Achte Scene

[98] Die beiden Opferknaben führen den ältesten und tragen zugleich sein Schild und Lanze und einen römischen Helm.


ALLE.

Und, hast du bei Waffentänzen und Siegesmahlen

Die zweite lange Jugend gelebt!

So nimmt dich auf in seinen strahlenden Hain

Allvater!

BEIDE OPFERKNABEN. Wir sind unschuldig, Brenno! wir sind unschuldig! Wir konnten ihn nicht halten.

EINER. Wir wollten ihm das Blut saugen, aber er wollte nicht haben.

WERDOMAR. Ach, mein armer Sohn! Er hält ihn. Sieh mich an. Kennst du mich nicht, mein Sohn?

DER KNABE. Wer bist du?

WERDOMAR. Ich bin dein Vater![98]

DER KNABE. Du mein Vater? Du bist der blutige Centurio! Geh'! Ist Das der schreckliche Varus dort am Altar? Warum faßt Varus Wodans Altar an? Du sollst Wodans Altar nicht anfassen, du Feldherr der Tyrannen!

SIEGMAR. Was naht sich mir für eine Jünglingsgestalt aus Walhalla? Ist Das der Geist meines Sohns Hermann? Ist mein Sohn nun todt? Mein Sohn Hermann, geht der Weg nach Walhalla hier bei dem Altar vorbei, so nimm mich mit, mein Sohn Hermann!

BRENNO. O Siegmar, sieh' hin! Es ist Werdomars Sohn. Wodan würdigt sogar diesen Knaben, daß er ihn aus der Schlacht zu sich ruft.

DER KNABE. Soll denn Varus immer hier bei dem Altare stehn? Er sprach von Walhalla. Er muß nicht von Walhalla sprechen. Hat er die Barden alle getödtet? Hat er meinen Vater auch nach Walhalla gesandt? Soll er denn immer noch hier bei dem Altare stehn? Die Jünglinge haben genug geblutet, daß er den heiligen Altar nicht anfassen sollte. Ich hab' auch geblutet!

SIEGMAR. Geist meines Sohns Hermann, warum ist dein Blick so wild? Haben wir die Schlacht verloren?

DER KNABE. Ja, du blutiger Varus! Verloren hast du sie, die Schlacht, und alle deine Schilde und alle deine Adler verloren und alle deine Lanzen und alle deine Beile! Gleichwohl dulden sie dich immer noch hier bei Wodans Altar! Was haltet ihr mich so? Wer hat meine Lanze? Der blutige Mann ist ohne Schild! Wer hat meine kleine, schöne Lanze? Ich traf wohl eher den Geier im Fluge! Ich will's nicht fehlen, dieß Römerherz. Denn hat ihm nicht Hertha den Schild vom Arm heruntergeschlagen?[99]

SIEGMAR. Verloren, sagst du? was denn verloren? Wo bin ich denn? Verloren hätten wir sie, diese lang berathschlagte, kühne Schlacht, die so schön begann und so schön fortschlug? Nein, o Erscheinung dort, du bist der Geist meines Sohns Hermann nicht! Ha, bei Wodan, der bist du nicht! Von seinem Stammeln an hat mein Sohn Hermann keine Unwahrheit gesagt, und er sollte auf dem Wege nach Walhalla eine sagen?

WERDOMAR. Am Abhange, denke ich, sind Mooshügel, daß ich mein armes Kind darauf legen kann und ihm die Wunde saugen.

EIN BARDE. Sobald du durch die Felsen gegangen bist, findest du gleich einen zur Rechten.

DER KNABE. Was faßt ihr mich nun so stark an? Ja, stoßt mich nur hinunter, weil ihr den blutigen Varus nicht hinunter stoßen wollt.

SIEGMAR. Nun, so bist du denn endlich entflohn, du täuschende Erscheinung!

EIN DRUIDE der am äußersten Hange des Felsen sieht und hinuntersieht, für sich. Nein, nein, mein Auge trügt mich nicht! Sie weichen, auf allen Seiten weichen sie! Ja, ja! Ihr Götter, ihr täuscht mich doch nicht, o ihr Götter? Ja, sie weichen!

BRENNO. Was bewegt dich so, Druide? was siehst du? was sagst du?

DER DRUIDE. Ach, Brenno!

BRENNO. Was zitterst du, Druide?

DER DRUIDE. Ach, Brenno, ich weiß nicht, ob ich im Taumel der Freude recht sehe. Sie fliehn, Brenno, sie fliehn!

BRENNO zu einem andern Druiden. Hin du! Tritt vor! Blick' hinab![100]

DER DRUIDE. Bei Hermanns rothem Schwert, Brenno, sie fliehn! sie fliehn auf allen Seiten!

