg, um so heftiger an. Ihr seht wohl, daß ihm, wenn er fähig wäre, groß zu fühlen, dieser edle Kampf Bewundrung für den hätte einflößen müssen, der ihn mit so vieler Gefahr für sich unternahm. Auf ihn tat es eine andre Würkung. Sein Haß gegen mich nahm bei jeder meiner Äußerungen zu, und da ich ihn in einer Schrift vergangnen Monat sehr heftig angriff, worauf sich das Volk vor seinem Hause versammelte, ihm drohte und meinen Namen laut ausrief, so legte er diese Schrift vor den Fürsten, der ein Gericht niedersetzte, das mich zum Tod verdammt hat. So verurteilt das Gesetz der Tyrannen; aber das Recht der Menschheit spricht mich los. Dieses ist meine Geschichte, und weiter sollt Ihr nichts von mir hören. Ich sterbe ohne Klage und bedaure nichts, als daß ich die Kette nicht zerbrechen kann, woran das Menschengeschlecht gefesselt ist. Könnt Ihr helfen, gut; doch wißt, aus meines Feindes Hand ist mir der Tod willkommner als Gnade. Laßt mich nun[92] ruhig, kehrt in die Sklaverei zurück, ich schwinge mich zur Freiheit auf!«

Faust war ganz durchdrungen von der Größe des Doktors und machte sich schnell auf den Weg, diesen Minister zu sprechen, ihm seine Ungerechtigkeit vorzuwerfen und ihn zu beschämen. Der Teufel, der tiefer sah, merkte wohl, daß der Freiheitssinn des Doktors aus einem ganz andern Gefühl entstanden war. Der Minister ließ sie gleich vor. Faust sprach warm, kühn und frei über die Lage und Denkart des Doktors. Stellte ihm vor, wie nachteilig es seinem Ruhme sei, einen Mann, den er einst seinen Freund genannt, dem Despotismus zu opfern. Gab ihm zu verstehen, daß jedermann glauben müßte, es reizten ihn Privatrache und Furcht, sich von einem so hellsehenden Beobachter seiner Taten zu befreien. »Ist Euer Tun gerecht«, setzte er hinzu, »so habt Ihr ihn nicht zu fürchten; seid Ihr der Mann, wofür er Euch ausgibt, so bestärkt Ihr durch seine Hinrichtung seine Meinung, und jeder wird in Euch nichts sehen als einen falschen eifersüchtigen Freund und den Unterdrücker seiner Mitbürger.«

MINISTER: Ich kenne Euch nicht und frage auch nicht, wer Ihr seid. Wie ich denke, mag Euch die Art beweisen, mit welcher ich Eure Zudringlichkeit, Eure Vorwürfe und Beschuldigungen aufnehme. Fühlt selbst, ob Ihr ein Recht dazu habt, da Ihr mir sie auf bloßes Hörensagen macht und von der Lage dieses Landes nicht unterrichtet seid. Ich will denken, nur Mitleid spricht aus Euch, und darum Euch antworten. Ich war und bin ein Freund des Doktor Robertus und bedaure es, daß ich in ihm einen Mann der Gerechtigkeit überliefern muß, der durch seine Eigenschaften seinem Vaterlande hätte nützlich sein können, wenn es ihm nicht gefallen hätte, sie zu dessen Untergang anzuwenden. Ich will nach dem Grund zu dieser Verirrung nicht in seinen Busen greifen und es seinem eignen Gewissen überlassen. Lange hatte ich Geduld mit seinem gefährlichen Wahnsinn; da er aber das Volk aufwiegelte, für dessen Bestes ich zu sorgen habe, und sich zum Haupt einer Empörung aufwarf, so muß er sterben, wie es mein einziger Sohn müßte, wenn er ein gleiches unternehmen sollte. Das Gesetz hat ihn verurteilt, nicht ich, er kennt[93] dieses Gesetz und weiß, welche Folgen Empörung nach sich zieht. Das Urteil der Welt nehme ich auf mich und habe nichts dagegen zu setzen als die Ruhe und das Glück dieses Volks, das es später erkennen wird, daß nur ich sein Vater bin. Wenn es Euch nicht genug ist, dem ersten Eindruck zu folgen, so verweilet hier, und wenn Ihr mir dann mit mehrerer Bescheidenheit etwas zu sagen wißt, das diesem Volke und mir nutzen kann, so steht Euch mein Ohr immer offen.«

Nach diesen Worten, die er mit festem und unverstelltem Tone aussprach, zog er sich zurück und ließ Fausten, der keine Antwort finden konnte, stehen. Dieser sagte beim Weggehen zu dem Teufel: »Welchem von beiden soll ich nun glauben?« Der Teufel zuckte die Schultern, denn da, wo es ihm für die Hölle nützlich, nachteilig für Fausten und die Menschen schien, wollte er nichts zu wissen scheinen.

FAUST: Daß ich doch dich frage! Ich will dem Rufe meines Herzens folgen; ein solcher Mann, der mir so nah durch seine Denkart verwandt ist, soll nicht sterben!

Hätte Faust unsre junge Freiheitsschreier gekannt, er würde sich in dem Doktor Robertus nicht geirrt haben, aber ihm war die Erscheinung neuer als uns.

Morgens, da die Hinrichtung vor sich gehen sollte, begab sich Faust mit dem Teufel nach dem Markte und unterrichtete ihn im Gehen von seinem Willen. In dem Augenblick, als der Henker dem Doktor, der mit wilder Miene niederkniete, das Haupt abschlagen wollte, verschwand dieser. Der Teufel führte ihn durch die Luft über die Grenze, stellte ihm auf Fausts Befehl eine große Summe Gelds zu und überließ ihn freudig seinem Geschicke, denn er sah voraus, wozu er dieses und seine Freiheit anwenden würde. Das Volk erhub ein Freudengeschrei bei dem Verschwinden des Doktors, glaubte, Gott selbst beschütze seinen Liebling, Faust schrie mit und freute sich der schönen Tat.
[94]

3.

Faust und der Teufel ritten nun nach dem Hofe des Fürsten von ***. Nicht aus Furcht verschweige ich die Namen der teutschen Fürsten und Großen, die in diesem Werk auftreten7, sondern weil die geheimen, von mir entdeckten Triebfedern ihrer Handlungen zu oft mit ihren lügnerischen, schmeichlerischen und unwissenden Geschichtschreibern im Widerspruch stehen und die Menschen, die sich so gerne betrügen lassen, an der Echtheit meiner geheimen Entdeckungen zweifeln möchten. Welcher Herkules kann den Schutt ausräumen, den die Geschichtschreiber zusammengetragen haben?

Sie erreichten bald den Hof dieses Fürsten, der als ein Muster eines klugen, tugendhaften, gerechten Regenten, als ein Vater seiner Untertanen in ganz Teutschland ausgeschrien war. Seine Untertanen selbst wollten freilich nicht immer in diesen Ton mit einstimmen; aber der Fürst soll noch geboren werden, der es allen recht macht. Ein Gemeinspruch der Politik, der wie alle Gemeinsprüche öfterer dazu dient, den schlechten Fürsten schlechter zu machen, als dem guten sein schweres Amt im rechten Gesichtspunkt zu zeigen.

Faust und der Teufel fanden durch ihren Aufwand und ihr Betragen bald Eingang am Hofe. Faust sah den Fürsten mit den Augen eines Mannes an, dessen Herz durch das Vorurteil schon gestimmt war; dieses Vorurteil nun bis zur Überzeugung zu treiben, erforderte es vielleicht weniger als das edle Äußere des Fürsten. Er schien oder war grad und offen. Suchte zu gefallen und die Herzen zu gewinnen, ohne es merklich zu machen, war vertraulich, ohne sich etwas zu vergeben, und besaß jene kluge Kälte, die Ehrfurcht einflößt, ohne daß man sich die Ursache davon deutlich anzugeben weiß und ohne daß man einen starken Trieb fühlt, ihr nachzuspüren. Dieses alles war mit so viel Würde, Feinheit und Anstand umhüllt, daß es dem geübtesten Auge schwerfiel, das Erlernte, Erkünstelte und Erworbene von[95] dem Natürlichen zu unterscheiden. Faust, der noch wenige Weltleute gesehen hatte, die ihren natürlichen Charakter an der politischen Klugheit abgerieben haben, setzte sich aus Obigem ein Ideal zusammen, und nachdem er einige Zeit den Hof besucht und die Hauptpersonen desselben alle gefaßt zu haben glaubte, so fiel eines Abends zwischen ihm und dem Teufel folgendes Gespräch vor:

FAUST: Ich habe dir diese Tage vorsätzlich nichts von diesem Fürsten sagen wollen; aber nun, da ich mir schmeichle, ihn gefaßt zu haben, wage ich es, mit Zuversicht zu behaupten, daß das Gerücht kein Lügner ist, und ich hoffe dir das Geständnis abzuzwingen, er sei, was wir suchen.

TEUFEL: Faust, ich merke schon, wo du hinaus willst, und du gibst dem Teufel eine sonderbare Bestimmung; doch hiervon ein andermal. Dein Fürst da ist nun freilich ein ganzer Mann, ich werde dir auch nichts von meinen Bemerkungen über ihn sagen, denn wie ich diesen Abend bei dem Minister ausgespäht habe, so ist etwas auf dem Wege, das dich anschaulich von seinem Werte überzeugen wird; bis dahin halte das Ideal von ihm warm in deinem Busen und sage mir, was hältst du von dem Grafen C***, seinem Günstling?

FAUST: Verwünscht! dies ist der einzige Umstand, mit dem ich nicht fertig werden kann. Er ist sein Busenfreund und doch so glatt wie ein Aal, der dir immer entwischt, und so geschmeidig wie ein Weib gegen ihren Mann, wenn sie auf Ehebruch sinnt. Indessen gehört dies vielleicht zu seiner Lage, sein Inneres so zu verdecken und zu übertünchen, daß keiner von denen, die sich so gern an begünstigte Große hängen, an etwas fassen soll.

TEUFEL: Sein Inneres? Glaubst du, Faust, der Mann, der so mühsam arbeitet, sich zu verbergen, habe ein Inneres, das das Licht verträgt? Traue dem Menschen nicht, in dem Kunst, Verstand und Interesse das Tierische seiner Natur so unterjocht und verdünstet haben, daß sogar die Zeichen seines Instinkts und seiner Sinnlichkeit verloschen sind. Wenn das, was in euch kocht und arbeitet, sich nicht mehr auf eurer Stirne, in euren Augen[96] und Bewegungen zeigt, so seid ihr eurer Natur entsprungen und werdet die gefährlichsten Tiere der Erde, Mißgeburten, die die überfeine Kultur des Verstandes mit der letzten Aufwallung der Wollust zeugt.

FAUST: Wie, so wäre es nicht einmal Verstellung?

TEUFEL: Da hättest du noch etwas vor dir; denn auch eine Maske hat Bedeutung, und man enträtselt den Vermummten an Gang, Stimme, Atemholen und Gewohnheiten. Nein, Faust, dieser da ist so ganz, was er ist.

FAUST: Und was ist er denn, im Namen der Hölle?

TEUFEL: Ein Mann, der viel gereist und die Welt gesehen hat. Der an den Höfen Europas herumgezogen ist, den rohen Menschen abgeglättet und die Gefühle des Herzens an dem kalten Lichte des Verstandes versengt hat, kurz, einer der ausgebildeten Köpfe, die alle Verbindung zwischen Geist und Herz zertrümmern, eurer eingebildeten Tugend lachen und mit den Menschen umgehen wie der Töpfer, der das Werk seiner Hände zu den Scherben wirft, wenn es seiner Laune nicht entspricht. Er ist einer von denen, die sich durch ihre Erfahrung berechtigt glauben, die Menschen samt und sonders als ein Pack Raubgesindel zu betrachten, die den auffressen, der ihnen edlen Instinkt zutraut. Nichts freut ihn als ein fein entworfner, glücklich ausgeführter Hofstreich, und er genießt eines Mädchens wie einer Rose, die er vom Stock abbricht, beriecht und dann gleichgültig mit Füßen tritt.

