Zweites Buch
1.

[54] Den folgenden Morgen kam der Teufel Leviathan in dem Gepränge und mit dem Gefolge eines großen Herren, der inkognito reiset, vor Fausts Gasthof. Er stieg von seinem prächtig gezierten Pferde und fragte den Wirt, ob der große Mann Faust bei ihm wohnte. Der Wirt beantwortete die Frage mit einer tiefen Verbeugung und führte ihn ein. Der Teufel trat zu Faust und sagte zu ihm in Gegenwart des Wirts:

Sein Ruhm, sein großer Verstand und seine herrliche Erfindung hätten ihn bewogen, einen weiten Umweg auf seiner Reise zu machen, um einen so merkwürdigen Mann, den die Menschen vermöge ihres Blödsinns verkennten, genau kennenzulernen und sich, wenn es ihm gefiele, seine Begleitung auf einer vorhabenden großen Reise durch Europa auszubitten. Er mache ihn übrigens ganz zum Herrn der Bedingungen, denn er könnte seine Gesellschaft nicht zu teuer erkaufen.

Faust spielte seine Rolle in dem Sinne des Teufels, und der Wirt eilte hinaus, den Vorfall dem ganzen Hause bekanntzumachen. Das Gerücht davon breitete sich in ganz Frankfurt aus. Schon war die Meldung von der Ankunft des vornehmen Fremden von der Hauptwache an den regierenden Bürgermeister eingelaufen und setzte den ganzen hochedlen und hochweisen Magistrat in Bewegung. Alle liefen, als triebe sie der Satan nach dem Römer5, ließen alle wichtige Staatssachen liegen und ratschlagten über die Erscheinung. Der älteste Schöppe, ein Patrizier, hatte sich vorzüglich auf die Deutung der Erscheinungen am politischen Horizont gelegt und sich dadurch ein gewaltiges Übergewicht in dem Senat erworben. Er drückte sein fettes Kinn in Falten, seine enge Stirne in Runzeln, zog Besorgnis in seine kleinen Augen und versicherte die wohlweisen Beisitzer:

Dieser vornehme Fremde sei niemand anders als ein heimlicher Abgesandte Seiner Kaiserlichen Majestät (ein fürchterlicher[54] Name für jeden Reichsstand), den man nach Teutschland geschickt hätte, die Lage, Verhältnisse, Uneinigkeit und Verbindung der Fürsten und Reichsstädte zu beobachten, damit sein hoher Hof bei Eröffnung des vorstehenden Reichstags wissen möchte, wie er sich benehmen müßte, seine Absichten durchzusetzen. Da nun der Kaiserliche Hof auf ihre Republik immer ein sehr wachsames Auge hätte, so müßte man streben, diesen vornehmen Gast von dem feurigen Eifer, den man für das hohe Kaiserliche Haus empfände, zu überzeugen, und ihn ja nicht abziehen lassen, ohne ihn dem Staat zu gewinnen. Man müßte hierin den klugen Senat von Venedig zum Vorbilde nehmen, der keine Gelegenheit verabsäumte, denen am meisten Freundschaft und Ehre zu bezeugen, die er zu betrügen gesonnen sei.

Die untergeordneten Geister des Rats versicherten, der Schöppe habe wie der Doge von Venedig selbst gesprochen; aber der Bürgermeister, der ein heimlicher Feind des Schöppen war (denn dieser, weil er die demokratische Regierungsform als ein wahrer Patrizier ebenso sehr haßte wie ein Fürst die Republiken, pflegte bei jedem widrigen Vorfall laut zu sagen: »So geht es, wenn man Krämer zu Staatsleuten macht«), warf ihm schnell eine Tonne hin:

»Wahr, rühmlich und trefflich, wohlweise Herren, scheint mir alles, was unser staatskluger Schöppe soeben vorgebracht hat, würde auch ebenso gewiß zum Zweck führen als, im Vorbeigehen gesagt, der Handel einen Staat blühender und reicher macht wie ein fauler, stolzer Adel, wenn wir nur nicht alles durch einen einzigen Umstand verdorben hätten. Ich rühme mich nun freilich nicht des tiefen politischen Blicks des Schöppen, der jeden Sturm von weitem ausspäht; aber doch hätt ich diesen, es sei nun aus Zufall oder Überlegung, glücklich beschworen. Ihr werdet euch alle erinnern, daß ich euch bei jeder Ratssitzung zusetzte, diesen Faust nicht so schnöde zu behandeln und ihm seine lateinische Bibel für die kleine Summe abzunehmen. Ja sogar meine Frau, die doch nur ein Weib ist, wie es andre Weiber sind, hielt es für ratsam; denn ob wir gleich diese lateinische Bibel weder brauchen noch verstehen, so hätte man sie doch[55] wegen der schöngemalten Anfangsbuchstaben und der sonderbaren Erfindung als ein Kleinod nach der Goldnen Bulle zeigen und die Fremden damit herbeilocken können. Auch ziemte es sich, daß ein freier und reicher Staat die Künste beschützt und ihnen forthilft; aber ich weiß wohl, was euch im Sinne gelegen, die Eifersucht und der Neid, ihr konntet es nicht ertragen, daß mein Name dadurch unsterblich würde. Es riß euch allen in den Bäuchen, daß die Nachkommenschaft einstens in der Chronik lesen sollte: sub consulatu *** hat man Fausten von Mainz eine lateinische Bibel für zweihundert Goldgulden abgekauft. Nun mögt ihr auch austrinken, was ihr eingegossen habt, und man sagt nicht umsonst: Wie man bettet, so liegt man, wie man schmiert, so fährt man. Der Faust ist teufelmäßig wild und scheint mir tückischer Gemütsart, ich sah es ihm gestern abend ab. Nun ist der Kaiserliche Gesandte bloß seinetwillen hierher gereist, gar bei ihm abgestiegen, findet in dem einen großen Mann, den wir als einen Schuhputzer herumgehudelt haben – der wird's euch nun einbrocken beim Kaiserlichen Gesandten – ja, ja, er wird ihm schon den Floh ins Ohr setzen, und all unser Hofieren und Grimassieren wird zu weiter nichts nützen, als uns vor den Bürgern zu Narren zu machen. Wer den Karren in Dreck geschoben, mag ihn auch wieder herausziehen, ich wasche meine Hände wie Pilatus und bin unschuldig an Israels Verderben und Blindheit.«

Es erfolgte ein tiefes Schweigen. Die blutige Schlacht bei Kanna, die Rom den Untergang drohte, hatte den römischen Senat nicht so erschreckt als diese kritische Lage den edlen Magistrat von Frankfurt. Schon siegte der Bürgermeister in stolzem Geist, schon glaubte er den Schöppen völlig aus dem Sattel gehoben zu haben, als dieser seine politische Weisheit und Heldenkraft sammelte, dem sinkenden Staat zu Hülfe eilte, mit starker Stimme ad majora rief und trotzig vorschlug:

Sogleich eine Gesandtschaft aus dem Rat nach der Herberge zu schicken, den vornehmen Gast zu bewillkommen und Fausten vierhundert Goldgulden für seine lateinische Bibel zu überbringen, um ihn dem Staate günstig zu machen.[56]

Der Bürgermeister spottete darüber, daß man nun vierhundert Goldgulden für ein Ding gäbe, das man gestern vielleicht für hundert hätte haben können; seine Spötterei diente zu nichts, der Vorteil des Vaterlands schlug sie nieder. »Salus populi suprema lex!« schrie der Schöppe und trug dem Bürgermeister mit Bewilligung des Rats auf, den Gesandten und Fausten auf Kosten des Staats köstlich zu bewirten.

Dieser Umstand beruhigte den Bürgermeister, der gern seinen Pracht und Reichtum zeigte, ein wenig über seinen Fehlschuß auf den Schöppen, und der Zusatz »auf Kosten des Staats« versetzte ihn in die beste Laune.


2.

Die jüngsten Ratsherren mit einem der vier Syndiken machten sich auf den Weg, und der Bürgermeister schickte nach Hause, Anstalten zum Schmause zu machen. Der Teufel Leviathan war eben mit Fausten in einem tiefen Gespräche verwickelt, als ihnen die Gesandtschaft angemeldet ward. Man ließ sie ein. Sie bewillkommten im Namen des Senats in aller Demut den vornehmen Gast und gaben ihm durch eine feine Wendung zu verstehen, daß ihnen sowohl seine hohe Person als seine wichtigen Aufträge bekannt wären, und versicherten ihn mit zierlichen Worten von ihrem Eifer für das Kaiserliche hohe Haus. Der Teufel verzerrte das Gesicht, wandte sich zu Fausten, faßte ihn an der Hand und versicherte die Redner, daß ihn nichts in ihre Mauern geführt hätte, als ihnen diesen großen Mann zu entwenden, den sie, wie er nicht zweifle, zu schätzen wüßten. Die Abgesandten wurden etwas verwirrt, faßten sich aber bald wieder und fuhren fort:

Es freue sie höchlich, daß sie ihm auf der Stelle einen Beweis von der Achtung des Magistrats für einen so großen Mann geben könnten. Sie hätten den angenehmen Auftrag, Fausten vierhundert Goldgulden für seine lateinische Bibel auszuzahlen, bäten ihn, sie gefälligst anzunehmen und ihnen dieselbe als ein Kleinod zu übergeben. Auch würde sich der hochweise Magistrat für glücklich halten, ihn, wenn es ihm gefiele, unter ihre Bürger zählen[57] zu können und ihm dadurch den Weg zum Ruhm und der Ehre zu öffnen.