SIEGMAR. Was führt ihr mich denn auf dem Schlachtfeld' umher, wenn ihr die Bilder und die Adler zwischen den Leichen nicht aufheben wollt? Was zögert ihr denn? Sollen die großen Denkmale unsers Siegs nicht in den Hain gestellt werden? Das ist ein schwerer Schlummer gewesen! Ich weiß nicht, wie lang' er gedauert hat, Brenno. Werden wir bald siegen? oder haben wir schon gesiegt?

BRENNO. Zwei Druiden haben eben jetzt die Römer auf allen Seiten fliehn gesehn!

EINIGE DRUIDEN UND BARDEN zugleich. Sie fliehn, sie fliehn!

DER ZWEITE DRUIDE. Nur Wenige ziehn sich zurück.

SIEGMAR. O Wodan, dem wir opferten! Sie fliehn! sagt ihr? sagt ihr? O Wodan! nur Wenige. Bei der Mäßigkeit, in der auch unsre Söhne nach mir leben werden, brauchen sie auch der Sklaven nicht viel.

KEDMON. Wodan und allen Göttern sey's gedankt! Sie fliehn, sie fliehn überall!

BRENNO. Mein theurer Siegmar, vernimm der Siegsfreuden eine! Sogar unsre Knaben sind nah bei den Römerlanzen gewesen! Werdomar saugt seinem Sohne eine Todeswunde!

SIEGMAR. Ihr Götter, ihr gebt mir liebe Gefährten nach Walhalla mit! Das thun die Götter, daß wir solche Knaben haben! O mein Vaterland, an uns, an uns wollen sie die Kette nicht klirren hören!

EIN HAUPTMANN Werdomar kömmt mit ihm. Hermann sendet mich. Es ist geschehn! Sie ist vollendet, die blutige Schlacht, wie keine war! Fürchterlich war unser letzter[101] Angriff, und fürchterlich die Gegenwehr. Keine Wunde ohne Tod! Nur vier schwache Cohorten sind übrig. Hermann ruft laut durch alle Lanzen her, daß kein Deutscher mehr sterben soll. Sie werfen schon ohne unser Blut die Schilde weg! ruft er. Allein die Katten wollen die Cohortenbilder haben. Sie rückten nah gegen die Cohorten heran, als mich Hermann herauf sandte.

SIEGMAR. Bleib', Hauptmann. O Wodan! Dank dir, o Wodan! Einen schönern Tag konnte kein Deutscher erleben, und den lassest du mich sterben! Wie sanft wird der Mond auf meine Leiche scheinen! Barden, vergeßt meines Namens nicht! Ich liebte mein Vaterland, ich liebt' euch auch, und ihr mich!

EIN BARDE. O du theurer Siegmar! o du Harfentonsname! du Name für Walhalla's Gesang!

SIEGMAR. Ich weiß nicht, ist es die Freude oder die Wunde, daß ich schon jetzt sterbe? Deine Hand, deine Hand, Brenno! Ich fühle den Tod, Brenno! Nun, bis zum Wiedersehn! Laß meinen Sohn Hermann erst das Siegsmahl halten, eh du ihm meinen Tod ...


Er stirbt.


BRENNO nach langem Stillschweigen. Nein, nein! – denn du hast Recht, Siegmar, – du bist an dem schönsten Tage deines Lebens gestorben – nein, ich will nicht weinen! Bleib', Hauptmann, du sollst es seinem Sohn nicht sagen! Keiner soll es seinem Sohne sagen. Ich will Das thun. Geh du, Druide, zu Bercennis, daß sie ihre Thränen schnell trockne und es ihrem Sohne nicht sage. Bringt einen Teppich. Legt ihn hier seitwärts, hier weiter hin nach dem Gesträuche zu. So, Horst. Der Schild und die Lanze müssen bei dem gefallnen Sieger liegen!

HORST. Ach, mein Vater Siegmar![102]

BRENNO. Breitet den Teppich über ihn aus. O Siegmar, Siegmar, nun kann es deines Volkes Dank nicht mehr, nun kann dich nur Wodan belohnen!

HORST. Und er belohnt dich! Du bist nun da, wo die Freude keine Wolken hat. So kennen wir sie nicht. Mir bewölkt sich sogar die Freude über unsern Sieg. Mir erfochten sie ihn nicht! Ich kann seiner nicht genießen! Denn ich weiß nicht, ob Hermann nach diesem Traueranblick' es können wird, weiß nicht, ob der furchtbare Jüngling, um den Genuß zurückzurufen, beschließt, daß er durch die Schatten der Legionen, welche Augustus senden wird, seinem Vater Leichenbegängniß halten will.


Quelle:
Friedrich Gottlieb Klopstock: Sämmtliche Werke. Band 6, Leipzig 1844, S. 98-103.
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Klopstocks Sämmtliche Werke: Bd. Der Tod Adams. Hermanns Schlacht (German Edition)

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