FAUST: Hämischer Teufel, und der Mann, den du da malst, könnte der Busenfreund des Fürsten von *** sein?

TEUFEL: Es wird sich schon zeigen, was er ihm ist; ich sage dir, es ist etwas auf dem Wege. Hast du diesen Abend den Minister bemerkt?

FAUST: Er scheint beklommen und düster.

TEUFEL: Dies ist nun einer von den Menschen, die ihr wackre Männer nennt. Großmütig, arbeitsam und gerecht; aber so, wie es euch immer geht, ein einziger Gran falschen Zusatzes schnellt schon die Waage hinauf. Dieser ist bei ihm der Sinn der Zärtlichkeit für das andre Geschlecht, und da er aus Grundsätzen die[97] Einsegnung des Priesters zu seinem Vergnügen braucht, so vernarrte er sich nach dem Tod seiner ersten Gemahlin in das Weib, das du gesehen hast. Durch sie gab er seinen erwachsnen Kindern eine Stiefmutter, seinen Sinnen einen kurzen Genuß und zertrümmerte das Gebäude seines Glücks. Sie nutzte seine Verblendung, verpraßte durch Üppigkeit, Putz und Spiel ihr, sein und seiner Kinder Vermögen und verwickelte ihn noch obendrein in ungeheure Schulden. Es ist wahr, sie nahm in dem Baron H ***, den du gesehen hast und der eigentlich Herr im Hause ist, einen arbeitsamen Gehülfen dazu. Da man sich nun ganz auf der Neige fühlte, die Phantasie immer mehr wuchs und neue Bedürfnisse ersann, je schwerer es war, die Mittel dazu zu finden, so ließ sich's endlich die Mutter gefallen, einem Plan beizutreten, den ihr Buhler entwarf: Die Tugend ihrer Tochter unter einer zweideutigen Versicherung auf Vermählung so teuer an den Günstling zu verkaufen, als er sie kaufen wollte. Von allem diesem merkt der Minister nichts, fühlt nur die Lücke in seinem Vermögen, die Last der Schulden, das volle Maß seiner Torheit und zittert vor der augenblicklichen Ankunft seines Sohns, den die Mutter aus dem Hause trieb, um ungestörter sein Vermögen zu verprassen. Er hat sich indessen in dem Türkenkriege einen hölzernen Arm geholt. Auch ist's wohl möglich, daß der Günstling, da der Minister viel bei dem Fürsten gilt, anfangs ernsthafte Absichten hatte, aber jetzt hat sich seit einigen Tagen die Szene gänzlich geändert. Der Fürst schlug ihm eine Vermählung mit der reichsten Erbin des Landes vor, und nun brütete er darüber, durch einen kühnen und geheimen Schlag den Minister und sein ganzes Haus so zu zerschmettern, daß keiner es wage, um Rache zu schreien oder ihn anzuklagen. Verstummen sollen sie, als seien sie nie gewesen, und der Minister soll unter seiner Sohle hinsterben wie der Wurm, dessen Ächzen euer hartes Ohr nicht hört.

FAUST: Und diese Tat sollte der Fürst nicht rächen?

TEUFEL: Du sollst die Entwicklung mit eignen Augen sehen.

FAUST: Ich gebiete dir bei meinem Zorn, hier keinen deiner Streiche zu spielen.[98]

TEUFEL: Brauchen die des Teufels, die ihn durch ihr Tun beschämen? Faust, wir fangen nur an, die Decke vor dem menschlichen Herzen aufzuheben; es ist mir aber doch lieb zu bemerken, daß auch ihr Teutschen der Ausbildung fähig seid. Freilich borgt ihr sie von andern Völkern und verliert dadurch den Ruhm der Eigenheit, aber in der Hölle ist man darüber weg und hält sich an den guten Willen.


4.

Faust vertrieb sich die Zeit mit den Weibern, verführte die Hoffräuleins und Zofen, indessen das Drama des Günstlings sich der Entwicklung näherte. Er saß mit dem Baron H*** zusammen und teilte ihm den fein gesponnenen Entwurf mit. Dieser sollte das Werkzeug dazu sein, und da der Glanz des Goldes den Kitzel der langen Buhlerei mit der Frau des Ministers nicht mehr schärfen konnte, überdem die Tränen der unglücklichen Tochter, der Kummer des Vaters, die nahe Ankunft des Krüppels von Sohn seinem zarten Gewissen anfingen beschwerlich zu werden, so war er sehr geneigt, sich dieser Bürde auf eine oder die andre Art zu entledigen. Die Belohnung ging, wie unter Leuten, die sich kennen, natürlich voraus und bestund darin, daß der Graf über sich nahm, bei dem Fürsten auszuwürken, den Baron in einer wichtigen Angelegenheit an den Kaiserlichen Hof zu schicken. Dafür verband sich der Baron, die Frau des Ministers durch eine Summe Gelds, die der Graf herschoß, dahin zu stimmen, ein gewisses Papier, das eins der wichtigsten Dokumente des fürstlichen Hauses enthielt und dessen man soeben wegen einer Streitigkeit mit einem andern fürstlichen Hause benötigt war, aus dem Kabinett des Ministers, dem es übergeben war, darüber zu arbeiten, auf eine unmerkliche Art zu entwenden. Der Graf hoffte dann die Sache so zu drehen, daß aller Schein gegen den Minister sei, als habe er dieses Dokument aus Not der Gegenpartei ausliefern wollen, und daß nur seine eigne Wachsamkeit das fürstliche Haus aus dieser Gefahr gerettet hätte. Die Gemahlin des Ministers glaubte, daß ein Mann, der zu ihren Torheiten kein Gold mehr auftreiben könnte, keine Schonung verdiente,[99] und da sie sich immer schmeichelte, den Günstling mehr zu gewinnen, je gefälliger sie sich ihm erzeigte, so überlieferte sie ohne Bedenken das Papier.


5.

Der Minister ging seufzend und einsam in seinem Zimmer auf und ab. Das Gefühl der bevorstehenden Schande, der Druck peinlichen Kummers, die Gewißheit betrogner Liebe hatte auch seine Tochter, einst sein einziger Trost, von ihm entfernt. Sie weinte verschlossen und zehrte an einem Herzen, das eines bessern Schicksals würdig war, so dorrt die Lilie im einsamen Tale hin, die eine mutwillige Hand am zarten Stengel gedrückt hat. Seine Gemahlin unterbrach seine düstre Einsamkeit, um ihm sein Elend noch fühlbarer zu machen. Bald darauf trat der Baron herein und forderte kalt die Instruktion an den Kaiserlichen Hof. Da der Fürst Befehl dazu erteilt hatte, so ging der Minister in sein Kabinett, um sie zu holen. Indessen hatte seine Gemahlin Zeit, eine Szene der Verzweiflung mit ihrem Buhlen zu rasen. In dem Augenblick, da der Minister dem Baron die Instruktion übergab, kam ein Bote des Fürsten mit einem Handbillett, worin er ihm bedeutete, das Dokument und seine Ausarbeitung an Hof zu bringen, weil man beides dem Abgesandten der Gegenpartei vorlegen wollte. Der Minister suchte in seinem Kabinett, leerte alle Schränke aus, kalter Todesschweiß rann über sein Gesicht; er forschte alle Sekretärs und Schreiber aus, sein Weib, seine Tochter, umsonst, er mußte sich entschließen, sich dem fürchterlichen Sturm in der Unschuld seines Herzens auszusetzen. Er trat vor den Fürsten, der mit dem Grafen allein war, und kündigte ihm sein Unglück an, beteuerte seine Unschuld und unterwarf sich seinem Schicksal. Der Graf ließ die erste Empfindung bei dem Fürsten würken, trat dann kalt näher, zog das Dokument aus der Tasche, übergab es dem Fürsten mit einer tiefen Verbeugung, ließ darauf hart in sich dringen, wie er dazu gekommen, ließ sich sogar mit Ungnade bedrohen und gestund endlich mit dem äußersten Widerwillen den Vorgang der[100] Sache nach seinem entworfnen Plane. Der Minister verstummte, der sprechende Beweis von Schuld verwirrte ihn so, daß selbst das Gefühl seiner Unschuld nicht durch die Finsternis dringen konnte, die diese unerwartete Wendung vor seine Sinne zog. Der Fürst sah ihn wütend an und sagte: »Lange konnt ich von Euch erwarten, daß Ihr endlich die Torheit Eurer Aufführung durch Verräterei an mir heilen würdet.« Dieser Vorwurf zog die Decke von den Augen des Verstummten weg, das Gefühl seiner Redlichkeit wollte seine starre Zunge beleben, der Fürst befahl ihm zu schweigen, seine Stelle niederzulegen, nach Hause zu gehen und sich nicht zu entfernen, bis ein Gericht über ihn gesprochen.

Der Unglückliche ging, dicke Tränen rollten in seinen Bart. Die Verzweiflung entriß seiner Tochter das Geheimnis ihrer Schande und der Mutter das Geständnis ihres Verbrechens. Die Kraft seines Geistes zersprang, seine Sinne verwirrten sich, und nur das schrecklichste Schicksal, das den Menschen treffen kann, Stumpfheit und Wahnsinn, zogen einen düstern Schleier vor das Erinnern des Vergangnen und heilten durch eine gänzliche Zerstörung sein Herz von den grausamen Wunden, die ihm seine Nächsten geschlagen.

In diesem Augenblick führte der Teufel Fausten in das Zimmer des Ministers, er hatte ihn vorher von der ganzen Geschichte unterrichtet. Noch hatte die Zerstörung nicht alle Vorstellungskraft verdunkelt, alle Fibern des Gefühls gelöst, noch stammelte die Zunge die letzten Empfindungen über das erlittene Weh, noch träufelte der letzte Tau aus den Augen des Unglücklichen auf die elende Tochter, die seine Knie umfaßte, die Verzweiflung, der peinlichste Schmerz entstellten. Er lächelte noch einmal, spielte mit ihren heruntergefallnen Haaren, lächelte noch einmal – sein Sohn trat herein und wollte freudig auf ihn zustürzen. Er sah ihn starr an, ein wilder Ton der Raserei, der die Nerven durchbebt, das Herz durchschaudert, drängte sich aus seiner Brust hervor, und der sanfte Dulder ward für immer ein Gegenstand des Schreckens und des peinlichsten Mitleids.


6.