Diesen letzten Umstand setzten sie aus eigner politischen Weisheit hinzu, ein Beweis, daß sie sich als geschickte Unterhändler der Umstände, die man nicht vorsieht, zu bedienen wußten.

Faust fuhr zornig auf, stampfte auf den Boden und schrie:

»Lügnerisches Gepack, hab ich euch nicht lange genug gefuchsschwänzt, vom stolzen Patrizier bis zu dem Schuhmacher und Pfefferkrämer, denen ihr den Ratsherrnkragen um die Hälse hängt wie dem Esel die Halfter, und ihr habt mich an eurer Schwelle stehen lassen und kaum eines Blicks gewürdigt. Nun ihr hört, daß der gnädige Herr hier mich für den Mann hält, den ihr nicht in mir sehen konntet, so kommt ihr, mir den Fuchsschwanz zu streichen. Seht, hier ist Gold, wofür ihr gern das Heilige Römische Reich verkaufen würdet, wenn ihr nur einen Narren finden könntet, der den ungeheuren Rumpf ohne Kopf, Sinn und Verbindung kaufen möchte.«

Den Teufel freute Fausts Zorn und die Scham der jungen Senatoren höchlich; sie aber, die die Geschichte der Römer nie gelesen hatten, waren nicht so hohen und feurigen Sinns, um gleich eine Kriegserklärung aus ihrem zusammengefaltnen Ratsherrnmantel gegen Fausten hinzuschütten, sie brachten im Gegenteil die Einladung zu dem Schmause bei dem Bürgermeister mit einem so muntern Tone vor, als wenn gar nichts geschehen wäre. Ein neuer Beweis von ihrer Geschicklichkeit im Unterhandeln; hätten sie zum Beispiel den Schimpf beantwortet, so würden sie dadurch eingestanden haben, sie verdienten ihn, da sie ihn aber ganz platt auf die Erde fallen ließen, mir nichts, dir nichts, so ward er kraftlos und erhielt die Farbe eines unbilligen Vorwurfs. Nur Genies sind fähig, so etwas im geltenden Augenblick aufzufassen, zu unterscheiden und auszuführen.

Bei dem Worte Bürgermeister spitzte Faust die Ohren, und der Teufel gab ihm einen bedeutenden Seitenblick. Faust nahm hierauf die Bibel aus seinem Kasten, übergab sie den Senatoren und sagte gefällig:

Da er nun sähe, daß sie zu leben wüßten, ob man sie gleich[58] dazu zwingen müßte, so mache er der Stadt mit seiner Bibel ein Geschenk, sie möchten sie fleißig lesen und den Spruch, den er hier unterstreiche und deutsch auf den Rand schreibe, dem versammelten Rat zeigen und ihn zu seinem Andenken mit goldnen Buchstaben an die Wand der Ratsstube schreiben.

Die Senatoren gingen so vergnügt nach dem Römer zurück als Gesandten, die nach einem schlechten Krieg einen guten Frieden nach Hause bringen. Sie wurden mit großer Freude empfangen, man schlug die bemerkte Stelle auf und las:

Und siehe, es saßen die Narren im Rat, und die Toren ratschlagten im Gerichte.

Man verschluckte die bittre Pille, weil der vermeinte Schatten der Kaiserlichen Majestät in der Gestalt des Teufels ihnen allen die Mäuler band, tröstete sich mit den ersparten vierhundert Goldgulden und wünschte sich wechselsweis viel Glück, so gut aus einem so schlimmen Handel gekommen zu sein. Den Abgesandten wurde öffentlich gedankt, und schade ist's, daß ihre Namen nicht auf die Nachwelt gekommen sind. Da sie endlich von dem reichen Geldkasten Fausts sprachen, so fuhr der Glanz des Goldes wie ein Wetterstrahl durch alle Seelen, und jeder entwarf im stillen einen Plan, wie es anzufangen, sich den Mann zum Freund zu machen. Der Schöppe schrie, man müßte ihn zum Bürger machen, ihm Sitz und Stimme im Rat geben, die Politik erfordere, daß man Herkommen und Gesetz übertrete, wenn es der Vorteil des Vaterlandes wäre etc.

Faust machte indessen einen Spaziergang mit dem Teufel; aber sie fanden die Leute des Orts so flach und albern, nach einem so engen Leisten zugeschnitten, sahen so unbedeutende, nichts versprechende Gesichter, als sie nur immer die Nürnberger, als Damen und Herren aufgeputzt, für den Christmarkt schnitzeln können. Den einzigen Trieb, den sie ihnen ablauerten, war Neugierde, Geld- und Gewinnsucht, ein beschränkter Kaufmannsgeist, der es nicht wagt, sich ins Große auszudehnen. Der Teufel sagte gähnend zu Faust:

»Ängstlich, Faust, fühlt der Reichsstädter, und ängstlich fährt er zur Hölle, hier ist keine Ernte für den Mann von Geist, laß[59] uns abfahren, wenn du die Bürgermeisterin dahin gebracht hast, wo du sie haben willst.«6


3.

Die Glocke schlug zur Mahlzeit. Der Teufel und Faust setzten sich auf prächtig geputzte Pferde und ritten, von einem großen Gefolge begleitet, an das sich ein langer Zug gaffenden Pöbels hing, zu dem regierenden Bürgermeister. Sie traten in den Versammlungssaal. Der ganze Magistrat erwartete sie und beugte sich vor ihnen bis auf die Erde. Der regierende Bürgermeister bewillkommte sie mit einer Rede, stellte ihnen die Ratsglieder und die Weiber der Vornehmsten vor, die ihre geistlosen Gestalten so prächtig herausgeputzt hatten, daß ihre Steifheit und Ungewandtheit nur um so auffallender wurde. Sie starrten alle wie eine Herde Gänse und konnten sich an Leviathans Putze nicht satt sehen. Die Bürgermeisterin, eine Leipzigerin, ragte allein unter ihnen hervor wie eine Oreade. Ihr war der Blick Fausts so wenig entgangen als seine vermögende Gestalt und sein geistvolles Gesicht. Sie errötete, da er sie bewillkommte, und fand keine andre Antwort auf seine Anrede als einen Blick voller Verwirrung, den Fausts Herz wie die süßte Harmonie verschlang. Die Senatoren spannten ihren Witz an, den Gästen zu hofieren, und man setzte sich zur wohlbedienten Tafel. Nach Tische nahm der Teufel den Bürgermeister in ein besondres Kabinett, ein Umstand, der diesem außerordentlich schmeichelte und allen übrigen, besonders dem Schöppen, ein Dolchstich war.

Der Bürgermeister, vom Weine erhitzt, von der Ehre, die ihm der vermeinte Kaiserliche Gesandte erwies, berauscht, erwartete in gebeugter Stellung und mit hervorragenden starren Augen seinen Antrag. Der Teufel bezeugte ihm in sanftem Tone, wie schmeichelhaft ihm die gute Aufnahme des Bürgermeisters sei[60] und wie sehr er wünschte, sich ihm dankbar zu erweisen, setzte hinzu, er führe eine Anzahl Adelsbriefe bei sich, mit kaiserlicher Unterschrift bekräftigt, verdienstvolle Männer zu belohnen, und er wollte ihm gern den ersten erteilen, wenn –

Freude, Entzücken, Erstaunen schossen durch des Bürgermeisters Geist, er stund vor dem Teufel mit weit aufgesperrtem Munde, stammelte endlich: »Wenn? Was? Wie? Oh –« Und der Teufel raunte ihm ganz leise ins Ohr:

Sein Freund Faust sei ganz unsinnig in die schöne Bürgermeisterin verliebt, um seinetwillen würde er alles tun, und wenn die Bürgermeisterin sich auf einige Augenblicke mit Fausten entfernen wollte, das bei dem Geräusche eines Schmauses so leicht wäre, so sollte er ihr den Adelsbrief zustellen.

Hiermit verließ ihn der Teufel, ging zu Fausten, unterrichtete ihn und stellte ihm den Adelsbrief zu, seiner Sache gewiß. Faust zweifelte, und der Teufel lachte seiner Zweifel.

