Zehnte Scene

[106] Thusnelda mit ihren Jungfrauen.


THUSNELDA. Nun, nun bin ich wieder die Glücklichste unter allen meinen Gespielinnen! Denn Hermann lebt, und den größten von allen Siegen über die Römer erfochten Deutsche! Gestatte mir, Brenno, daß ich mich dem heiligen Altar nähere. Ich will hier unsern Hermann erwarten. Denn so muß ich den Liebling des Vaterlandes heut nennen, obgleich mein Herz ihn niemals lauter meinen Hermann genannt hat! Glücklicher, glücklicher war nie ein Weib eines ehrenvollen Mannes, als ich heute bin! O Hertha, welch ein Tag ist dieser! Jungfrauen, eure Blumen sind doch die schönsten unter allen Blumen?

BRENNO. Stolz deines Mannes, so wie der edle Jüngling der Stolz seines Volkes ist, Thusnelda, ja, du bist sehr glücklich, Thusnelda!

THUSNELDA. Ungestüm schlägt mir mein Herz, daß ich kaum weiß, wo ich mich hinwenden soll! Eure Blumen, Jungfrauen, sind doch die schönsten unter allen Blumen?[106] und eure Stimmen so frohen Tons, wie die Stimme des Wiederhalls in den Felsen des Rheins? Denn heut', heut muß unser Siegslied den Gesang der Barden übertreffen! Erwarte ich ihn hier bei dem Altar? Trete ich in den Felseneingang vor? Ich bin dir Ehrfurcht schuldig, erhabner Jüngling, der eine Schlacht geschlagen hat, wie keiner deiner Väter schlug. Kommt, Jungfrauen, wir wollen hier in diese Schatten zurücktreten. Meint ihr etwa, Druiden, daß die Partherschlacht wie unsre war? Selbst Brenno ist ihm heut' Ehrfurcht schuldig!

BRENNO. Das bin ich, Thusnelda!

THUSNELDA. Ihr Gefährtinnen meines Lebens, meine Gespielinnen, als ich ihm den ersten Kranz wand, habt ihr's gehört, was Wodans oberster Priester von ihm sagte? O Mond, wie gehest du heut' in unsern Hainen auf! Hat er jemals so schön durch das heilige Laub geschimmert, meine Gespielinnen? Wer ist dieser Römer in der Kette?

BRENNO nach einigem Stillschweigen. Dieser Gefangne heißt jetzt Flavius.

THUSNELDA. Ihr Götter! Hermanns Bruder? und er ist hier? und er entweiht Wodans Altar so nah'? Er soll doch nicht sterben, Brenno?

BRENNO. Ich weiß nicht, wie es die Fürsten entscheiden werden.

THUSNELDA. Ach, er muß nicht sterben, Brenno. Heut muß kein Deutscher mehr sterben!

BRENNO. Er ist kein Deutscher mehr.

THUSNELDA. Auch wenn er es nur war, muß er heut nicht sterben.

BRENNO. Wenn ihn unsre Heerführer in der Freude des Siegs vergessen, so werfe ich das Todeslos über ihn.[107]

THUSNELDA. Aber, o Brenno, er ist ja Siegmars Sohn und Hermanns Bruder!

EIN HAUPTMANN. Gesiegt, gesiegt, wie sie selbst niemals siegten, bis zur Vernichtung der Legionen gesiegt! Römerschilde, Barden! Er schlägt sie zusammen. Römerschilde! Doch ich bin nah bei dem Altar. Verzeih, Brenno, daß ich seiner und deiner vergaß. Ich glaube, ich vergaß in dieser Freude des Gottes selbst, wenn er hier stand!

EIN ANDRER HAUPTMANN. Hermann kömmt! O Vater Brenno, welch ein Sieg! Hermann, der ihn erfochten hat, Hermann der Retter seines Vaterlands, kömmt, Vater Brenno! Hier sind die Beile der Blutrichter.


Er wirft die Fasces weit von sich weg.


THUSNELDA. Er kömmt! Es wird Bardenmusik von fern gehört. Er kömmt! Wo wende ich mich hin?

BRENNO. Lebt Varus?

DER HAUPTMANN. Er ist todt!


Hermanns Barden fahren fort zu singen.


Denn, o Vertilger der Legionen,

So hat noch Keiner Wodan geopfert!

Gewaffnete Hekatomben waren die Opfer'


Quelle:
Friedrich Gottlieb Klopstock: Sämmtliche Werke. Band 6, Leipzig 1844, S. 106-108.
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