[101] Faust wütete und stieß fürchterliche Flüche aus. Er entschloß sich, dem Fürsten den ganzen Vorgang zu entdecken und den Betrüger zu entlarven. Der Teufel lächelte und riet ihm, leise zu Werke zu gehen, wenn es ihm darum zu tun wäre, diesen Fürsten, den er ihm als ein Muster menschlicher Tugend angepriesen hätte, genau kennenzulernen. Faust eilte so gestimmt nach Hofe, und sicher, durch diese Entdeckung den Fall des Günstlings zu bewürken, enthüllte er dem Fürsten alles in kaltem, gesetztem Tone. Als er auf die Ursache kam, die den Grafen zu dieser scheußlichen Tat verleitet hätte, nämlich sich von der Verbindung mit der Tochter des Ministers zu befreien, heiterte sich das Gesicht des Fürsten auf, er ließ den Grafen rufen, umarmte ihn bei dem Eintritt und sagte:

»Glücklich ist der Fürst, der einen Freund findet, der aus Gehorsam und Furcht, ihm zu mißfallen, auch wohl einen Streich wagt, der die gewöhnlichen Regeln der Moral verletzt. Der Minister hat immer als ein Tor gehandelt, es ist mir lieb, daß ich seiner los bin, und du wirst seine Stelle klüger versehen.«

Faust stund einen Augenblick wie versteinert, endlich durchglühte edle Wärme sein Herz. Er malte mit schrecklichen Farben die Lage des Ministers, brach dann in Wut und Vorwürfe aus, vergaß selbst der fürchterlichen Macht, der er gebot, entbrannte ganz im Gefühl eines Rächers der unterdrückten Menschheit, der einem kalten Tyrannen die Larve abreißt, seines Schicksals unbekümmert. Man entließ ihn als einen Wahnsinnigen. Der Teufel empfing ihn frohlockend, er blieb stumm, knirschte in seinem Innersten und freute sich im giftigen Mißmut, von den Menschen sich gerissen zu haben.


7.

Um Mitternacht ließ der Graf den Teufel und Fausten aufheben und sie in ein enges, schreckliches Gefängnis werfen. Faust befahl dem Teufel, der Gewalt nachzugeben, weil er erfahren wollte, wie weit diese Heuchler ihre Bosheit treiben würden.[102]

Er nagte an den peinvollen Zweifeln seiner Seele in dem dunklen Kerker. Die schreckliche Szene des Tags malte sich immer düstrer vor seinen Augen, und es entsprangen gräßliche Gedanken gegen den, der das Schicksal der Menschen leitet, aus diesen schwarzen Betrachtungen. Sein Inneres war in Aufruhr, endlich rief er hohnlachend aus: »Wo ist hier der Finger der Gottheit? Wo das Auge der Vorsehung, das über die Wege des Gerechten waltet? Wahnsinnig seh ich den Redlichen, den belohnt, der ihn zerschlagen! Dem Tyrannen, der die Tugend heuchelt, entdeckt ich die Bosheit seines Günstlings, und er findet ihn seiner Freundschaft, der Belohnung nur würdiger! Und es wäre Zweck, Ordnung und Zusammenhang in der moralischen Welt? Nun, so sind sie auch in dem Gehirn dieses armen Zerrütteten, den sein Schöpfer ohne Schutz und Rache fallen ließ!« – Er fuhr fort, und der Teufel horchte lächelnd. »Ist der Mensch durch die Kette der Notwendigkeit gezwungen zu handeln, so muß man seine Handlungen und Taten dem höchsten Wesen selbst zuschreiben, und sie hören dadurch auf, strafbar zu sein. Kann von einem vollkommnen Wesen etwas anders als Gutes und Vollkommnes fließen? Nun, so sind es unsre Handlungen, so scheußlich sie uns auch vorkommen mögen, und wir sind ihr Opfer, ohne abzusehen warum. Sind sie sträflich und das, was sie uns scheinen, so ist dieses Wesen ungerecht gegen uns, denn es straft Greuel an uns, deren Quelle es selbst ist. Teufel, löse mir diese Rätsel auf, ich will wissen, warum der Gerechte leidet und der Ruchlose belohnt wird.«

TEUFEL: Faust, du hast zwei Fälle gesetzt, wie, wenn es noch einen dritten gäbe? Nämlich, daß ihr auf die Erde geworfen wärt wie Staub und das Gewürme, ohne Vorsicht und Unterschied. Einem dunklen Wirrwarr überlassen, den man euch wie einen verworrnen Knäuel übergeben hätte, ihn auseinanderzuzerren, und wenn euch das unmögliche Werk nicht gelänge, euch euer strenger Herr und Richter doch zur Rechenschaft dafür aufforderte? Wenn er nun, gleich einem Despoten, eurem Herzen darum solche zweideutige Gesetze und widersprechende Neigungen eingedrückt hätte, um sich die Erklärung des dunklen[103] Sinns derselben vorzubehalten und nach Gefallen zu strafen und zu belohnen?

FAUST: Bei welchem Philosophen bist du in die Schule gegangen, daß du mir ein Wenn nach dem andern auftischest? Ha, ich fühle es, der Mensch soll und muß in der Finsternis tappen, sein Herz durch die Erscheinungen zerreißen lassen, und wenn er's auch mit dem Teufel versucht, Licht und Klarheit zu erringen. Wenn Laster und Torheit den Gang der Welt befördern, so ist die Tugend Unsinn, da sie den nicht schützen kann, der ihr sein Leben weiht. So haben wir dies Gefühl erkünstelt, und unsre tierische Natur, die uns durch die Sinne zum Genuß des Augenblicks treibt, weiß nichts davon. In törichter Hoffnung, in stolzem Wahnsinn blicken wir zu dem Himmel auf und erwarten in der fernen, ungewissen Zukunft den Lohn unsrer Unterwerfung, während der Triumph und Spott des Lasters um uns her erschallt. Hier schwebe ich zwischen meinem zerrißnen Herzen und meinem empörten Verstand, wie der verzweifelnde Schiffer auf dem brausenden Meere, dessen Fahrzeug der Blitz entzündet hat. Vernichtung droht ihm die Glut, Vernichtung die tobenden Wellen. Was soll mir dieses Mitleiden, das mein Herz bei dem Leiden des Menschengeschlechts auflöst? Es werde zu Stein wie die Herzen der Großen und Mächtigen, die die Menschen bloß zu Mitteln ihrer Zwecke nutzen. Ihnen muß ich nun gleich werden und Hohn der Menschheit sprechen. Daß der Keim meines Daseins in dem Schoße meiner Mutter vertrocknet wäre! Daß nie meine Nerven diese Reizbarkeit erhalten hätten, nie das Gefühl von Recht und Unrecht in meiner Brust erwacht wäre! Mußte ich dies an dem Menschen erfahren, um in Gegenwart des Teufels seine Natur zu lästern! Noch einmal, listiger Sophist, löse mir diese Rätsel auf, enthülle mir dies Geheimnis, und wenn auch Gespenster aus dem Dunkel hervorsprängen, die mich durch ihren Anblick töteten.

TEUFEL: Beruhige dich und schüttle diese Zweifel ab, keinem, in Fleisch gehüllt, ist es gegeben, diesen Knoten zu lösen, und Tausende werden sich daran erwürgen. Vergiß den Zweck nicht, den wir uns bei unsrer erstern Zusammenkunft vorgesetzt haben.[104]

Ich versprach, dir den Menschen nackend zu zeigen, um dich von den Vorurteilen deiner Jugend und deiner Bücher zu heilen, damit sie dich im Genuß des Lebens nicht stören möchten; und wenn du wirst eingesehen haben, daß die sogenannte Leitung des Ewigen, dem du um meinetwillen entsagt hast und vor dessen Angesicht ihr ungehindert die scheußlichsten Greuel begeht, nur Wahn eures Stolzes ist, und dir dann noch Kraft im Herzen übrigbleibt, so will ich dir die schaudervollen Geheimnisse eröffnen, die dich nun umhüllen.

FAUST mit bittrem Gelächter: Nun, bei dem Dunkel der Hölle, das uns bei unsrer Geburt bis zum Grabe umdampft, so wär ich noch der Gescheiteste von allen, daß ich dem Wirrwarr entgangen bin und dadurch, daß ich mich dir ergab, mein Schicksal willkürlich bestimmte, es entschied, wie es einem freien Wesen zusteht. In sich mit verbißner Wut. Einem freien Wesen! ha! ha! ha! Ja, frei wie der Jagdhund, den ich am Seile leite und den der Instinkt fortreißt, wenn er das Wild wittert.

TEUFEL: Glaube mir, Spötter, besäßen die Menschen die Zauberkraft, die du dem Dunkel entrissen hast, sie würden bald die Hölle entvölkern und du würdest mehr Teufel auf der Erde herumfahren sehen als Schutzheilige im Kalender stehen oder als eure Tyrannen Soldaten im Solde halten, um euch zu unterjochen. Hei ho! welch ein trauriges Los für einen Teufel, die tollen Begierden eines guten Kopfs auszuführen, was würde dann aus uns werden, wenn es jedem Schuft gelänge, uns aus der Hölle zu rufen?

Diese Bemerkung des Teufels wollte soeben der Laune Fausts eine andre Richtung geben, als auf einmal eine neue Erscheinung ihrer Unterredung ein Ende machte. Es traten sechs Bewaffnete mit einer Blendlaterne herein, denen zwei Henker mit großen leeren Säcken folgten. Faust fragte, was sie wollten, und der Anführer antwortete, sie möchten sich bequemen, in diese Säcke zu kriechen, denn sie hätten den Auftrag, die gnädigen Herren hineinzustecken, die Säcke zuzubinden und in den nahen Fluß zu tragen. Der Teufel erhub ein lautes Gelächter und sagte: »Sieh doch, Faust, der Fürst von *** will dich von dem Enthusiasmus[105] der Tugend abkühlen, den du ihm heute so warm gezeigt hast.« Faust sah ihn ergrimmt an, gab ihm einen Wink; ein höllisches Gesause erfüllte den gewölbten Keller, die Schergen stürzten zitternd zu Boden, und die Gefangnen fuhren hinaus.

Nun erst erwachte das Gefühl der Rache in dem Herzen Fausts und kleidete sich in den Schmuck eines großen edlen Berufs. Der Gedanke fuhr durch seine Seele, die Menschheit an ihren Unterdrückern zu rächen. Ein stolzes Gefühl durchglühte seinen Busen, die Macht des Teufels, dem er sich auf Gefahr seines Selbsts ergeben, zu nutzen, um Gerechtigkeit an den Heuchlern und Bösewichtern auszuüben. Er rief dem Teufel zu:

»Fahre in den Palast und erwürge mir den, der mit der Tugend ein Spiel treibt! Vernichte den, der Verräter belohnt und den Gerechten wissend zertritt! Räche in meinem Namen die Menschheit an ihm.«

TEUFEL: Faust, du greifst der Rache des Rächers vor!

FAUST: Seine Rache schläft, und der Gerechte leidet; ich will den vertilgt sehen, der die Maske der Tugend trägt.

TEUFEL: So gebiete mir, die Pest über die Erde zu hauchen, daß das ganze Menschengeschlecht hinsterbe. Was soll aus ihnen werden, wenn dein Wahnsinn dauert. Du wirst nur die Hölle bevölkern, und alles wird seinen Gang gehen wie vor.

FAUST: Hämischer Teufel, du möchtest ihn retten, daß er der Greuel noch mehr begehen kann; freilich, Fürsten seinesgleichen verdienen den Schutz der Hölle, denn sie machen auf Erden die Tugend verdächtig, da sie das Laster belohnen. Er soll sterben, beladen mit seiner letzten Tat soll er bebend zur Verdammnis fahren.

TEUFEL: Tor, der Teufel freut sich des Mords des Sünders, was ich sage, geschicht bloß darum, mich gegen deine Vorwürfe in Zukunft zu sichern, damit dir keine Entschuldigung übrigbleibe. Die Folgen der Tat sind dein.

FAUST: Sie seien mein, ich lege sie gegen meine Sünden in die Waage. Eile und morde. Sei der Pfeil meiner Rache! Fasse den Günstling und schleudere ihn in den glühenden unfruchtbaren Sand des heißen Libyens, daß er langsam hinschmachte![106]

TEUFEL: Faust, ich gehorche, doch bedenke, Kühner, daß dir das Richteramt nicht gegeben ist.

FAUST: Ich bin der Elendeste der Erde; aber nicht in diesem Augenblick.