Der Bürgermeister stund in seinem Kabinett wie versteinert. Der plötzliche Glanz eines unerwarteten Glücks hatte sich durch die häßliche Bedingung so verfinstert, daß der Reiz desselben schon verschwinden wollte, als auf einmal der Stolz in seine Seele blies:

»Ho! ho!« sagte dieser, »auf eine so auszeichnende Art zum Edelmann geprägt zu werden! dadurch deinen stolzen Feinden gleich zu werden und deine Stimme im Rat zu erheben wie eine Posaune! unter sie zu treten wie ein Mann, den seine Kaiserliche Majestät, seiner Verdienste wegen, über alle und vor allen erheben will!«

Ein andres Gefühl lispelte leise:

»Hu! hu! mit Willen und Wissen ein Hahnrei zu werden –« »Aber wer weiß es?« antwortete der Verstand. »Und was ist nun an dem ganzen Ding, ich erhalte ein wirkliches Gut und leihe dafür eins, das längst keinen Reiz mehr für mich hat. Das Übel sitzt nur in der Meinung, und es wird ein Geheimnis zwischen mir und meiner Frau bleiben. Und wenn es gar seine Kaiserliche Majestät erführe, daß ich diese hohe Ehre ausgeschlagen – Im Grund, kann ich wohlfeiler zum Edelmann kommen? Wird es[61] nicht ein Nagel am Sarge des Schöppen werden? Und was werden die Bürger nicht sagen, wenn sie sehen, daß seine Kaiserliche Majestät mich so zu schätzen weiß? Werde ich mich nicht der ganzen Regierung bemächtigen und es allen denen vergelten, die mich beleidigt haben? Ho! ho! Bürgermeister, sei kein Narr! die Gelegenheit hat nur an der Stirne Haare, hinten ist sie kahl. Greife zu! Der Mann ist nur das, was er in den Augen der Welt scheint. Wer sieht es dem Edelmann an, wie er's geworden ist – aber meine Frau, die wird sich dagegen setzen, ich kenne schon die sächsische Ziererei« –

In diesem Augenblick trat sie herein, um zu erfahren, was der vornehme Herr ihm allein vertraut hätte. Er sah sie schalkhaft, doch etwas verlegen an:

»Wie, Mäuschen, wenn ich dich heute noch zur Edelfrau machte?«

SIE: Schätzchen, so würden alle Weiber der bürgerlichen Ratsherren aus Neid vergehen, und die Frau des Schöppen würde an ihrem trocknen Husten zur Stunde für Ärgernis sterben.

ER: Das würde sie gewiß, und ich könnte ihren stolzen Mann unter mich bringen; aber, Mäuschen, du sollst dich selbst dazu machen, und mich obendrein.

SIE: Seit wenn machen die Weiber ihre Männer zu Edelleuten, mein Schatz?

ER: Wer weiß, mein Kind, wie viele es so geworden sind – erschrecke nur nicht – Da ist der verwünschte Faust, dem hast du es angetan.

Die Bürgermeisterin errötete, er fuhr fort:

»Nur um seinetwillen will mich der Gesandte zum Edelmann machen, und er soll dir den Adelsbrief unter vier Augen übergeben. Du verstehst mich schon. Hm, was denkst du davon?«

SIE: Stille, stille, mein Schatz, ich denke, daß uns, wenn der Kaiserliche Gesandte einem andern aus dem Rat die Bedingung vertraute, die Gelegenheit entwischen wird.

ER: Verzweifelt, Mäuschen, laß uns eilen, daß uns keiner zuvorkomme.

Die Gesellschaft hatte sich indessen in dem Garten zerstreut,[62] der Bürgermeister schlich hinter dem Faust her und sagte ihm leise ins Ohr, es würde seiner Frau eine Ehre sein, den Adelsbrief aus seinen Händen zu empfangen, nur möchte er sich ohne Aufsehen auf der Hintertreppe, die er ihm zeigen wollte, zu ihr begeben, er denke übrigens, es sei nur eine Grille von ihm, und er fürchte nichts von einem Manne, der so viel Ehrgefühl und Gewissen zeigte. Er führte ihn hierauf zur Hintertreppe, Faust schlich hinauf, trat in das Schlafzimmer und fand die Bürgermeisterin in der wollüstigsten Verwirrung. Er raste an ihrem schwellenden Busen seine Glut aus und schlug den Bürgermeister zum Ritter des Heiligen Römischen Reichs. Sie von ihrer Seite glaubte sich nicht dankbar genug bezeigen zu können und fragte am Ende, ob in Zukunft mehr dergleichen Formalitäten nötig wären. Hierauf überbrachte sie ihrem Gemahl heimlich den Adelsbrief, und sie verabredeten, ihn bei dem Abendessen in einer verguldeten und verdeckten Schüssel auftragen zu lassen, um den Gästen durch die unerwartete Entdeckung einen desto peinlichern Schlag beizubringen. Der Teufel, dem der Bürgermeister seinen Plan mitteilte, fand ihn vortrefflich; Faust aber raunte ihm ins Ohr: »Ich befehle dir, dem Schufte, der sein Weib um des Wahns prostituiert hat, und dem ganzen hochweisen Magistrat einen recht tückischen Streich zu spielen, um mich an allen den Schafsköpfen auf einmal zu rächen, die mich so niederträchtig herumgezerrt haben!«


4.

Man saß beim Abendessen, die Becher gingen wacker herum, als auf einmal der Teufel befahl, die verdeckte Schüssel, die die Neugierde der Anwesenden so lange gefoltert hatte, zu öffnen. Dann nahm er den Adelsbrief von der Schüssel, überreichte ihn dem Bürgermeister mit den Worten: »Würdiger Herr, Seine Majestät der Kaiser, mein Herr, geruhet, Euch durch diesen Adelsbrief um Eurer Treue und Verdienste willen zum Ritter des Heiligen Römischen Reichs zu schlagen. Ich fordere Euch auf, aus Dankbarkeit und Pflicht nie in dem Eifer für das hohe Kaiserliche[63] Haus zu erkalten, und bringe Euch, Herr Ritter, die erste Gesundheit zu!«

Diese Worte rollten wie der Donner in den Ohren der Gäste. Der Betrunkne ward nüchtern, der Nüchterne betrunken, den Weibern zitterten die von Zorn blauen Lippen beim Glückwunsch, der Schlag traf den Schöppen, er saß ohne Bewegung auf dem Stuhl, und sein Weib war nah, an ihrem trocknen Husten zu ersticken. Die Furcht zwang indessen die übrigen, vergnügte Gesichter zu zeigen, und man trank unter lautem Vivat des neuen Ritters Gesundheit. Während dem Geräusche füllte auf einmal ein dünner Nebel den Saal. Die Gläser fingen an auf dem Tische herumzutanzen. Die gebratnen Gänse, die Enten, Hühner, Spanferkel, Kälber-, Schafs- und Ochsenbraten schnatterten, krähten, grunzten, blökten, brüllten, flogen über dem Tische und liefen auf dem Tische. Der Wein trieb in blauen Feuerflammen aus den Flaschen. Der Adelsbrief brannte loh zwischen den Fingern des bebenden Bürgermeisters und ward zu Asche. Die ganze Gesellschaft saß da, verwandelt in possierliche Masken einer tollen Faschingsnacht. Der Bürgermeister trug einen Hirschkopf zwischen den Schultern, alle die übrigen, Weiber und Männer, waren mit Larven aus dem launigen Reiche der grotesken und bizarren Phantasie geziert, und jeder sprach, schnatterte, krähte, blökte, wieherte oder brummte in dem Tone der Maske, die ihm zuteil geworden. Dieses machte ein so tolles Konzert, daß Faust dem Teufel gestund, das Stückchen mache seiner Laune Ehre. Der Schöppe allein, unter der Maske eines Pantalons, saß leblos da, und seine Frau wollte unter der Gestalt einer Truthenne ersticken. Nachdem sich Faust lange genug an dem Spuk ergötzt hatte, gab er dem Teufel einen Wink, und sie fuhren zum Fenster hinaus, nachdem der letztere für diesmal den gewöhnlichen Gestank der Hölle hinterlassen hatte.

Nach und nach verschwand der Spuk, und als die weisen Herren morgens in der Ratsstube erschienen, war nichts mehr davon übrig als obiger Spruch, der in glühenden Buchstaben an der Wand brannte und den man notgedrungen mit einer eisernen Türe bedeckte und nur jedem neuen Ratsmitglied unter dem[64] Siegel der Verschwiegenheit als ein Staatsgeheimnis zeigte. Von allen diesem sagt nun die Geschichte oder, welches in Teutschland einerlei ist, die Chronik nicht ein Wort, und nun glaube ihr einer.

Der Bürgermeister gewann wenigstens so viel bei dem Handel, daß der Schöppe gelähmt blieb und weiter nicht mehr im Rat erschien.

Zu merken: In dem Augenblick, da die Stadt Frankfurt der Reformation beitrat, vertilgte der Teufel diese glühende Inschrift, und es ist keine Spur mehr davon zu sehen. Die Ursach davon liegt in der Rede des Satans. Man bemerkt diesen Umstand neugieriger Reisenden wegen und gibt ihnen den Wink, in Frankfurt nur nach der Goldnen Bulle zu fragen.




5.

