Neunte Scene

[103] Die Vorigen. Ein Gefangener.


EIN BARDE. Sie bringen einen Römer herauf. Ja, Alles, alles ist entschieden, weil sie Zeit haben, Gefangene zu führen.

BRENNO. Siehst du Hermann noch in der Schlacht?

DER BARDE der von der Seite nach dem Thale zu zurückkömmt. Es ist keine Schlacht mehr. Ganze Manipeln werfen die Schilde und die Lanzen weg. Der Gefangne kömmt. Dieser Römer muß nicht weit vorgedrungen seyn. Er hat keine Wunde.

SEIN FÜHRER. Er hat gewollt, daß wir ihn zu Hermann führen sollten. Wir bringen ihn hier herauf, weil Hermann bald hierher kommen wird.

BRENNO. Wer bist du, Römer?

DER GEFANGNE. Ich bin kein Römer.

BRENNO. Und wer bist du denn?[103]

DER GEFANGNE. Ich bin aus einem Volke, das nicht kriegen sollte, sondern sich unterwerfen.

BRENNO. Und mit wem nicht kriegen?

DER GEFANGNE. Mit den Beherrschern der Welt.

BRENNO. Heut' herrschen sie hier nicht. Wer bist du, verwegner Sklav?

DER GEFANGNE. Ich bin ein Deutscher.

BRENNO. Du bist kein Deutscher! Wir fechten nicht gegen unser Volk! Und ohne Blut kommst du aus einer solchen Schlacht?

DER GEFANGNE. Wenn es dir scheint, daß ich nicht sterben gelernt habe, so werde ich hier bei euch bald zeigen können, daß ich es weiß.

BRENNO. Wenn du wirklich ein Deutscher bist und also wider dein Volk gestritten hast, so bist du uns zu gleichgültig, um zu bemerken, wie du stirbst! Aber wer bist du?

DER GEFANGNE. Hermanns Bruder.

BRENNO. Der Verräther Flavius?

FLAVIUS. Flavius, der glaubt, daß wir eure Beherrscher sind!

BRENNO. Wir, sagst du? Ich sehe, daß du uns durch diesen deinen Stolz noch verächtlicher werden und so dem Tode entgehen willst! Fliehn hast du gelernt, aber nicht sterben! Sehet den Verworfensten unsers Volks, weil er Hermanns Bruder ist!

WERDOMAR. Was dachtest du, Elender, da du den Kriegsgesang unten hörtest?

FLAVIUS. Ich dachte, unsre Lanzen würden euch bald in das Reich des Stillschweigens hinabsenden, weil auch ihr dieß kleine Volk – klein ist es gegen die Römer – anfeuert, sich immer unglücklicher zu machen.[104]

WERDOMAR. Dieß kleine Volk, elender Mann, hat heut die drei ältesten Legionen Roms vertilgt! Bald wirst du eure Adler sehn und unsern Hermann, der dein Bruder nicht mehr ist!

FLAVIUS. Alles, was ich euch zugestehen kann, ist, daß dieser volkschmeichelnde stolze Jüngling die drei Tage her nicht wenig kühn gewesen ist. Mein Blut wallet mir heiß auf, wenn ich daran denke, daß ich diesen jüngeren Sohn meiner Mutter jetzt sehen muß.

BRENNO. Das Eine nur will ich dich würdigen dir noch zu sagen: du hast keine Mutter mehr!

FLAVIUS. Ist meine Mutter todt?

BRENNO. Die Mutter Hermanns lebt! Er muß sterben, Werdomar!

WERDOMAR. Meinst du, die siegenden Fürsten werden sich zu dieser Aufmerksamkeit auf ihn herablassen? Sie, die das Todesurtheil über drei Legionen so laut aussprachen, daß es in allen Palästen Augustus und um jeden Altar des Capitols wiederhallen wird!

BRENNO er naht sich Flavius schnell. Der Tod schwebt über dir! Ein Wort, und keins der Schwerter hier, das nicht gleich gegen dich wüthe! Soll ich seinen Namen nennen, Werdomar?

FLAVIUS. Können die Druiden jetzt die Gefangnen der Schlacht tödten?

BRENNO. Nah schwebt der Tod über dir, sage ich. Ein Name, sage ich, oder auch ein Anblick, und du bist nicht mehr!

WERDOMAR. Mitleid! Mitleid! Sterben muß er, aber Mitleid!

BRENNO. Laß mich! Gegen ihn?[105]

FLAVIUS. Womit drohst du mir?

BRENNO. Mit Dem, der alle diese Schwerter hier gegen dich zücken kann. Ich weiß nicht, wie hart das Herz eines Verräthers ist, aber auch dem härtesten unter allen könnte der Tod selbst nicht bittrer seyn!

FLAVIUS. Ich versteh dich nicht.

BRENNO. Hier wandeln Geister, welche auf dem Wege nach Walhalla sind: die verstehn mich.


Quelle:
Friedrich Gottlieb Klopstock: Sämmtliche Werke. Band 6, Leipzig 1844, S. 103-106.
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Klopstocks Sämmtliche Werke: Bd. Der Tod Adams. Hermanns Schlacht (German Edition)