TEUFEL: Es ist Selbstrache, Verdruß, dich in ihm betrogen zu haben, die dich treiben.

FAUST: Geschwätziger Teufel, es ist der Rest des Unsinns meiner Jugend, der mich bei schlechten Taten oft zu Mordgedanken reizte. Hätte ich das Unrecht der Menschen sehen und dulden können, würde ich dich aus der Hölle gerufen haben? Eile und vollziehe!

Der Teufel erwürgte den Fürsten auf seinem weichen Lager, faßte den bebenden Günstling und schleuderte ihn den glühenden Sand Libyens, fuhr zu Faust zurück: »Die Tat ist vollbracht!« Sie setzten sich beide auf den schnellen Wind und segelten dem Lande hinaus.

Wie glücklich sind nun unsre Fürsten, daß es keinem mehr so leicht gelingt, den Teufel aus der Hölle zu rufen und ihn zum Werkzeug der Rache der Unterdrückten und Zertretnen zu machen. Wehe den Nabobs der Erde, wenn es einem gelänge!


8.

Faust saß düster auf seinem Pferde; denn da sie über die Grenzen waren, hatten sie auf des Teufels Vermittlung das Fuhrwerk verändert. Die letzte Geschichte nagte noch immer an seinem Herzen; es verdroß ihn, dem Teufel in Ansehung der Menschen gewisse Dinge zugestehen zu müssen, und seine Laune ward um so bittrer, da er selbst anfing, sie in einem andern Lichte zu betrachten. Doch tröstete ihn der Gedanke in seinem Mißmut, den unglücklichen Minister an den Heuchlern gerächt zu haben. Der Stolz schwellte nach und nach sein Herz so auf, daß er beinahe anfing, seine Verbindung mit dem Teufel als das Wagstück eines Mannes anzusehen, der seine Seele für das Beste der Menschen opfert und dadurch alle Helden des Altertums,[107] die nur ihr zeitliches Dasein dransetzten, übertrifft. Noch mehr, da diese um des Ruhms willen sich opferten und also aus Eigennutz handelten, auf den er vermöge seiner Verbindung keinen Anspruch machen konnte, so fiel vor seinen verblendeten Augen alle Vergleichung zwischen ihnen und ihm weg. Setze den Menschen in welche Lage du willst, sei unbesorgt und laß nur seine Eigenliebe würken; du siehst, sie weiß Fausten selbst die Aussicht in die Hölle zu vergulden. Er vergaß in diesem stolzen Gefühl die Beweggründe seiner Verbindung mit dem Teufel, seinen Hang zur Wollust und Genuß und schwärmte sich auf seinem Rosse in gespannter Phantasie zum Ritter der Tugend, zum Rächer der Unschuld. Ja dieser Selbstbetrug ward sogar ein Balsam für seinen gekränkten Geist, und er sah gleichgültiger auf den peinlichen Gedanken, das nicht durch den Teufel entdeckt zu haben, was er so sehnlich zu wissen gewünscht hatte. Sein Herz schlief hierbei so ruhig an dem Abgrund der Hölle ein, als der Fromme in die Arme des Todes sinkt, der ihn in die seligen Gefilde hinüberträgt. Der Teufel ritt neben ihm her und ließ ihn ruhig seine Glossen machen. Er nur sah in jedem dieser vermeinten edlen Gefühle einen neuen Stoff zur künftigen Marter und Verzweiflung, und sein Haß nahm in dem Maße gegen Fausten zu, als sich dessen Aussicht aufheiterte und erweiterte. Er genoß der Stunde voraus, worin alle diese glänzende Lufterscheinungen zusammenstürzen, alle diese bunten Bilder der Phantasie sich in die Farbe der Hölle hüllen und des Kühnen Herz so zerreißen würden, wie nie eines Sterblichen Herz zerrissen ward. Nach langem Schweigen erhub endlich Faust die Stimme:

»Sage mir, wie ist es nun mit dem falschen Günstling?«

TEUFEL: Er schmachtet auf dem glühenden Sande, streckt seine verdorrte Zunge aus dem brennenden Rachen, daß die Luft und der Tau sie erfrischen und befeuchten mögen; aber dort weht kein kühlender Wind, und in Jahrtausenden fällt kein erfrischender Tropfen vom Himmel. Sein Blut kocht wie glühendes Metall in den Adern, die Strahlen der Sonne fallen senkrecht auf sein nacktes Haupt. Schon rollt der Fluch gegen den Ewigen[108] in seinem entflammten Gehirne, seine dürre Zunge vermag nicht, ihn auszusprechen, er arbeitet in dem heißen Sande wie ein Maulwurf, um die feuchte Erde zu lecken, und öffnet sich nur ein Grab. Ist deine Rache befriedigt?

FAUST: Rache? Warum nennst du Ausübung der Gerechtigkeit Rache? Sieh, kalter Schauder überlief meine Haut bei deinen Worten, aber ich sah ihn kalt lächeln, da ich ihm die Marter des Edlen und der Verführten schilderte.

TEUFEL: Die Zeit, die nur langsam den Schleier hebt, mag es entwickeln. Der Bauer, Faust, säet den Hanf, arbeitet ihn zum Stricke, ohne zu ahnden, daß sein strenger Herr ihn einst damit wird geißeln lassen, wenn er die Gebühren und Frondienste nicht abträgt. Was wird aus dir werden, wenn du den Menschen in größerm Wirkungskreise sehen wirst? Wir haben dem Ungeheuer nur die erste Haut abgezogen, was wird es dann sein, wenn wir ihm die Brust aufreißen? Schnell würde der, welcher die Rache sich vorbehalten hat, das Zeughaus des Donners ausleeren, wenn er alle die vernichten wollte, die nach deiner Meinung nicht zu leben verdienen.

Aber er will, daß sie leben, leiden, sündigen und der Strafe reifen. Gleichwohl wäre das Ding von Mensch noch immer gut genug, wenn es nur dem Trieb, alles zu verzerren und zu mißbrauchen, durch seine stolze Vernunft etwas mehr widerstehen könnte oder wollte. Faust, woher mag dies Unvermögen wohl kommen? Wenn du eine Maschine verfertigest, wirst du sie nicht so zurichten, daß sie deinem Zweck entspricht; wenn du nun fändest, daß du dich in deinem Machwerk geirrt hättest, und es eher deinen Zweck hinderte als beförderte, wirst du sie nicht verbessern oder vernichten?

Faust wollte eben antworten, als sie in der Ferne ein Dorf in hellen Flammen sahen. Da ihn nun alles scharf reizte, spornte er sein Pferd, und der Teufel zog hinter ihm drein. Es begegnete ihnen bald ein Haufe fliehender Ritter und Knechte, die eben ein andrer Haufe geschlagen hatte. Als sie dem Dorfe näher kamen, fanden sie das Feld mit Leichen der Reisigen und Pferden bedeckt. Sie sahen unter den Toten einen Knappen, der[109] mit beiden Händen arbeitete, seine herausgestürzte Eingeweide in den Bauch zurückzudrücken; er heulte und fluchte fürchterlich unter dem schmerzlichen Werke. Faust fragte ihn höflich um die Ursache des Zwists, der Knappe schrie: »Schert Euch zu allen Teufeln, Herr Naseweis! wenn Ihr Eure Kaldaunen in frischer Luft sähet wie ich, die Neugierde würde Euch vergehen. Weiß ich, warum sie mir den Bauch aufgerissen haben? Fragt dort den gnädigen Herrn, meinen Junker, den sie auch verstümmelt haben und dem ich dies Frühstück zu verdanken habe.«

Sie nahten einem Ritter, der eine Wunde an dem Schenkel hatte, und Faust tat dieselbe Frage an ihn. Der Ritter antwortete: »Ein Bauer aus dem brennenden Dorfe hat vor einiger Zeit dem mächtigen Rauhgrafen einen Hirsch erlegt. Darauf hat der Rauhgraf den Täter von meinem Herrn gefordert, um ihn nach teutschem Herkommen auf einen Hirsch zu schmieden und zu Tod rennen zu lassen. Mein Herr hat den Bauern nicht herausgeben wollen und die Pfändung an Hab und Gut zu seinem eignen Besten für hinreichende Strafe erklärt. Der Rauhgraf hat hierauf dem Edelmann im Namen Gottes und unter dem Schutze des Kaisers einen Fehdbrief zugeschickt. Die Fehde ist unglücklich für uns ausgefallen, der Rauhgraf hat das Dorf angezündet, es mit seinen Reisigen umgeben, daß keiner der Bauern heraus kann, und wird nun dem Eide Gnüge tun, den er bei dem heiligen Sakrament geschworen, alle die Bauern wie Martinsgänse für seine Hunde und wilden Schweine zu braten.«

FAUST ergrimmt: Wo liegt sein Schloß?

RITTER: Auf jener Höhe, es ist das festeste und prächtigste im Lande.

Faust ritt auf eine Anhöhe und sah im Tale das brennende Dorf vor sich liegen. Die Mütter mit ihren Kindern, Männer und Greise, Jünglinge und Jungfrauen stürzten heraus, warfen sich den Reisigen zu Füßen, flehten verzweifelnd um Rettung. Der Rauhgraf schrie, daß es im Tale erschallte: »Treibt die Hunde zurück! In den Flammen sollen sie alle sterben!« Die Bauern schrien, daß es den Himmel und die Felsen zerreißen müßte: »Wir sind unschuldig, der Euch beleidigt hat, ist entflohen![110] Was haben wir und unsre Kinder verbrochen? Ach, rettet nur sie!« Die Reisigen peitschten sie von der Erde auf, trieben sie nach den Flammen, die Mütter warfen die Kinder nieder, in der Hoffnung, sie würden sich ihrer erbarmen, der Huf der Rosse zerschmetterte sie –

Faust rief wahnsinnig: »Teufel, fliege und kehre nicht zurück, bis du des Wüterichs Schloß mit allem, was es in sich faßt, aufgebrannt hast. Er kehre heim und finde Wiedervergeltung.«

Der Teufel lächelte, schüttelte den Kopf und flog davon. Faust warf sich unter einen Baum und blickte ungeduldig nach dem Schlosse. Als er es in Flammen sah, wähnte der Verwegne, die Ordnung der Dinge hergestellt zu haben, und empfing den zurückkehrenden Teufel mit Zufriedenheit. Dieser fuhr siegend ein her, verkündigte ihm den Jammer, den er angerichtet, und mit welcher Eile der Rauhgraf mit seinen Reisigen nach dem Schlosse zujage; »aber, Faust«, setzte er hinzu, »der Dampf des höllischen Pfuhls wird ihm einst nicht so entgegenstinken als diese deine Tat. Sein junges, vielgeliebtes Weib ist vor einigen Tagen mit dem Erstgebornen niedergekommen.«

FAUST: Rette sie und den Neugebornen.

TEUFEL: Es ist zu spät; die schwache Mutter drückte ihn in ihre Arme, und er brannte auf ihrem Herzen zu Asche.

Diese Post durchschauderte die Seele Fausts, er sagte grimmig: »Ha, wie schnell der Teufel im Zerstören ist!«

TEUFEL: Faust, nicht so schnell als der verwegne Mensch im Urteil und Richten. Hättet ihr unsre Macht, längst würdet ihr die Welt zertrümmert und zum Chaos gemacht haben. Beweisest du es nicht, da du deine Herrschaft über mich so unsinnig mißbrauchst? Fahre nur zu! der Mensch, der sich den Zügel läßt, gleicht dem Rad, das vom Berge rollt, wer kann es aufhalten? es springt von Klippe zu Klippe, bis es zerschmettert. Faust, gern hätte ich den Unmündigen der Sünde reifen lassen, nun ist er der Hölle entgangen samt der Mutter, er brannte auf ihrem Herzen zu Asche, und sie wehrte der ihn aufzehrenden Flammen mit den Knochen, von denen schon das Feuer das Fleisch abgefressen hatte.[111]

FAUST: Du legst es an mein Herz. (Er hüllte sein Gesicht in seinen Mantel und netzte ihn mit seinen Tränen.)