Der Teufel Leviathan und Faust fuhren über die Stadtmauern weg, und als sie sich auf dem flachen Felde befanden, sandte ersterer einen Geist nach dem Wirtshause, die Rechnung zu berichtigen und Fausts Gerätschaft zu bringen. Darauf wandte er sich zu Faust und fragte ihn, wie er mit seinem Probstück zufrieden sei.

FAUST: Hm, will der Teufel gelobt sein? so! so! Es freut mich übrigens, daß du ihnen etwas angehängt hast; aber nie hätte ich's hinter dem ernsthaften Schuft gesucht, daß er sein Weib um des Wahns willen prostituieren würde.

TEUFEL: Nur weiter, Faust, bald wirst du dich überzeugen, daß dieses die Gottheit ist, die ihr anbetet und die ihr unter allerlei glänzenden Gestalten ausgeputzt habt, ihre Blöße zu verstecken. Man hört dir noch immer an, daß du dich mit den Büchern abgegeben und auf leerem Stroh gedroschen hast; freilich nicht der Weg zu dem Herzen der Menschen. Die Schuppen werden dir schon nach und nach von den Augen fallen. In deinem Vaterland ist übrigens nicht viel zu tun. Möncherei, Scholastik, Prügeleien der Edelleute, Menschenhandel der Fürsten mit ihren Untertanen, Bauernschinderei, das ist euer Getreibs.[65] Ich muß dich auf eine Bühne führen, wo die Leidenschaften etwas freier würken und wo man zu großen Zwecken große Kräfte anwendet.

FAUST: Und ich will dich zwingen, an den moralischen Wert des Menschen zu glauben, bevor wir mein Vaterland verlassen, wenn wir sagen können, daß wir eins haben. Nicht ferne lebt ein Fürst, den ganz Teutschland als ein Muster der Tugend und Gerechtigkeit preist, diesen wollen wir besuchen und belauschen.

»Topp«, sagte der Teufel, »ein solcher Mann könnte auch mir um der Seltenheit gefallen.«

Der Geist kam mit Fausts Gerätschaften an, sie schickten ihn nach Mainz voraus, um in einer Herberge Quartier zu bestellen. Faust wollte aus geheimen Absichten, die der Teufel roch, bei einem Eremiten an der Homburger Höhe übernachten, der weit und breit im Geruch besondrer Heiligkeit stund. Sie erreichten um Mitternacht die Einsiedelei und klopften an. Der Eremit öffnete ihnen, und Faust, der die reichen Kleider des Teufels umgeworfen hatte, entschuldigte die Dreistigkeit, die Ruhe eines so heiligen Mannes unterbrochen zu haben, mit dem Vorwand, sie hätten sich auf der Jagd verspätet und ihr Gefolg außer einem Diener verloren. Der Eremit sah zur Erde und sagte seufzend:

»Derjenige, der dem Himmel lebt, darf der gefährlichen Ruhe nicht pflegen. Ihr habt mich nicht gestört, und wollt Ihr ausruhen bis zum Aufgang der Sonne, so laßt es Euch gefallen, wie Ihr es findet. Wasser, Brot und Stroh zum Lager ist alles, womit ich Euch dienen kann.«

FAUST: Bruder Eremit, wir haben das Nötige bei uns, und ich bitte dich nur um einen Trunk Wasser.

Der Eremit nahm seinen Krug und ging nach der Quelle.

FAUST: Ich denke, in seinem Herzen wohnt Ruhe wie auf seiner Stirne, und preise ihn glücklich, daß er das nicht kennt, was mich dir verbunden hat. Ihm ist Glauben und Hoffnung Ersatz für alles das, um deswillen ich der Verdammnis zueile; so scheint es wenigstens.[66]

TEUFEL: Und scheint auch nur; wie, wenn ich dir bewiese, daß dein Herz rein wie Gold gegen das seinige ist?

FAUST: Teufel!

TEUFEL: Faust, du warst arm, verkannt, verachtet und sahst dich mit deinen großen Fähigkeiten im Staub; du bist der Verachtung als ein kraftvoller Mann, auf Gefahr deines eigenen Selbsts, entsprungen und warst nicht fähig, deine Not mit dem Mord eines andern zu enden, wie dieser Heilige es tun würde, wenn ich ihn in Versuchung führte.

FAUST: Merke ich doch den listigen Teufel! Ich darf dir nur befehlen, deine Kunststücke auszuüben, und du wirst die Sinne dieses Gerechten so verwirren, daß er Taten unternimmt, die seinem Herzen fremd sind.

TEUFEL: Ist denn eure Tugend und Frömmigkeit ein so zerbrechliches Ding, daß keiner daran schlagen darf, ohne sie zu zertrümmern? Seid ihr nicht stolz auf euren freien Willen und schreibt durch ihn eure Taten eurem eignen Herzen zu? Ihr seid alle Heilige, wenn euch nichts in Versuchung führt. Nein, Faust, ich will nichts hinzusetzen und seinen Sinnen nur den Köder zeigen, um sein Herz zu prüfen. Braucht der Teufel in euch hineinzukriechen, da ihr durch eure Sinne gestimmt werdet?

FAUST: Und wenn dir's nicht gelingt, glaubst du, ich würde deine Pfuscherei ungestraft lassen?

TEUFEL: Nun, so sollst du mir zur Strafe einen ganzen Tag von der Tugend der Menschen vorprahlen. Laß sehen, ob ihn dieses reizt.

Eine mit leckern Speisen und mit feurigen Weinen besetzte Tafel erschien in der Mitte der Einsiedelei. Der Eremit trat herein und stellte leise das Wasser vor Faust, entfernte sich in einen Winkel, ohne der üppigen Tafel zu achten.

FAUST: Nun, Bruder Eremit, wir haben aufgetischt, laßt es Euch nicht zweimal sagen und greift zu. Unbeschadet Eures heiligen Rufs mögt Ihr mit schmausen, denn auf Eurer Stirne lese ich, daß es Eurem Herzen gelüstet. Kommt, einen Becher zu Ehren Eures Schutzheiligen. Wie heißt er?[67]

EREMIT: Der heilige Georg.

FAUST: Er soll leben!

TEUFEL: Ho, ho, Bruder Eremit, der heilige Georg von Kappadozien, das war mir ein ganzer Kerl, und wenn Ihr den zum Muster nehmt, so werdet Ihr gut dabei fahren. Ich kenne seine Geschichte recht gut und will sie Euch zu Eurer Erbauung mit kurzen Worten erzählen. Er war der Sohn sehr armer Leute und in einer elenden Hütte Ciliciens geboren. Als er heranwuchs, fühlte er früh seine Gaben und öffnete sich durch Schmeichelei und Niederträchtigkeit und Kuppelei die Häuser der Großen und Reichen. Diese verschafften dem dienstfertigen Manne aus Dankbarkeit eine Lieferung für die Armee des griechischen Kaisers. Er stahl aber dabei auf eine so grobe Art, daß er bald flüchtig werden mußte, um nicht gehenkt zu werden. Hierauf schlug er sich zu der Sekte der Arianer und machte sich als ein offner Kopf bald zum Meister des dunklen, unverständlichen Wirrwarrs der Theologie und Metaphysik. Um diese Zeit vertrieb der arianische Kaiser Constantius den gut katholischen und heiligen Athanasius vom bischöflichen Sitze Alexandriens, und der Kappadozier ward von einem arianischen Synod auf den bischöflichen Stuhl gesetzt. Hier war Euer Georg nun in seinem Elemente, er schwelgte und ließ sich gut sein; da er aber durch Ungerechtigkeit und Grausamkeit die Gemüter seiner Untergebenen bis zur Verzweiflung trieb, schlugen sie ihn endlich tot und führten seine Leiche auf einem Kamel im Triumph durch die Straßen Alexandriens. Seht, so ward er ein Märtyrer, Euer und Engellands Schutzheiliger.

EREMIT: Die Legende sagt nichts davon.

FAUST: Ich glaub es wohl, Bruder, denn um der Wahrheit willen müßte sie eigentlich der Teufel schreiben.

Der Eremit segnete sich.

FAUST: Ist Essen und Trinken eine Sünde?

EREMIT: Es kann dazu reizen.

TEUFEL: Dann müßt Ihr schwach sein und schlecht mit dem Himmel stehen. Kampf und Versuchung ist der Triumph des Heiligen.[68]

EREMIT: Der Herr hat recht; aber nicht alle sind Heilige.

FAUST: Seid Ihr glücklich, Bruder?

EREMIT: Ruhe macht glücklich und ein gutes Gewissen selig.

TEUFEL: Auch Ruhe reizt zur Sünde, und mehr als Speis und Trank; woher nehmt Ihr das?

EREMIT: Die Bauern bringen mir des kümmerlichen Lebens Unterhalt.

FAUST: Und was tut Ihr für sie?

EREMIT: Ich bete für sie.

FAUST: Gedeiht es ihnen?

EREMIT: Ich hoffe, und sie glauben es.

TEUFEL: Bruder, Ihr seid ein Schelm.