9.

Das Gefühl, die Tugend an den Lasterhaften rächen zu wollen, kühlte sich in Fausten etwas ab; endlich labte er seinen durch die letzte Geschichte gepeinigten Geist mit dem Gedanken, den ihm der Teufel vorsätzlich hinwarf, der Säugling und die Mutter seien der Hölle entgangen. Auch erlaubten die Sinnlichkeit, das leichte Blut, das Streben nach Genuß, der Zug nach Veränderung, die Zweifel keiner Empfindung einen dauernden Eindruck in seinem Herzen. Da er alles mit lebhaftem Gefühl umfaßte, so brannten seine Empfindungen wie Lichtkugeln auf, die einen Augenblick die Finsternis erleuchteten und dann zerplatzen. Er blickte endlich wieder unter seinem Mantel hervor, sah Leviathan auf etwas hören und lächeln. Er frug ihn: »Worüber lächelst du, Würger, mich deucht, du horchst einem Redenden zu, und gleichwohl seh ich keinen.«

TEUFEL: Du irrst dich nicht. Soeben schwebte ein Geist einher, der sich mit ehebrecherischen Händeln abgibt, und erzählt mir einen Schwank, über den ich lachen muß, so ernsthaft ich auch in deiner lästigen Gesellschaft geworden bin.

FAUST: Erzähle! ich bedarf des Lustigen.

TEUFEL: Soll er oder ich?

FAUST: Wer er? Ich seh ihn nicht.

TEUFEL: Gleichwohl ist er nah bei dir. Soll er dir erscheinen oder willst du bloß seine Stimme hören? Sie ist so sanft wie die Stimme des Ehebrechers, der zum ersten Falle lockt.

FAUST: So sei's die Stimme; ein Schwank aus der Luft erzählt, ist etwas Neues, und ich bedarf des Neuen, aber lustig muß der Schwank sein.

»Lustig und tragisch, Faust, wie's bei euch immer einander auf dem Fuße folgt«, sagte eine feine, hellklingende Stimme, die gleich einer Lockpfeife alle Töne nachahmte.

Die Stimme fuhr fort: »Ich komme soeben von Köln, das, wie[112] Ihr wißt, mehr durch Kirchen und Reliquien berühmt ist als durch Genies. Doch Hahnreien gibt's dort mehr als Kirchen.«

FAUST: Ein sehr moralischer Teufel! und die Stimme hat viel gereist, denn sie fängt gleich mit Bemerkungen an. Narr von Geiste, von welchem Orte kann man dies nicht sagen?

STIMME: Faust, die Wahrheit steht überall an ihrem rechten Platze. – Ich hatte mich dort in die Rosenknospen der weißen runden Brust einer Betschwester einquartiert, ihr Mann war nach Holland gereist. Sie fühlte den schäkernden unruhigen Gast durch alle mit meinem lüsternen Sitze verbundne Nerven, klagte über den besondern Umstand bei ihrem Beichtvater; es kam zu Erklärungen, und die Folge der Erklärungen war, daß er mich zufällig mit seinem Skapulier berührte. Mein Spuk war reif, und ich flog davon. Wie ich durch die Straßen dahinfuhr, sah ich einen Schlingel, ganz in dem scheußlichen Kostüme ausstaffiert, womit uns eure Mönche beehren. Roten Mantel, scheußliche Larve, ungeheure Hörner, einen Bocksfuß und langen Schwanz. Ich setzte mich zwischen die Hörner des Verwegenen und trabte mit ihm fort. Er schlich in das Haus des Junkers von Trossel. Der Kerl war mir von seinem ersten Weibe her bekannt und verdient, es Euch zu werden. Stellt Euch einen westfälischen Flegel von Edelmann, sechs Fuß hoch, vor, zwischen seinen breiten Schultern einen runden, feisten Kalbskopf, auf dessen Angesicht die Natur mit grober Schrift den eigensinnigen Dummkopf, den Pfaffensklaven, den hartherzigen, rauh prahlenden Barbaren, den Bürger- und Bauernschinder und den Hahnrei gezeichnet hat. Seine Erziehung gaben ihm die Buben, Knechte und Knappen des hochgebornen Vaters, in deren Schule er auch ein so fertiger und origineller Flucher ward, daß es kein Fuhrmann seines Vaterlands mit ihm aufzunehmen wagte. Der Kapellan lehrte ihn ein wenig lesen, stopfte ihm gleich das Gehirn voller Legenden und Zaubergeschichten, und da er so zum Edelmann qualifiziert war, gab man ihm ein Fähnlein Volks und schickte ihn dem Kaiser gegen die Türken zu Hülfe. Wacker hieb er in den Feind, doch führte er lieber mit dem Freunde Krieg, raubte, erpreßte und handelte, wie ein Kerl handelt, der kein ander[113] Recht kennt als das Recht seiner Faust und seines Adels. Eine übermäßige Ladung ungarischen Weins machte seinem Unwesen ein Ende und stürzte ihn vom Pferde; er verrenkte sich die Hüfte, ward in der Kur verpfuscht und setzte sich in Köln zur Ruhe. Hier legte er sich aus Mißmut und Langerweile aufs Studieren, verschlang alle Legenden, Zauber- und Hexengeschichten, erhitzte, verwilderte seine leere Einbildungskraft und faßte aus Patriotismus (worin ihr Teutschen alle Völker der Erde übertrefft) ganz natürlich eine besondre Vorliebe für die Reliquien und Legenden des Orts seines Aufenthalts. Nichts übertraf nach seinem Sinne das Wunder der elftausend Jungfrauen (und darin hatte er nicht unrecht). Die Legende der heiligen drei Könige aus Morgenland wurde sein Labsal, und schon vor seiner ersten Ehe unternahm er, ihre Geschichte zu schreiben, bisher ist er aber noch nicht mit ihnen nach Bethlehem gekommen. Doch alle diese frommen Beschäftigungen bekehrten den Flucher nicht. Pfaff und Laie machten ihm Vorstellungen darüber, unter neuen, schrecklichern Flüchen versicherte er, er wolle sich das Fluchen abgewöhnen. Nehmt noch hinzu, daß dieses Tier vom vielen Sitzen hypochondrisch geworden ist, daß er sich erschrecklich vor dem Tod und noch mehr vor unsrer Brüderschaft fürchtet, die er gleichwohl ohne Unterlaß zitiert, und, um den Kerl mit dem letzten Zug zu malen, daß er eifersüchtig wie ein Tiger ist, daß er sein Weib nicht aus den Augen läßt, daß sie neben seinem gepolsterten Sessel hucken und ihm zuhören muß, wenn er die Legende kommentiert oder von seinen Feldzügen lügt. Vor kurzem verheuratete er sich mit einer derben, fleischigten Brünette – ein lüsterner Schalk, ganz auf dem schwankenden Stengel der Unschuld gewachsen und nur vom weiblichen Sinne gepflegt. Ich hatte schon ein Netz für sie gewirkt, aber der Schalk kam mir, wie Ihr sehen werdet, zuvor. Der Mönchsteufel polterte die Treppe hinauf – ich, der ihm ablauerte, worauf es angesehen war, umzog schnell seine Hörner mit loderndem, knitterndem Feuer und setzte mich in Gestalt einer ungeheuern Fledermaus mit glühenden Augen dazwischen – Der Mönchsteufel trat vor das Bett und schrie:[114] ›Trossel! Trossel! Herr von Trossel! Mich sendet Satan, mein Herr. Mit freundlichem Gruße läßt er dir sagen, daß, wenn du dein schreckliches Fluchen nicht lässest, womit du ihn jeden Augenblick zu Hülfe rufest, er bald genötigt sein würde, dir in hoher Person den Hals zu brechen. Schon lange hätte er's gern getan, aber du stehest unter dem Schutze der elftausend Jungfrauen, der drei Mohrenkönige, und diese verteidigen dich gegen ihn. Doch sollen sie ihn nicht hindern, dir für jeden Fluch, den du in Zukunft herausdonnern wirst, einen Liebhaber zu deinem jungen Weibe Lene zu legen. Weh dir, wenn du alsdann dein unschuldiges Weib und den unschuldigen Kavalier beleidigst.‹ –

Der Mönchsteufel polterte die Treppe hinunter. Trossel zitterte und bebte – Lene war bei der Erscheinung unter die Bettdecke gekrochen und streckte nicht eher den Kopf hervor, als bis er ihr in Verzweiflung zurief. Dann fing sie erbärmlich an zu klagen und zu jammern über das Unglück, das ihr bevorstünde, und beschwur den Totbleichen bei allen Heiligen, sich ja vor dem Fluchen in acht zu nehmen. Er gelobte sich's und ihr unter Stöhnen und Gebet. Ich eilte dem Kerl nach, der uns so schändlich prostituiert hatte, und begleitete ihn nach der Rheinseite. Ein junger Edelmann, dem der Schalk von Weibe dieses saubere Spiel in der Kirche angegeben hatte, wartete dort auf ihn – der Kerl kroch aus der Maske hervor – es war ein Mönch, Faust!

Trossel saß den ganzen Tag stumm und tot da; denn reden und fluchen war bei ihm eins. Der Schalk von Brünette blickte aus halbgeöffneten Augen nach dem Unglücklichen und schien nach dem Fluche zu lechzen wie nach eurer Vorstellung eine Seele im Fegfeuer nach Erlösung. Gleichwohl schärfte sie ihm ohne Unterlaß ein, sich ja vor dem Fluchen in acht zu nehmen, malte ihm den Teufel und die Gefahr immer schrecklicher und sagte weinend, sie würde nie den fürchterlichen Augenblick überleben. Trossel seufzte zum erstenmal herzlich in seinem Leben, er war nur ein lebloses Ding, ein Schatten, ein Nichts. Man bestahl ihn, warf seine Legenden untereinander, trat seinen Lieblingshund auf die Pfoten, war mürrisch, zänkisch, unverschämt gegen ihn, er verlor[115] durch ungerechten Spruch einen Prozeß – er biß die Zähne zusammen, schluckte die bis in die Gurgel gedrungenen Flüche zurück, erduldete alles und schwieg. Er war dem Stummwerden nahe, und schon verzweifelte Lene, als ihm mein Mönch, unter der Maske eines reisenden Edelmanns, von Trossels Kriegsbruder empfohlen, eines Abends einen Besuch machte und der lechzenden Brünette Gelegenheit verschaffte, den gefesselten Flüchen Luft zu machen. Das Mönchlein ließ sich glattzüngig mit Trossel in eine Unterredung über die drei Mohrenkönige ein. Die Beredsamkeit des Stummen ward lebendig, er floß in ihrem Lobe über, las ihm aus seinem Werke vor, und die Brünette horchte andächtig zu. Als ihn der Mönch recht im Feuer sah, sagte er spöttisch lachend: ›Drei Könige? Drei Könige auf einmal? Hat man doch oft an einem zu viel! Und was wollten denn die Kerle in Köln? Was hatten sie am Rheine zu tun? Hatten sie denn zu Hause keine Geschäfte, daß sie herumzogen wie Meistersänger? Was mögen indessen ihre Untertanen gemacht haben? Nehmt mir nicht übel, so viel ich von Königen weiß, so laufen sie nicht so von Haus und Hof, es müßte denn sein, daß man sie davonjagte. Das ist alles Fabel und albernes Zeug.‹

Trossel wurde blau und rot. Die Kollerader schwoll auf seiner Stirne. Der Geifer des Zorns schäumte um seine blauroten Lippen. Er zog krampfhaft die Daumen in die Fäuste, schnitt fürchterliche Grimassen, blies aus Mund und Nase, wollte eben, um die Flüche zurückzupressen, nach seiner Krücke greifen, um dem Lästerer eins zu versetzen; aber das freundliche Lenchen sprang erschrocken auf, liebkoste ihn, streichelte ihn, gab ihm süße Worte und Küsse, drückte sich an ihn, setzte unter Liebkosungen ihr Füßchen auf das Hühneraug des Grimmigen und trat aus allen ihren Kräften darauf. Da brach der eingeschlossne Donner los. Die schrecklichsten Flüche strömten aus seinem Munde wie eine losgelaßne Flut, stürzten wie der Hagel herunter – der Gast entfloh – die Brünette sank zu seinen Füßen, schrie: ›Du hast mich unglücklich gemacht, meine Ehre weggeflucht!‹ und fiel in Ohnmacht. Starr, bebend und bleich stund der Flucher da. Mit noch gräßlichern Flüchen rief er endlich: ›Warum hast[116] du mir auf das Hühneraug getreten? Hab ich meine verdammte Zunge nicht bis auf diesen Augenblick gehalten?‹ – ›Warum hast du geflucht‹, erwiderte Lene. ›Dir ist alles gleichgültig, wenn nur dich der Bocksfüßler nicht holt, mag meine Ehre immer dabei leiden!‹ Ich konnte dem Kitzel des Lachens nicht mehr widerstehen. ›Wer lacht dahier?‹ klapperte Trossel. ›Der Teufel‹, schrie die Brünette. Das edle Paar entfloh, kroch ins Bette, und kaum hatte sich Trossel von seinem Schrecken erholt, kaum fing er an zu schnarchen, als ihn eine gellende Stimme aufweckte: ›Heraus aus dem Bette, Flucher! Wider Willen muß ich dich heute zum Hahnrei machen. Doch fürchte nichts, ich bin wie du von christlichen Eltern geboren, werde dir nichts zuleide tun. Alles geschieht zum Heil deiner Seele, aber wenn du dich rührst, so kommt der Schwarze!‹

Trossel sprang aus dem Bette, kroch in einen Winkel, zog die Nachtmütze über das Gesicht und klapperte vor Furcht und Angst. Nach einigen Stunden rief die Stimme: ›Lege dich wieder zu Bette und vergiß nicht, daß mein Schicksal ist, für jeden deiner Flüche deinen Platz einzunehmen, und das deine, es zu leiden!‹

Die Stimme stieg zum Fenster hinaus. Lenchen spielte noch toller die Verzweifelte, und ihr Haustyrann, der so streng auf sein Männerrecht hielt, der nicht den geringsten Widerspruch vertragen konnte, mußte nun bitten und flehen, sie möchte ihm diesmal verzeihen.

Man stellte dem Flucher neue Fallen, lange vermied er sie; da aber einmal die Brünette das Mittel entdeckt hatte, seine Zunge zu lösen, so spielte sie solange auf dieser Saite, bis sie etwas erschlaffte. Ein Streich gelang ihr über alle Hoffnung. Der Arme hatte den ganzen Tag an einem Kapitel seines Werkes gearbeitet, darinnen bewiesen, daß seine Schutzherrn aus dem Morgenlande nicht zu Fuße, sondern auf Kamelen von Hause ausgeritten wären und daß ein geflügelter Bote von oben ihnen bei Nacht eine Laterne vorgetragen hätte. Lene, die seine Anstrengung während der Arbeit und seine endliche Zufriedenheit darüber bemerkte, zerriß die Blätter, sobald er sich einen Augenblick entfernte, wickelte Garn in die Fetzen – legte in ein Blatt[117] einen Kreuzer, zündete es an und warf es einem singenden Bettler aus dem Fenster zu. Trossel kam zurück, wollte ihr nun seine Tagesarbeit vorlesen, fand sie nicht, frug zitternd darnach; Lene ließ sich dreimal erklären, was er wollte, und sagte endlich mit kalter Verachtung: ›Hier sind deine Wische! ich hielt es für eine Schmiererei, dergleichen du Hunderte des Tags machst und wieder zerreißest!‹ Knirschend für Wut öffnete er die Knäuel Garn, warf sie ihr brummend in Schoß, legte seine Fetzen zusammen und rief mit donnernder Stimme: ›Wo ist das übrige?‹ – ›Zum Fenster hinaus!‹ – Zum Fenster hinaus! Die Flüche donnerten heraus, daß die Fenster zitterten, das Glas auf dem Tische erklang. Lene stopfte sich die Ohren zu, spielte die vorige Komödie; der Gast kam, Trossel mußte das Bett verlassen und murmelte dabei zwischen den Zähnen: ›Ich wollte, daß die drei Mohrenkönige die Beine gebrochen hätten! schon zum zweitenmal machen sie mich zum Hahnrei.‹

›Und sie sollen's zum dritten-, vierten- und fünftenmal, verwegener Sünder! Ein Fluch gegen die Heiligen ist Todessünde!‹ rief die Stimme hinter den Bettvorhängen hervor.

Der Gast hielt Wort. Da nun Trosseln die Besuche zu oft kamen, so sagte er diesen Morgen zu Lenchen: ›Ich kann es nicht mehr ertragen! Ich mag machen, was ich will – mag ersticken, bersten – fluchen muß ich! Ich will den Nachmittag nach dem Pater Orbelius schicken, daß er mich morgen früh besuche, ihm dann alles erzählen und ihn bitten, daß er mir und dir helfe.‹

Lene lobte seinen Entschluß; schlich aber bald darauf in ihr Kämmerlein, setzte sich hin, ihrem Galan den Vorfall zu melden und ihm zu schreiben, er solle abends den Teufel mit dem Auftrag schicken, Trosseln mit dem Tode zu drohen, wenn er die Erscheinung entdeckte.

Ich, schon zufrieden mit dem, was geschehen war, schlich ihr nach. Warf ein hellrotes Mäntelchen um die Schultern, steckte mich in einen Wams von rauhen Fellen des Alps, legte ein Krägelchen um den Hals, aus roten, blauen, gelb- und grünen Flammen gewebt, stellte mich auf zwei hohe Hahnenfüße mit langen Spornen, nahm eine scheußliche Krötenmaske vor und bedeckte[118] den feuchten, kahlen Schädel mit einem Federhut. Statt des Schwanzes wickelte sich eine ungeheure Schlange um meinen Leib, ihr Rachen ragte aus dem geöffneten Schlunde der Krötenmaske weit hervor, und so geschmückt stellte ich mich hinter den Stuhl der Schreibenden und zischelte ihr mit ausgestreckter Schlangenzunge in einem süßen, gefälligen Tone zu: ›Bemüht Euch nicht, gnädige Frau, wenn Ihr einen Teufel braucht, da habt Ihr gleich den rechten. Befehlt nur!‹

Die Folgen meines Grußes, Faust, nebst der Moral, wenn wir uns wiederbegegnen.«

Die Stimme schwieg, und Faust fühlte den Geist an sich vorübersausen. Er schrie: »Wo ist er hin? Die Moral will ich hören.«

TEUFEL: Ho! ho! soll diese der Teufel auch machen? und seinen Schwank verderben, wie's eure Dichter machen? Er ist schon weit weg; vermutlich hat er einen neuen Spuk gewittert! Hm, Faust, es fehlt den teutschen Weibern, wie ich sehe, nicht an Genie, und wenn sie nichts aus euch machen, so geb ich alle Hoffnung auf.

Unter Glossen und Lachen über den Schwank ritten sie in das Tor der vor ihnen liegenden Stadt, und die gute Mahlzeit und die herrlichen Weine in der Stadt, wo sie nun angekommen waren, schlugen bald Fausts trübe Geister völlig nieder. Da eben in derselben Jahrmarkt war, so ging Faust mit dem Teufel nach Tische auf den Platz, um das Gewimmel zu sehen.

Es war ein sonderbares Land, worin sie sich nun befanden. In einem Kloster der Stadt lebte ein junger Mönch, dem es ohne viele Mühe gelungen war, einige wenige Funken von Verstand durch das Feuer seiner Einbildungskraft gänzlich aufzubrennen und sich so mächtig von der Kraft des religiösen Glaubens zu überzeugen, daß er hoffte, wenn einst seine Seele den wahren Schwung erhielte und der Geist Gottes ihn völlig durchsauste, es ihm ein leichtes sein würde, Berge zu versetzen und sich als ein neuer Apostel in Wundern und Taten zu zeigen. Überdem sog er, gleich einem trocknen Schwamme, die Torheiten und Scharlatanerien ein, die andre ausheckten, ein Umstand, wodurch sich[119] die Schwärmer von den Philosophen gänzlich unterscheiden, denn diese hassen und verachten die Hypothesen eines andern, da jene allen Unrat des menschlichen Geistes annehmen und sich zu eigen machen. Da dieser junge Mönch wie jeder Schwärmer, der von seinem Gegenstand durchdrungen ist, ein feuriger Redner war, so zog er bald die Seelen der Männlein und vorzüglich der Weiber (die alles Leidenschaftliche so gern aufnehmen) an sich. Seine Einbildungskraft verschaffte ihm bald einen neuen Zauberstab; denn da er vermöge seiner innigen Verbindung mit dem höchsten Wesen eine hohe Meinung von den Menschen hatte, so faßte er in einer seiner glühenden Stunden den Entschluß, dieses Meisterwerk der Vorsehung, diesen Liebling des Himmels, für den alles übrige gemacht ist, physiognomisch zu zergliedern und sein Inneres durch sein Äußeres zu bestimmen. Leute von seinem Schlage betrügen sich so oft selbst, daß man nicht mit Gewißheit sagen kann, ob ihm etwa ein verborgner Funken des Verstandes zugelispelt hat, diese Schwärmerei würde der alten einen neuen Firnis geben und die frommen Seelen, über deren Gesicht sich so viel herrliche Dinge sagen ließen, noch mehr an ihn ziehen. Da er nur die vier Wände seiner Zelle und Leute seiner Art gesehen hatte, übrigens in Ansehung der Menschen, der Welt und wahrer Wissenschaften so unwissend war, als es Leute von heißer Einbildungskraft gewöhnlich sind, die obendrein alle aufstoßende Zweifel mit dem zerschmetternden Hammer des Glaubens zerschlagen, so läßt sich leicht schließen, daß auch nur die Phantasie allein bei seinem Werke die Feder führte. Aber eben darum tat es eine erstaunende Würkung auf die Geister aller derer, die lieber verworren fühlen als klar denken. Dies ist der Fall des größten Teils der Menschen, und da die Tage des Lebens unter dem angenehmen Kitzel des geliebten Selbsts so sanft dahinfließen, so konnte es ihm nicht an Anbetern fehlen. Es tut so wohl, sich als ein vielgeliebtes, vorzüglich besorgtes Schoßkind der Gottheit anzusehen und über die übrigen rohen Söhne der Natur mit Verachtung und Mitleiden hinzusehen! Unser Mönch blieb aber nicht bei dem Menschen allein stehen, er stieg auch zu den andern unedlen Tieren[120] der Erde herunter, bestimmte ihre Eigenschaften aus ihren Gesichtern, ihrem Baue und glaubte große Entdeckungen gemacht zu haben, wenn er aus den Klauen, den Zähnen, dem Blick des Löwen und dem schwächlichen, leichten Baue des Hasens bewies, warum der Löwe kein Hase und der Hase kein Löwe sei. Es wunderte ihn gewaltig, daß es ihm gelungen, die bestimmten und unveränderlichen Merkzeichen der tierischen Natur so klar beweisen und auf den Menschen anwenden zu können, ob gleich die Gesellschaft das Gesicht des letztern zur Maske geschliffen hat und er nie einen in seinem ursprünglichen Zustand sah. Hierauf drang er selbst in das Reich der Toten, zog die Schädel aus den Gräbern, die Gebeine der Tiere aus den Gruben und zeigte den Lebenden, wie und warum die Toten so waren und wie sie vermöge dieser Knochen so und nicht anders sein konnten. Zu was für gefährlichen Schlüssen könnten diese Voraussetzungen einen Sophisten oder einen Menschen, der gern seine Schlechtigkeit von sich wälzen möchte, verleiten? Soll, kann der Mensch durch Kunst ersetzen, was durch natürliche Anlagen in ihm verhunzt ist?