EREMIT: Beleidigungen der sündigen Welt sind dem Gerechten nötige Züchtigung.

TEUFEL: Warum seht Ihr nicht aufwärts? Warum errötet Ihr? Nun denkt einmal, ich verstünde die Kunst, auf des Menschen Angesicht zu lesen, was in seinem Herzen spukt.

EREMIT: Desto schlimmer für Euch, Ihr werdet Euch selten in Gesellschaft freuen.

TEUFEL: Ho! ho! wißt Ihr doch das? Er sah nach Faust.

EREMIT: Es ist eine sündige Welt, in der wir leben, und weh ihr, wenn Tausende nicht in die Einsamkeit eilten, ihr Leben dem Gebet weihten, um die Rache des erzürnten Himmels von dem Haupt der Sünder abzuwenden.

FAUST: Guter Bruder, Ihr schlagt Euer Gebet ziemlich hoch an; und glaubt mir nur, es ist noch immer leichter zu beten als zu arbeiten.

TEUFEL: Hört doch, Ihr habt da einen Zug um den Mund, der Euch zum Heuchler stempelt, und Eure Augen, die in einem so engen Kreise herumlaufen und immer gegen den Boden gekehrt sind, sagen mir, daß sie überzeugt sind, sie würden zu Verrätern Eures Herzens, wenn sie aufblickten.

Der Eremit hub die Augen gen Himmel, betete mit gefaltnen Händen und sprach: »So antwortet der Gerechte dem Spötter.«

FAUST: Genug! kommt, Bruder, und laßt es Euch gut mit uns sein.[69]

Der Eremit war nicht zu bewegen, Faust sah den Teufel höhnisch an, der es noch höhnischer erwiderte. Auf einmal öffnete sich schnell die Türe, und eine junge Pilgerin fuhr atemlos herein. Als sie sich von ihrer Furcht und ihrem Schrecken erholt hatte, erzählte sie, wie sie ein Ritter verfolgt hätte, dem sie so glücklich gewesen zu entwischen und sich bei dem frommen Eremiten zu retten. Man bewillkommte sie freundlich und entdeckte eine blühende, wollüstig gebildete Schönheit in ihr, die dem heiligen Antonius selbst den Sieg über das Fleisch würde schwer gemacht haben. Sie setzte sich zu dem Teufel, nahm bescheiden Teil an dem Mahl, und der Teufel nahm sich Freiheiten mit ihr heraus, die anfangs den Eremiten empörten, endlich verwirrten, und da der Teufel in einem Augenblick ihren milchweißen, vollen, schimmernden und hebenden Busen aufdeckte, ihre schwarze Haare darüber rollten, so fühlte er das glühende Feuer der Lust von diesem Busen so heiß in den seinen hinüberfließen, daß er beinahe vergaß, dagegen zu kämpfen. Die Pilgerin riß sich beschämt und zornig aus den Armen des Teufels, um Schutz bei dem Eremiten zu suchen, den er ihr vermöge seines Rocks nicht versagen konnte.

Der Teufel und Faust stellten sich trunken und zum Schlafe geneigt; ehe sie sich niederwarfen, steckte der Teufel vor des Eremiten Augen einen schweren Beutel voll Gold unter die Streu, legte seine und Fausts reiche Ringe in eine Schachtel, die letzterer zu sich nahm. Auf den Tisch legten sie ihre Schwerter und Dolche, warfen sich nieder und schnarchten.

Die Pilgerin nahte leise dem Tische, goß mit ihrer niedlichen und schneeweißen Hand einen Becher voll schäumenden Weins. Sie kostete den Rand mit ihrem reizenden, frischen Munde und reichte ihn dem Eremiten dar. Er stund da wie betäubt, und in der Verwirrung leerte er diesen und einige folgende aus und verschluckte gierig die Leckerbissen, die ihm die Zauberin, einen nach dem andern, in den Mund steckte. Hierauf zog sie ihn hinaus, bat ihn unter Tränen um Vergebung, daß sie gezwungen seine heilige Augen beleidigt hätte; tat dabei so wehmütig und untröstlich, faßte seine Hände so warm, ließ sich endlich vor ihm[70] auf die Knie nieder, und da in diesem Augenblick ihre Brust sich öffnete und der silberne Mond ihren schimmernden Busen erleuchtete, der leise Wind ihre schwarzen Locken darauf hin und her bewegte, so er wachte das Gefühl der unterdrückten Natur so stürmend in dem Eremiten, daß er an diesen blendenden Busen sank, ohne zu wissen, wie ihm geschah. Die Pilgerin führte ihn unmerklich von einer Stufe der Lust zu der andern, und da er eben hoffte, sich seinem Wunsche zu nahen, so lispelte sie ihm leise ins Ohr, sie würde ewig die seinige sein, wenn er sie zuvor an diesen Frechen rächen und sich ihres Schatzes bemächtigen wollte, durch dessen Besitz sie beide ein seliges, wollüstiges Leben bis an ihr Ende führen könnten.

Der Eremit erwachte ein wenig aus seinem Taumel und fragte sie zitternd, wie sie das verstände und was sie an ihn forderte.

Unter üppigen Küssen, wollüstigen Seufzern lispelte sie ihm noch leiser ins Ohr, indem sie ihren heißen Busen gegen sein schlagendes Herz drückte: »Ihre Dolche liegen auf dem Tische, du ermordest den einen, ich den andern, kleidest dich in ihr Gewand, bemächtigest dich ihres Schatzes, wir stecken die Einsiedelei an und fliehen nach Frankreich.«

Der fürchterliche Gedanke des Mords schauderte durch die Sinne des Eremiten, die Wollust raste in seinem Herzen, er strauchelte, wankte, blickte auf die Reize der Zauberin, fühlte sich in ihrem Besitz, sah, daß er sie und den Schatz ohne Gefahr erhalten könnte, alle vorige Empfindungen verschwanden, und er vergaß den Himmel und seinen Beruf. Die Pilgerin stieß den Taumelnden in die Zelle, er faßte einen Dolch, sie den andern, wollte den Streich gegen Fausten führen, der Teufel erhub ein Hohnlachen der Hölle, und Faust sah den Eremiten mit gezücktem Dolche an seiner Seite knien.

FAUST: Verdammter, der du unter der Larve der Frömmigkeit deine Gäste ermorden willst!

Der Eremit sank bebend zur Erde. Die Pilgerin, eine Gaukelei der Hölle, zeigte sich ihm in fürchterlicher Gestalt und verschwand.

Faust befahl dem Teufel, die Hütte anzustecken und sie mit[71] dem Heuchler zu verbrennen. Der Teufel gehorchte frohlockend, und die Einsiedelei brannte auf. Den folgenden Morgen wehklagten die Bauern über den Tod des Gerechten, sammelten seine Knochen und verehrten sie als Reliquien des frommen Eremiten.


6.

Faust und der Teufel kamen morgens in Mainz an und stiegen bei Fausts Wohnung ab. Sein junges Weib fiel ihm mit einem hellen Freudenschei um den Hals, herzte ihn und brach dann in wehmütige Tränen aus. Die Kinder hingen sich lärmend an seine Knie, durchsuchten begierig seine Taschen, ob er ihnen etwas mitgebracht. Der alte graue Vater nahte sich mit zitternden Knien und reichte dem Sohn traurig die Hand. Fausts Herz bewegte sich, er fühlte seine Augen naß, er bebte und sah zornig nach dem Teufel. Als er seine Frau fragte, warum sie weinte, antwortete sie schluchzend: »Ach sieh doch, Faust, wie die Hungrigen in deinen Taschen nach Brot suchen, wie kann ich dies ohne Tränen ansehen! sie haben lange nichts gegessen, wir waren so unglücklich, alle deine Freunde haben uns verlassen, aber nun ich dich wiedersehe, ist mir, als erblickte ich das Angesicht eines Engels. Ich und dein Vater haben noch mehr um dein- als um unsertwillen gelitten. Wir hatten so fürchterliche Träume und Erscheinungen; wenn sich meine von Tränen müden Augen schlossen, sah ich dich gewaltsam von uns gerissen und alles war so finster und schreckend –«

FAUST: Dein Traum, Liebe, geht einesteils in Erfüllung. Sieh, dieser Herr will die Verdienste deines Mannes belohnen, den sein hartes Vaterland mißkannte und verstieß. Ich habe mich ihm verbunden, eine lange und weite Reise mit ihm zu machen.

DER ALTE FAUST: Mein Sohn, bleibe im Lande und nähre dich redlich, sagt die Schrift.

FAUST: Und sterbe Hungers, ohne daß man sich deiner erbarmt, sagt die Erfahrung.

Die Mutter jammerte noch kläglicher, die Kleinen schrien um Brot. Faust winkte dem Teufel, der einen Diener heraufrief,[72] welcher bald darauf einen schweren Kasten hereinschleppte. Faust öffnete den Kasten und warf einen schweren Sack voll Gold auf den Tisch. Da er den Sack aufmachte und das Gold schimmerte, verbreitete sich Heiterkeit auf die traurigen Gesichter. Hierauf zog er schöne Kleider und Kleinodien aus dem Kasten und übergab sie seinem Weibe. Die Tränen verschwanden, die Eitelkeit leckte sie weg wie die Sonnenhitze den Tau, und Munterkeit goß sich über das Angesicht des jungen Weibs. Der Teufel lächelte, und Faust murrte in seinen Bart: »O Zauber des Golds! Magie der Eitelkeit! ich kann nun wegreisen, ohne daß es andre Tränen als Tränen der Verstellung kosten wird. – Nun, Weib, sieh, dies sind die Früchte meiner Reise, sag, ist es nun besser, daß ich im Lande mit euch allen darbe?«

Die junge Frau hörte nichts, sie stund mit den schönen Kleidern und Kleinodien vor dem Spiegel und versuchte alle die Herrlichkeiten. Die kleinen Mädchen hüpften um sie herum, bewunderten sie, nahmen die Putzstücke, die sie weglegte, und ahmten die Mutter nach. Indessen brachte ein Diener ein volles Frühstück, die Kleinen fielen darüber her, schrien und jauchzten. Die Mutter hatte den Hunger vergessen.

Fausts Vater sagte seinem Sohn leise: »Hast du dies alles auf eine redliche Art erworben, so laß uns Gott danken, mein Sohn, und des Bescherten genießen. Ich habe seit einigen Nächten schreckliche Gesichter und Ahndungen gehabt, doch ich hoffe, sie kommen von unserm Kummer her.«

Diese Anmerkung des Alten wollte tief in Fausts Seele sinken; aber die Freude, seine Kinder so gierig und vergnügt essen zu sehen, zu bemerken, wie freundlich und dankbar sein ältester Sohn und Liebling nach ihm blickte, der Gedanke, ihrem Elend abgeholfen zu haben, der Mißmut über das Vergangene, der innere Zug nach Genuß dämpften die Aufwallung. Der Teufel legte noch eine Summe zu dem Golde, beschenkte die junge Frau mit einem edlen Halsschmuck, gab jedem der Kinder etwas und versicherte die Familie, er würde Fausten reich, gesund und glücklich zurückbringen.


7.

[73] Faust ging hierauf mit dem Teufel zu einem Freund, den er in großer Betrübnis antraf. Er fragte ihn um die Ursache seiner Traurigkeit, und er antwortete ihm, daß diesen Mittag der ihm bekannte Prozeß abgeurteilt würde, und er wäre gewiß, ihn zu verlieren, so sehr auch das Recht auf seiner Seite sei. »Meister Faust«, setzte er hinzu, »mir bleibt nichts übrig, als zu betteln oder mich in den Rhein zu stürzen, wo er am tiefsten ist.«

FAUST: Wie könnt Ihr gewiß sein, daß Ihr den Prozeß verliert, da das Gesetz für Euch ist?

FREUND: Aber die fünfhundert Goldgulden meines Widersachers sind gegen mich, und da ich ihn nicht überbieten kann, so muß ich zugrund gehen.

FAUST: Liegt's nur an dem? kommt und führt mich zu Eurem Richter. Ich habe hier einen Freund, der solchen Nöten gern abhilft.

Sie fanden in dem Richter einen aufgeblasnen stolzen Mann, der einen armen Klienten kaum eines Blicks würdigte. Faust kannte ihn längst für das, was er war. Der Richter fuhr Fausts Freund verdrießlich an: »Was quält Ihr mich, wißt Ihr doch, daß Tränen die Gerechtigkeit nie bestechen?«

Der gebeugte Freund sah demütig zur Erde.

FAUST: Gestrenger Herr, da habt Ihr recht, Tränen sind auch nur Wasser und beißen nur das Auge dessen, der sie weint; aber doch wißt Ihr, daß mein Freund das Recht für sich hat.

RICHTER: Meister Faust, Ihr seid mir als ein Mann bekannt, der Hab und Fahrt verpraßt und eine lose Zunge hat. Was kümmern seine Tränen die Gerechtigkeit? Recht und Gesetz sind zweierlei; hat Euer Freund das erste für sich, so hat er darum noch nicht das zweite.

FAUST: Ihr sagt, Recht und Gesetz sind zweierlei, ungefähr wie Richter und Gerechtigkeit, meint Ihr doch?

RICHTER: Meister Faust, ich sagte Euch, Ihr seid mir bekannt –[74]

FAUST: Wir betrügen uns vielleicht einer in dem andern, wohlweiser Herr; aber lohnt's doch der Mühe nicht, den Mohren weiß waschen zu wollen. Er machte die Türe auf, der Teufel trat ein. Hier ist ein Freund, der Euch ein Dokument vorlegen wird, das, wie ich hoffe, der Sache meines Freundes eine beßre Wendung geben soll.

Als der Richter den reich gekleideten Teufel sah, nahm er eine freundlichere Miene an und bat sie alle, niederzusetzen.

FAUST: Wir können es im Stehen abtun. Zu dem Teufel. Zeigt doch das Dokument vor, das wir ausgefunden haben.

Der Teufel zählte bis zu fünfhundert Goldgulden, dann hielt er innen.

RICHTER: Das Dokument ist nicht übel, meine Herren; doch die Gegenpartei hat längst eins von gleichem Gewicht eingegeben.

FAUST: So müssen wir die Gründe für uns schwerer machen. Der Teufel zählte bis tausend, dann hielt er innen.

RICHTER: In der Tat, diesen Umstand hatt ich ganz übersehen, und solchen Beweisen ist nicht zu widerstehen.

Er raffte das Gold zusammen und verschloß es in seinen Schrank.

FAUST: Ich hoffe doch, Recht und Gesetz sind nun einverstanden.

RICHTER: Ihr versteht die Kunst, Meister Faust, die ärgsten Feinde auszusöhnen.

Faust, den die Schlechtigkeit des Richters ebenso sehr beleidigte wie seine Grobheit, lispelte dem Teufel beim Weggehen ins Ohr: »Räche die Gerechtigkeit an diesem Bösewicht!«

Hierauf trennte er sich von seinem Freunde, ohne seinen Dank abzuwarten, ging weiter mit dem Teufel, seine Schulden zu bezahlen. Besuchte dann seine übrigen Freunde, gab überall mit vollen Händen, selbst denen, die ihn im Unglück verlassen hatten, und fühlte sich glücklich, seiner angebornen Großmut und Freigebigkeit ohne Maß und Einschränkung den Zügel schießen lassen zu können. Der Teufel, der weitersah und bemerkte, wie er ohne alle Überlegung wegwarf, freute sich der Folgen.
[75]


8.

Sie kamen nach dem Gasthofe. Faust, dem nun das Betragen seiner Frau wieder einfiel, war mürrisch und betroffen, er konnte es ihr nicht vergeben, daß ihr weiter keine Klagen über seine Entfernung entfahren seien, nachdem sie das Gold und die Kleinodien gesehen hatte. Er glaubte sich bisher mehr von ihr geliebt als alle Schätze der Erde und dachte, sie würde dieselben um seinetwillen fahren lassen. Diese Bemerkung über eine ihm so nahe Person machte einen widrigen Eindruck auf sein Herz. So strenge richtet und schließet nur der, den sein eignes Herz verurteilt, als Faust diesen Augenblick in seinem Innern tat. Der Teufel merkte, wo es ihn drückte, ließ ihn gern an diesen düstern Gedanken zerren, damit er das süße Band, worin ihn die Natur noch leise gefesselt hielt, ganz zerreißen möchte. Er sah mit innigem Genusse die schreckliche Qual, die einst daraus entspringen würde, wenn die Zukunft alle die Ungeheuer enthüllen sollte, womit der verwegne Faust sie zu füllen auf dem Wege war.

Mittags speisten sie mit einigen Äbten und Professoren an der Wirtstafel, die zur Ergötzung des Teufels bald in einen heftigen Streit über die Nonne Klara gerieten. Noch war das Kriegsfeuer in aller Stärke, der Parteigeist raste in allen Häusern, und die Streiter am Tische gebärdeten sich so wütend, sagten über den bekannten Fall so tolle Sachen, daß Faust alle übele Laune vergaß. Als aber ein Doktor der Theologie behauptete, es sei möglich, daß der Teufel sein Spiel so weit getrieben hätte, die Nonne durch den Traum in gewisse Umstände zu versetzen, brach der Teufel in ein brüllendes Lachen aus, und Fausten fuhr der Gedanke durch den lüsternen Sinn, sich auf eine schreiende Art an dem Erzbischof zu rächen, der seiner Erfindung so wenig geachtet. Er hoffte dadurch den Gegenstand des theologischen und politischen Haders und Zweikampfs in Mainz so zu verwirren, daß kein menschlicher Geist dieses Chaos mehr auseinanderwickeln sollte. Er bedachte nicht, daß er ihm dadurch ein Ende machte. Nach Tische befahl er dem Teufel, ein Mittel auszusinnen, daß er[76] diese Nacht unter der Gestalt des Dominikaners bei der Nonne Klara liegen könnte. Der Teufel erwiderte, es sei ein leichtes, und wenn es ihm gefiele, so sollte ihn die Äbtissin selbst iß die Zelle der Nonne führen. Faust spottete des Teufels, denn die Äbtissin war ihm als eine fromme, strenge und gewissenhafte Frau bekannt.