Dem Teufel war dieser Spuk bekannt, und er merkte wohl, da sie im Wirtshause bei Tische saßen, daß einige Anwesende und selbst der Wirt ihn und Fausten mit besondrer Aufmerksamkeit betrachteten und sich leise ihre Beobachtungen mitteilten, während sie verstohlen ihre Profile zeichneten. Auch zu Faust war der Ruf dieses Wundermanns gedrungen, hatte ihn aber bisher so wenig interessiert, daß er auf dieses Geflüster nicht aufmerksam wurde. Da sie nun auf den Platz kamen, überraschte sie ein ganz neues Schauspiel. Dieses Gewimmel von Menschen war die echte Schule der Gesichtsspäher. Jeder konnte da seinen Mann fassen und sein Gesicht auf die Waage legen, die Kräfte seiner Seele abzuwägen. Einige stunden vor Müllereseln, Pferden, Ziegen, Schweinen, Hunden und Schafen, andre hielten Spinnen, Käfer, Ameisen und andre Insekten zwischen den Fingern, forschten mit scharfem Blick nach ihrem innern Charakter und suchten zu entwickeln, wie sich ihr Instinkt aus dem Äußern bestimmen ließe. Einige maßen Schädel von Menschen und Tieren[121] aus, beurteilten das Gewicht und die Schärfe ihrer Kinnladen und Zähne und rieten, welchem Tier sie zugehörten. Da aber Faust und der Teufel unter sie traten, hörte man sie ausrufen: »Welch eine Nase! Welche Augen! Welch ein forschender Blick! Welch eine liebliche sanfte Rundung des Kinns! Welche Kraft ohne Schwäche! Welche Intuition! Welche Durchdringlichkeit! Welche Helle und Bestimmtheit im Umriß! Welch ein kraftvoller, bedeutender Gang! Welches Rollen der Augen! Welch ein Wurf der Glieder! Wie einverstanden und harmonisch!« »Ich gäbe ich weiß nicht was darum, wenn ich die Handschrift der Herrn hätte«, sagte ein Weber, »um den schnellen und leichten Gang ihrer Denkkraft aus ihren Federzügen zu sehen.« Sie zogen alle ihr Reißblei aus den Taschen und nahmen ihre Profile. Der Teufel verzerrte bei Anhörung dieser Fratzen das Gesicht, und einer der Späher schrie: »Der innre Löwe Kraft hat sich gegen eine äußre Versuchung oder einen schwächlichen Gedanken geschüttelt!«

Faust belächelte die Narrheit, als auf einmal ein englisches Gesicht aus einem nahen Fenster auf ihn blickte und in süßer Verwundrung rief: »Heilige Katherine! welch ein herrlicher Kopf! welch eine himmlische, liebevolle, sanfte Schwärmerei! Welche Gefühl und Anhänglichkeit atmende Physiognomie!«

Diese Töne erklangen melodisch in dem Herzen Fausts. Er starrte nach dem Fenster, sie sah noch einen Augenblick auf ihn, zog sich zurück, und Faust sagte zu dem Teufel:

»Ich verlasse diesen Ort nicht, bis ich mit dieser Dirne gelegen habe. Die Wollust schimmert unter einem so frommen Glanze aus ihren Augen, als sollte er der Sinnlichkeit die wahre Würze mitteilen.«

Sie wandten sich kaum nach einer Seitenstraße, als einer der Späher zu ihnen trat und sie keck um die Physiognomie ihrer Handschrift bat, um, wie er sie versicherte, die Trägheit oder Fertigkeit ihrer hervorbringenden Kraft, die Gradheit, Standhaftigkeit, Reinheit oder Schiefheit ihres Charakters daraus zu entziffern. Er setzte hinzu, es habe ihm bisher kein Fremder diese Gefälligkeit abgeschlagen und er hoffte von ihnen ein gleiches.[122]

Hierauf zog er ein Taschenbuch, Feder und Tinte hervor und spitzte die Ohren voller Erwartung.

FAUST: Nicht so rasch, guter Freund, Dienst um Dienst: sagt mir vorerst, wer ist die Jungfrau in jenem Hause, die ich eben am Fenster sah und deren Äußeres so englisch schön ist?

SPÄHER: O sie ist ein Engel in allem Verstand. Unser großer Seher versichert von ihr, ihre Augen seien Spiegel der Reinheit und Keuschheit. Ihr holder Mund sei nur geschaffen, die hohe Begeistrung eines von himmlischen Dingen erfüllten Herzens auszudrücken. Ihre Stirne sei ein glänzender Schild der Tugend, an dem sich alle Versuchungen, alle irdische und sinnliche Gefühle zerschlügen. Ihre Nase wittere die Gefilde der Unsterblichen. Sie sei das Ideal der Schönheit und aller der Tugenden, die diese begleiten, wenn die Gottheit eine vollkommen schöne Seele dem Auge des Fleisches sichtbar machen wollte.

FAUST: Ihr malt wahrlich nicht mit Farben der Erde; aber sagt mir nun auch etwas von ihren irdischen Verhältnissen.

SPÄHER: Diese sind freilich nicht so glänzend wie die erstern, aber doch hinreichend, ihre Ausübung nicht zu stören.

FAUST: Und sie heißt?

SPÄHER: Angelika.

Sie schrieben Worte ohne Sinn auf ein Blatt, und der Späher verschwand vergnügt mit seinem Schatz.

FAUST: Teufel, wie meinst du, daß dem frommen Kinde beizukommen sei? Ich bin nun recht in der Laune, das Ideal dieses Sehers zu verpfuschen.

TEUFEL: Auf der graden Heerstraße zu dem menschlichen Herzen, Faust, darauf wird sie dir gewiß begegnen; denn früh oder spät muß jeder dahin einlenken, seine Phantasie mag ihn noch so weit davon entfernt haben.

FAUST: Es muß ein reizender Genuß sein, eine solche zugespitzte Einbildungskraft mit Bildern der Wollust zu füllen.

TEUFEL: Der Mönch hat dir schon vorgearbeitet und ihre Sinnlichkeit so geschärft, ihr Seelchen mit so viel Eitelkeit und Selbstvertrauen angefüllt, ihre Frömmigkeit so sinnlich gemacht, daß es weiter nichts erfordert, als gehörig an dem Herzen anzuklopfen,[123] um sich als würklichern Gegenstand der Schwärmerei hineinzunisten. Laß mich eine Probe machen, zu was Schwärmerei die Weiber endlich führt.

FAUST: Und schnell! Ich habe bei Nonnen gelegen und sie wie andre Weiber gefunden, laß mich nun sehen, wie sich eine Schwärmerin dabei gebärdet.


10.

Dem Teufel war darum zu tun, eine solche Seele dem Himmel zu stehlen, Fausts Sündenmaß schneller zu füllen, und stund in einem Augenblick unter der Gestalt eines alten Mannes mit einem Guckkasten vor Faust, gab ihm einen Wink und schlich nach dem Markte. Hier schlug er seine Bude auf und rief den Pöbel zusammen, seine schöne Raritäten zu schauen. Das Volk drang hinzu, Mägde und Knechte, Jungfrauen und Witwen, Kinder und Greise. Der Teufel gaukelte ihnen allerlei Histörchen vor, die er mit frommen Erläuterungen und moralischen Sprüchen begleitete. Jedermann trat vergnügt von dem Guckkasten zurück und reizte die Zuschauer mit Erzählung der gesehnen Wunder. Die englische Angelika sah aus dem Fenster, und da sie den Teufel mit einem so frommen Tone die Vorspieglung seiner Histörchen ableiern hörte, fühlte sie eine unwiderstehliche Versuchung, die Wunder des Kastens zu sehen und dem frommen Greise ein Almosen zufließen zu lassen. Der Teufel ward gerufen. Er fühlte sich selbst betroffen von ihrer wunderbaren Schönheit, ihrer Sanftmut und Güte und ward um so begieriger, ihre Sinne zu verwirren. Nun legte sie ihr schwärmerisches Auge an die Öffnung des Kastens, der Teufel leierte seine Alltagssprüche herunter und gaukelte ihr stufenweis die Szenen der Liebe bis zu den ausschweifendsten Vorspieglungen der Wollust und des sinnlichen Genusses vor. Führte ihre Phantasie so rasch und unmerklich vom Geistigen zum Sinnlichen hinüber, daß sie die Schattierung kaum gewahr werden konnte. Wenn sie das Auge zurückziehen wollte, so verwandelte sich der anstößige Gegenstand in ein erhabenes Bild, das den widrigen Eindruck auslöschte und das Herz für[124] das folgende zündbarer machte. Ihre Wangen glühten, sie glaubte vor einer bezauberten, unbekannten Welt zu stehen. In allen diesen Szenen ließ der Tausendkünstler Fausts Gestalt erscheinen und versetzte sie immer in die anziehendsten Lagen. Sie sah ihn einen Schatten verfolgen, der ihr glich und um ihretwillen die größten Taten unternahm, sich den schrecklichsten Gefahren unterwarf, und nachdem er ihre Aufmerksamkeit gänzlich gefesselt hatte und wahrnahm, daß die Neugierde die Verwicklung, worin Fausts Gestalt mit ihr verflochten war, aufzulösen wünschte, so verwandelte er die Szene und ließ in schnellem Wirrwarr die schlüpfrigsten und üppigsten Erscheinungen der tierischen Liebe, mit den reizendsten Farben bekleidet, vor den Augen der unschuldigen Lauscherin gaukeln. Der Blitz erleuchtet nicht so schnell das Dunkel, der Wunsch nach Ehebruch entsteht nicht so schnell in dem Herzen des Wollüstlings als diese Erscheinungen vorüberflogen. Eine Sekunde ist Dauer dagegen. Kaum hatte die Unschuldige das Auge an den Kasten gelegt, als das Gift schon in ihr Herz geflossen war. Sie sah, bevor sie fliehen konnte. Nun deckte sie mit beiden Händen ihre Augen, floh nach ihrem Schlafzimmer und sank Fausten in die Arme. Der Verwegne nutzte den Augenblick der gänzlichen Abwesenheit ihres Bewußtseins, fand in ihrem Sträuben, ihren Tränen, ihrem Seufzen neuen Reiz zur Sünde, und nie ist eine unschuldigere Seele, nie ein schönrer, unbefleckterer Körper von der frechen Hand der Verführung besudelt worden. Als sie ihren Fall wahrnahm, verhüllte sie ihr Haupt, stieß den Frechen zurück. Er legte kostbare Geschmeide zu ihren Füßen, sie zertrat sie und rief: »Wehe dir, die Hand des Rächers wird einst schwer auf dir liegen für diese Stunde!«

Der Wahnsinnige freute sich seines Siegs, ging ohne Reue zu dem Teufel, der die Szene belachte und sich der schaudervollen Folgen der Tat freute.


11.

Faust befand sich hier in seinem Elemente, die geistige Schwärmerei hatte den Zunder der Lust so nahe an die Herzen gelegt,[125] daß er nur anzublasen brauchte, um sie in Flammen zu setzen. Er flog von Sieg zu Sieg, nutzte hierbei die Macht des Teufels wenig, desto mehr aber sein Gold und Juwelen, die auch die Frommen zu brauchen wissen. Angelika ward unsichtbar, und alles Bemühen Fausts war vergebens, ihr noch einmal zu nahen, er vergaß sie auch bald in den neuen Berauschungen. Er las in der Zwischenzeit mit dem Teufel die Handschrift der Physiognomik, die ihm einer der Späher für eine große Summe verkauft hatte, und ärgerte sich grimmig an der Zuverlässigkeit, der Unwissenheit und dem dichterischen Schwulst des Verfassers. Der Teufel glühte vor Zorn, da er sogar sein eignes Porträt in der Handschrift fand, das der junge Mönch mit der nur ihm eignen Verwegenheit beurteilt hatte. Es verdroß ihn so heftig, daß er mit seiner hohen Person sein Spiel getrieben, daß er dem Hang, sich zu rächen, nicht widerstehen konnte, und da Faust in keiner bessern Laune gegen den Mönch war, so machten sie sich auf, ihm einen Streich zu spielen. Sie gingen nach dem Kloster, und da sie beide stattlich gekleidet waren und Leute von Rang und Bedeutung zu sein schienen, so wurden sie von dem jungen Mönch sehr freundlich und herzlich empfangen. Aber kaum sah er den Teufel schärfer an, als er von seinem Angesichte so begeistert wurde, daß er alle Worte des Grußes vergaß, ihm stark die Hand schüttelte, sich dann von ihm entfernte und ihn bald en face, bald en profil anstarrte. Hierauf rief er hochbegeistert:

»Ha, wer bist du, Übergroßer?

Ja, man kann, was man will.

Man will, was man kann! dies sagt mir dein Gesicht, und ich brauche dich nicht zu kennen und dies zu sagen. Nie hab ich die Gewißheit meiner Wissenschaft mehr gefühlt als in diesem Augenblick!

Wer kann ein solches menschliches Gesicht ohne Gefühl, ohne Hingerissenheit, ohne Interesse ansehen – da nicht in dieser Nase innre, tiefe, ungelernte Größe und Urfestigkeit ahnden! Ein Gesicht voll Blick, voll Drang und Kraft.« Er befühlte Leviathans Stirne und fuhr fort. »Erlaube mir, mit meinem[126] Stirnmesser die Wölbung deiner Stirne auszumessen. – Ja, eherner Mut ist so gewiß in der Stirne als in den Lippen wahre Freundschaft, Treue, Liebe zu Gott und den Menschen. In den Lippen, welch eine vorstrebende entgegenschmachtende Empfindung! Welch ein Adel im Ganzen.

Ja, dein Gesicht ist die Physiognomie eines außerordentlichen Mannes, der schnell und tief sieht, festhält, zurückstößt, würkt, fliegt – darstellt, wenig Menschen findet, auf denen er ruhen kann, aber sehr viele, die auf ihm ruhen wollen.

Ach, wenn ein gemeiner Mensch so eine Stirne, so eine Nase, so einen Mund, ja nur solch ein Haar haben kann, so steht's schlecht mit der Physiognomik.

Es ist vielleicht kein Mensch, den dein Anblick nicht wechselsweise anziehe und zurückstoße – o der kindlichen Einfalt und der Last von Heldengröße! So gekannt und so mißkannt werden wenige Sterbliche sein können.

Adler! Löwe! Zerbrecher! Reformator der Menschen! Steure zu und rufe die Sterblichen von ihrer Blindheit zurück, teile ihnen deine Kraft mit, die Natur hat dich zu allen dem gestempelt, was ich dir verkündige.«

Faust biß wild die Zähne zusammen, während der Mönch alle die herrlichen und erhabnen Sachen über das Angesicht des Teufels begeistert herausstieß. Der Teufel wandte sich kalt zu dem Seher:

»Und was hältst du von diesem hier?«

MÖNCH: Groß, kühn, mächtig, kraftvoll, sanft, mild; doch das Größre ist größer, das Kühnre kühner, das Mächtigere mächtiger, das Kraftvollere kraftvoller, das Sanftere sanfter, das Mildere milder! Großer, edler Schüler eines Größern, wenn dein Geist und Herz ihn ganz fassen wird, so wird sein Licht auch durch dich leuchten! – Ich bitte Euch, setzt Euch, daß ich Euren Schatten nehme!

Faust, der noch mehr ergrimmte, daß ihn der Mönch so tief unter den Teufel setzte, brach los:

»Schatten! ja Schatten, die sind es, die du gesehen hast. Wer bist du, der du dich so frech erkühnst, das Menschengeschlecht nach[127] den Zuckungen deiner erhitzten und verworrnen Einbildungskraft zu richten und zu messen? Hast du den Menschen gesehen? Wo, wie und wann? Im Schatten hast du ihn gesehen und diesen, ausstaffiert mit den Floskeln deiner Phantasie, für seine wirkliche Gestalt gegeben! Sage, was für Menschen hast du gesehen? Sektierer, Fanatiker, Schwärmer, die Schlacken der menschlichen Natur. Eitle Betschwestern, junge Weiber, die kraftlose Männer, Witwen, die schlaflose Nächte haben. Mädchen, die der Kitzel des Bluts quälet, diese hängen sich an Leute deinesgleichen, weil sie an nichts Kräftigerm hängen können und mit dem Geiste buhlen müssen, weil ihre Leiber nicht bepflügt werden. – Autoren hast du gesehen, denen es wohlgefiel, wenn du die flachen Züge ihres Gesichts zu Merkzeichen des Genies stempeltest. Große, deren glänzender Stand und Name ihre Gesichter vor deinen Augen verherrlichten. Du siehst, ich kenne deinen Umgang und habe dein Buch gelesen.«

TEUFEL: Bravo, Faust, laß mich nun auch das Wort nehmen und ihm mit Wahrheit lohnen. Bruder Mönch! in deiner einsamen Zelle hast du dir ein schales Ideal von Vollkommenheit zusammengesetzt, es den Köpfen der Menschen einzuprägen gesucht, das nun an den Kräften ihres Geistes zehrt wie der Krebs am angesteckten Fleische; oder ist es ein Zug neuer Scharlatanerie, den Menschen durch den Köder der Eitelkeit an dich zu ziehen und deine sonstige Schwärmerei mehr auszubreiten? Es hat einst auch Menschen gegeben, die es wagten, von dem Äußeren des Menschen auf sein Innres zu schließen (das, im Vorbeigehen gesagt, tiefer liegt als der Mittelpunkt der Erde), aber es waren andere Kerle wie du. Sie hatten doch wohl einen Teil des Erdbodens durchlaufen, waren unter Erfahrungen grau geworden, hatten mit Menschen gehandelt und gewandelt, mit mehr als einem Weibe geschlafen, die Schlupfwinkel des Lasters und der Üppigkeit durchkrochen. Stiegen aus dem Palast in die Hütte, krochen in die Höhlen der Wilden und wußten, was ohngefähr zu einem wackren Kerl gehört, was er leisten kann und was man seiner Natur nach an ihn fordern muß. Du starrst von deinen Vorurteilen zurück und zitterst vor der raschen[128] Tätigkeit des Menschen! Hast dir ein Gespenst von Mönchs- und Weibertugenden zusammengesetzt, mit Engelreinheit und Keuschheit behängt, das den Menschen eben um das bringt, was ihm noch einigen Wert gibt.

Der Mönch stund zwischen ihnen wie zwischen zwei feuerspeienden Bergen, hielt demütig die Hände vor die Brust und schrie: »Erbarmt euch!«

FAUST: Höre weiter! Du siehst auf dem Rücken der Nase eines Burschen eine kleine Wölbung, die du einmal zum Zeichen fleischlicher Sinnlichkeit geprägt hast, und er muß dir ein Wollüstling sein, ob er gleich Hoden hat wie Erbsen und Gesäße so flach wie deine Backen. Da, wo du es nicht ahndest, wohin du nicht greifen darfst, wovon du keinen Schatten nehmen und in Holz schneiden kannst, da sitzt es dem Mann und dem Weibe, da ist nur zu oft die Waage ihrer Tugend. Du hältst das Aufsteigen der üppigen, heißhungrigen Gebärmutter für himmlische Begeistrung, siehst selige Gefühle in den Augen der Matrone, während ihre Phantasie mit Bildern der Wollust buhlt. Drang nach edler Tätigkeit auf der Stirne des Jünglings, während der Löwe Temperament in ihm brüllt. Wie willst du die Kraft des Menschen abwägen, da du den gefährlichen, wilden Kampf, den sie im Innern erregt, nie gefühlt hast? wie bestimmen, welcher Versuchung er unterliegen muß, da du dich bloß mit Schatten genährt hast? Was meinst du, wenn einer die Floskeln, womit du deine Unerfahrenheit und Unwissenheit deckst, in schlichten Menschensinn auflöste? Was würde übrigbleiben als Seifenblasen?

Der Teufel nahm das Wort: »Und wie, wenn dir alle die Schatten, womit du dein dickes Buch ausgeputzt hast, in ihrer wahren Gestalt erschienen, wie ich dir nun erscheinen will? Ich habe gesehen, daß du auch den Teufel porträtiert und gemustert hast, es ist hohe Zeit, daß er dir erscheine. Sieh mich an! ich will nun mein Inneres auf mein Äußeres ziehen, und du sollst in Staub vor dem Ideal hinsinken, das deine Phantasie in mir gesehen hat. Davon sahst du nichts, daß dieser hier in deinen Schafstall gebrochen ist und deine geistige Lämmer erwürgt hat. Sieh, er[129] dampft vom Genuß der Wollust – und nun blick auf und sage dann, du habest einmal ein Ding in seiner wahren Gestalt gesehen.«

Hier zog der Teufel sein Inneres in der fürchterlichsten Maske der Hölle hervor, stellte sich vor Fausten, daß er ihn nicht beobachten konnte. Der Mönch sank zusammen, und der Teufel wandte sich zu Faust in seiner vorigen Gestalt, dann wieder zu dem bebenden Mönch.

TEUFEL: Nun sage, du hättest den Teufel gesehen, und male ihn, wenn du die Kraft dazu hast. Oft würdest du so zusammensinken, wenn du das wahre Innere derer sähest, die du als Engel gemalt hast.

FAUST: Sei ein Tor und zeuge Toren, mache dich und die Religion durch deine Schwärmerei den Verständigen zum Ekel, du kannst nicht kräftiger für die Hölle arbeiten. Auf der einen Seite erweckst du Verachtung, auf der andern Verzerrung. Gehab dich wohl.

Der Mönch ward vor Schrecken wahnsinnig, schrieb aber in seinem Wahnsinn immer fort, und die Leser merkten die Veränderung seines Zustandes nicht einmal, so sehr glichen seine neuen Bücher den alten.

Faust freute sich der Szene herzlich, und da er des Orts müde war, so machte er sich mit dem Teufel auf den Weg nach dem lachenden Frankreich.[130]

7

Aus dieser Stelle sieht man, daß der Verfasser viele Abenteuer in Teutschland, um sein Buch nicht zu dick zu machen, unterschlagen hat. Vielleicht, daß sie einstens erscheinen.

Quelle:
Friedrich Maximilian Klinger: Werke in zwei Bänden. Band 2, Berlin 1970, S. 85-131.
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