TEUFEL: Faust, dein Weib erhub ein Zetergeschrei, als du ihr deine Reise ankündigtest; aber da der Schimmer des Goldes und des Putzes in ihre Augen strahlte, lachte das Herz des Kummers. Ich sage dir, die Äbtissin soll dich in die Zelle der Nonne führen, und ich will keine übernatürliche Mittel gebrauchen. Du selbst sollst Zeuge sein, wie die alte Vettel in die Angel beißen wird. Komm, wir wollen ihr unter der frommen Gestalt zweier Nonnen einen Besuch machen. Ich kenne die Lage der Klöster, die Gesinnungen der Nonnen und Mönche in Teutschland genau, um sie vorstellen zu können. Ich will die Äbtissin der schwarzen Nonnen vorstellen und du ihre Freundin, die Schwester Agathe.

In diesem Augenblick kam Fausts Freund voller Freude, ihm die Nachricht von dem glücklichen Ausgang seines Prozesses zu überbringen. Er wollte Fausten und dem Teufel danken, Faust aber sagte: »Ich entlasse Euch alles Danks und empfehle Euch meine Familie in meiner Abwesenheit.« Der Teufel lächelte über sein Zutrauen. Faust raunte diesem ins Ohr: »Es ist Zeit, denke des Richters!«


9.

Der Richter wollte nachmittags seinem geliebten Weibe die tausend Goldgulden des Teufels vorzählen, zog sehr hastig die Schublade heraus und fuhr bei ihrem Anblick bebend zurück. Die Goldstücke hatten sich in Mäuse und große Ratten verwandelt, die alle herausfuhren und wütend nach seinem Gesicht und seinen Händen sprangen. Der Richter, der von Natur einen großen Abscheu gegen diese Tiere hatte, floh aus der Stube, sie ihm nach und hingen sich an seine Ferse. Er stürzte zu dem Hause hinaus, lief durch die Straßen, das Ungeziefer verfolgte ihn. Er[77] rannte aufs Feld, sie ließen nicht ab. So trieben sie den Angstvollen bis in den steinernen Mautturm im Rhein. Hier dachte er das Ende ihrer Verfolgung gefunden zu haben; aber Ratten und Mäuse aus der Hölle scheuen das Wasser nicht. Sie schwammen hindurch, fielen über ihn her und fraßen ihn lebendig auf. Von dieser Zeit an nennte man diesen Turm den Mäuseturm. Seine Frau erzählte in der Bestürzung die Geschichte der Verwandlung der Goldstücke, wodurch sich ihr unglücklicher Mann hätte verblenden lassen, und seit diesem Vorfall hat man im ganzen Erzstift Mainz kein Beispiel erlebt, daß sich ein Richter oder Advokat hätte bestechen lassen. Der Teufel muß dieses nicht bedacht haben, sonst hätte er gewiß den Spuk bleiben lassen.




10.

Der Teufel und Faust stunden verwandelt und vermummt in dem Kreuzgang des Nonnenklosters. Die Pförtnerin lief voraus, was sie konnte, der Äbtissin den vornehmen Besuch anzukündigen. Die Äbtissin empfing sie mit allen den frömmelnden Klosterbegrüßungen, die der Teufel in gleichem Tone beantwortete. Man trug Zuckergebacknes und feine Getränke auf, schnatterte von Klostergeschichten, von der argen Welt, und der Teufel lenkte seufzend die Unterredung auf Klaras Geschichte. Klärchen, die vermöge ihrer Verwandtschaft das Schoßkind des Klosters war, stund neben der Äbtissin und lächelte unter ihrem Schleier. Faust bemerkte das Lächeln, verschlang sie mit den Augen und freute sich des bevorstehenden Abenteuers, denn nie dünkte ihn, einen reizendern Schalk unter dem heiligen Schleier gesehen zu haben. Der Teufel gab dem Gespräche eine ernste Wendung und ließ die Äbtissin merken, er hätte ihr wichtige Sachen zu vertrauen.

ÄBTISSIN zu Klara: Lämmchen, Ihr könnt nun zu den Nonnen in Garten gehen und Euch ergötzen. Ich will Euch, des vornehmen Besuches der Äbtissin zu Ehren, Zuckergebacknes schicken, daß Ihr den Tag ihres Besuchs feiern mögt.

Klärchen sprang weg. Nach einigen Worten, wobei der Teufel[78] sehr bedenklich und ängstlich tat, um die Äbtissin zu reizen, in ihn zu setzen, fing er an, seinem Zwecke näherzukommen.

TEUFEL: Ach, liebe Schwester, wie sehr bedaure ich Euch! Es ist wahr, und das kann Euch trösten, die ganze Stadt und das ganze Land sind von Eurer Heiligkeit, Eurer Frömmigkeit und Strenge überzeugt. Ihr seid ein lebendiges Muster der Bräute des Himmels; aber leider! Welt ist Welt, und oft flößt der böse Feind den Weltmenschen böse Gedanken ein, um die durch sie zu stürzen, die ihm ein Dorn in den Augen sind. Er kann es nicht leiden, der häßliche Satan, daß Ihr Eure Schäfchen in aller Reinheit weidet. Wie gesagt, ich bedaure Euch herzlich, und noch mehr die armen Schäfchen, die Euch anvertraut sind; was wird aus ihnen werden, wenn sie Euch verlieren?

ÄBTISSIN: Liebe Schwester, seid darum unbesorgt; ob ich gleich alt bin, so bin ich doch, dem Himmel sei Dank, gesund und frisch, und die kleinen Ungemächlichkeiten, ach! eine Folge der Enthaltsamkeit, des strengen Lebens und der Buße, sichern eher mein hinfälliges Leben, als daß sie es bedrohen. Wenigstens sagt mir dies immer der Arzt des Klosters, wenn ich mich beklage.

Der Teufel sah sie bedeutend an:

»Habt Ihr denn gar keine Ahndung von dem, was Euch bevorsteht? Kein warnendes Traumgesicht? Hat sich seit einiger Zeit gar nichts im Kloster zugetragen, das Euch aufmerksam auf die Zukunft macht? Es pflegt doch gewöhnlich zu geschehen, daß fromme Seelen durch gewisse Zeichen von dem unterrichtet werden, was ihnen bevorsteht.«

ÄBTISSIN: Ihr erschreckt mich, daß ich am ganzen Leibe zittre. Laßt mich doch nachsinnen – ja, ja, nun erinnre ich mich – ich schlafe sehr unruhig – träume von Kirchhof und Leichen – und vor einigen Tagen – o gewiß ist dies ein Zeichen und Warnung. Vor einigen Tagen, liebe Schwester, ging ich mit dem Hündchen, das hier in meinem Schoße schläft und das ein gar sittsames Tier ist, spazieren. Ich war ganz allein, und die Nonnen erzählten sich unter den Linden Märchen. Auf einmal sprang der große Hund des Gärtners nach meiner Pietas, so heißt das Hündchen, und[79] wollte das Werk des Teufels mit ihr treiben. Ich bebte an allen Gliedern, schlug ein Kreuz nach dem andern vor die Brust, es wollte alles nichts helfen. Endlich schlug ich mit meinem Stabe auf den großen Hund, schlug aus Leibeskräften auf das häßliche Tier, das das Kloster entweihte, und schlug, schlug, bis der Stab, den mir der hochselige Erzbischof bei meiner Einweihung als Äbtissin verehrte, mitten entzwei brach. Sollte dies nicht ein Vorzeichen von Bedeutung sein?

Der Teufel und Faust taten erschrocken:

»Ach, das schlimmste von der Welt!«

TEUFEL: Nun ist alles klar und wahrhaftig. Hab ich's Euch nicht gesagt, Schwester Agathe?

Faust beugte sich demütig.

ÄBTISSIN: So redet doch, ich bebe am ganzen Leibe.

TEUFEL: Faßt Euch, liebe Schwester, noch ist Rettung da, vielleicht, daß ich sie Euch bringe. Bedenkt wohl, daß es der Stab war, den Euch der Erzbischof bei Eurer Einweihung als Äbtissin verehrte, und hört mir dann aufmerksam zu. Ihr kennt doch meinen Bruder, den Domherrn? Nun, er vertraute mir eine ganz erschreckliche Sache, und eben darum bin ich zu Euch gekommen. Er nahm zwar eine Verpflichtung von mir, es Euch nicht zu sagen; aber weiß ich doch, daß es besser ist, eine kleine Sünde zu begehen, wenn man einer größern zuvorkommt und die Absichten des Teufels stört.

ÄBTISSIN: Da habt Ihr recht, und die Kirchenväter selbst lehren uns das, wie mein Beichtvater sagt.

TEUFEL: So wißt denn, der Erzbischof hat endlich das Kapitul so weit gebracht, daß sein Vorschlag durchgegangen ist, Euch nach Verlauf einiger Monate abzusetzen und seine Nichte Klara als Äbtissin einzuweihen.

»Jesus Maria!« rief die Äbtissin, rang die Hände und fiel in Ohnmacht. Der Teufel machte ein saures Gesicht bei ihrer Ausrufung, und Faust rieb ihr lachend die runzlichten Schläfe. Nachdem sie sich erholt hatte, brach sie in eine Tränenflut und in die bittersten Verwünschungen über die Bosheit der Welt aus.[80]

TEUFEL: Verzweifelt nicht, liebe Schwester, für ein Übel, das noch nicht geschehen ist, kann man immer Mittel finden.

ÄBTISSIN: Und was ratet Ihr mir Unglücklichen? Ach, der Himmel erbarme sich, was soll aus mir, was soll aus den Nonnen werden?

TEUFEL: Ich sagte Euch schon, daß es oft besser sei, eine kleine Sünde zu begehen, um einer größern vorzukommen, und Ihr selbst bewiest es aus den Kirchenvätern und setztet hinzu, daß man dadurch den Absichten des Teufels und derer er sich bedient entgegenarbeitet; aber liebe Schwester, dazu gehört Mut und Verstand, es so einzufädeln, daß ein dritter die Hauptsünde davontrage und man ohne Gefahr für sich und seine Seele seinen Zweck erhalte.

ÄBTISSIN: Ach, liebe Schwester, und wie ist das anzufangen?

TEUFEL: Ich bin einmal in unserm Kloster in gleichem Fall gewesen, die fromme Schwester Agathe hier ist mein Zeuge, sie hat alles angesehen, dazu geholfen, und Ihr habt sie nicht zu fürchten.

Faust verbeugte sich demütig.

TEUFEL: Eine Nonne, die durch sündlichen Verstand und noch sündlichere Schönheit bei den Großen Schutz gefunden hatte, sollte durch ihre Hülfe über mich hinaussteigen. Ach, Ihr fühlt nun, wie das tut, wenn man auf einmal gehorchen soll, nachdem man so lange unumschränkt geherrscht hat! Ich ging in Gegenwart der Schwester Agathe mit einem meiner Anverwandten zu Rat, er war in Gewissens- und Sündenfällen sehr bewandert und wußte auf ein Haar, was verdammlich und nicht verdammlich sei. Dieser kluge Mann nun gab mir einen Rat, der mir aus der Not half und wofür ich noch heute seine Asche segne. Anfangs schien er mir freilich sündlich, aber er versicherte mich und bewies mir's aus den Kasuisten, daß Fasten und ein wenig Disziplin ihm das Arge und Verdammliche benehmen würden.

ÄBTISSIN: Und der Rat? der Rat?

TEUFEL: Ich schäme mich, es Euch laut zu sagen.

ÄBTISSIN: So lispelt mir's in das Ohr. Was die Äbtissin der[81] schwarzen Nonnen ohne Gefahr ihrer Seligkeit tun konnte, mag auch die Äbtissin der weißen tun.

TEUFEL ihr leise ins Ohr: Er riet mir, es zu veranstalten oder geschehen zu lassen, daß die mir gefährliche Nonne die Sünde des Fleisches beginge.

ÄBTISSIN sich kreuzigend: Heilige Ursula! dies ist ja Teufelswerk und führt grade zur Hölle.

TEUFEL: Den, der sie begeht, liebe Schwester, und das rate ich Euch ja nicht. Bedenkt doch, wenn Ihr um der heimlichen Sünden Eurer Nonnen verdammt würdet, wie sollte es Euch ergehen?

ÄBTISSIN: Aber um aller Heiligen willen, wie konntet Ihr eine so gefährliche Sache ausführen, ohne daß es entdeckt wurde?

TEUFEL: Oh, mein Fall war viel schwerer wie der Eurige, denn Euch begünstigt schon das Gerücht von dem Traume, der die ganze Stadt erfüllt hat. Wenn Ihr nun einen Mann unter der Gestalt des Dominikaners in Klaras Zelle schleichen laßt und die Zeichen der sündigen Tat darauf erscheinen, wird nicht die ganze Welt sagen, es sei ein Spiel des Erbfeinds der Menschen? Laßt dem Satan den schlechten Ruf und bleibt auf Eurem Stuhl, mit der Herrschaft geschmückt, sitzen, die dem Himmel gefällt. Dieses rate ich Euch zu Eurem Besten, aus Freundschaft für Euch, und Ihr mögt es nun machen, wie Ihr wollt.

Die Äbtissin saß stumm da und betete in der Verwirrung leise ihren Rosenkranz herunter. – »Die Sünde des Fleisches soll retten – Ave Maria! – es ist Eingebung des Satans – Heilige Ursula, erleuchte mich!« – sie sah nach dem Bilde der Heiligen. – »Die Schande und Ärgernis für das Kloster werden groß sein – Ave Maria! – es wird auf die Rechnung des Teufels geschrieben werden – aber ich kann verdammt dadurch werden! – pater noster – soll ich nun eine Magd im Kloster werden und in meinen alten Tagen mich von Höhern quälen lassen, nachdem ich so lange die Nonnen gequält habe? – wir würden ihrer los, das sündliche Geschöpf hatte ohnedies der ganzen Stadt Ärgernis gegeben. – Hm, ich soll nicht mehr die Nönnchen auskeifen; und wie würde sich diese und jene an mir rächen? Ave Maria! – ich[82] will meine übrigen Tage als Äbtissin ausleben, dem Kloster zum Besten, es koste, was es wolle!«

Der Teufel feuerte zu, und der Anschlag ward gefaßt. Beim Weggehen sagte der Teufel zu Faust:

»Was hab ich nun anders getan, als daß ich den Stolz dieser alten Vettel fragte, ob es besser sei, die gefürchtete Verdammnis zu wagen oder die tyrannische Gewalt über die armen Nonnen aufzugeben, die sie nur noch eine kurze Zeit auszuüben hat?«

So wohl Fausten der Spaß gefiel, so sehr mißfiel es ihm, daß der Teufel immer recht behielt. Abends führte ihn die Äbtissin unter der Vermummung des Dominikaners selbst in Klaras Zelle, während die Nonnen in der Vesper waren. Klärchen erschien, und nachdem sie sich der heiligen Ursula empfohlen, legte sie sich nieder. Ihre Einbildungskraft, die einmal auf gewisse Dinge gespitzt war, wiederholte oft in Träumen die vorige Erscheinung, sie lag eben in einer solchen Entzückung, als Faust zu ihr schlich, die Erscheinung zu verkörpern. Klärchen hielt wachend das Spiel für Traum, genoß seiner und fühlte die Sünde der Lust in all ihrem Reiz. Die Äbtissin gab sich indessen in ihrer Zelle die Disziplin und gelobte, jede Woche, um ihrer Seele willen, einmal zu fasten. Der Erfolg dieser Nacht endigte auf einmal den Krieg in Mainz, aber für das arme Klärchen war er schrecklich.

Faust nahm nun Abschied von seiner Familie. Es wurden wenig Tränen vergossen, und sein Vater gab ihm traurig heilsame Lehren.


11.

Als er mit dem Teufel über die Rheinbrücke ritt, sich an der nächtlichen Szene ergötzte und Glossen über die Äbtissin machte, sahe er ferne einen Menschen im Wasser, der dem Ersaufen nahe war und nur noch matt mit dem nahen Tod kämpfte. Er befahl dem Teufel, den Menschen zu retten. Dieser antwortete ihm mit bedeutendem Blicke:

»Faust, bedenke, was du forderst, es ist ein Jüngling, und vielleicht ist es besser für ihn und dich, daß er hier sein Leben endet.«[83]

FAUST: Teufel, nur zum Bösen bereit, willst du mich dahin bringen, dem Ruf der Natur zu widerstehen? Eile und rette ihn.

TEUFEL: Du kannst wohl nicht schwimmen – gut! Die Folgen seien dein Gewinn; du wirst es bereuen.

Er eilte hin und rettete den Jüngling. Faust tröstete sich, durch eine gute Handlung die sündige Nacht versühnt zu haben, und der Teufel lachte des Trosts.[84]

5

Das Rathaus.

6

Man verliere ja nicht aus den Augen, daß dieses Drama zu Ende des funfzehnten Jahrhunderts spielt und folglich keinen der jetzt Lebenden beleidigen kann und soll. Übrigens weiß ich nicht, ob der Teufel den Reichsstädtern und Teutschen überhaupt größre Komplimente machen könnte, als er bin und wieder tut, und es bewiese nur gegen ihre Tugend und ihr Christentum, wenn sie dieselben nicht mehr verdienten oder gar in einem andern Sinne nahmen.

Quelle:
Friedrich Maximilian Klinger: Werke in zwei Bänden. Band 2, Berlin 1970, S. 54-85.
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