Siebente Scene.

[90] Siegmar. Horst.


HORST. Seine Wunde ist noch tödtlicher dadurch geworden; aber wir mußten ihn herauf führen. Er will bei Wodans Altar sterben.

BRENNO. Ach, Siegmar! Also kömmst du wieder! Ist denn keine Hülfe, Horst? gar keine?

SIEGMAR. Führt mich zum Altar'. Ich fühle sie schon nicht mehr! Es ist eine Todeswunde, Brenno! Lehnt mich an den Altar.[90]

BRENNO. Bringt einen Teppich, daß der ehrenvolle Greis darauf ruhe.

SIEGMAR. Ich will keinen Teppich. Halt mich, Horst. Ich will nicht eher liegen, als bis ich todt bin. Was weißt du von der Schlacht, Brenno? Wie rächt mich mein Sohn?

BRENNO. Hermann ist durch den Wald herauf geeilt und führt deine Jünglinge wieder gegen die Römer heran.

SIEGMAR. Wodan, ich bin (ja, es ist eine Todeswunde!), ich bin zu deinem Altar gekommen. Laß meinen Sohn nicht zu früh sterben! Welche Glückseligkeit meines Lebens, ein letzter Labetrunk im heißen Durste würde mir Das seyn, wenn ich die Botschaft von unserm völligen Siege noch hörte!

EIN HAUPTMANN indem er die Felsen mit Mühe heraufsteigt und seinen Spieß im Heraufsteigen vor sich hinwirft. Brenno! Ach, Siegmar, du bist todesbleich von deiner Wunde! Brenno, Hermann sendet mich zu dir herauf, er sagt: Die Legionen können noch durchkommen, und er sterben! Er wählt dich Er tritt herauf. ich soll Das vor allen diesen Zeugen hier oben sagen, er wählt dich zum Wergobreth!

SIEGMAR. Ist mein Sohn verwundet, Hauptmann?

DER HAUPTMANN. Er ist nicht verwundet. Ich komme dicht von seiner blutigen Lanze her.

SIEGMAR. Wie viel Adler habt ihr?

DER HAUPTMANN. Wir haben einen Adler.

SIEGMAR. O Wodan, die andern auch! Jüngling, sage meinem Sohne nicht, daß du mich gesehen hast.

DER HAUPTMANN. Nicht lange, hoffe ich, und ich kann es ihm nicht mehr sagen: denn rächen, rächen will ich dein Blut, edler Greis![91]

HORST. Siegmars Blut zu rächen gehört mir zu, Hauptmann!

DER HAUPTMANN. Mir auch. Er geht.

SIEGMAR nach einigem Stillschweigen. Was trauerst du denn, Brenno? Es sind zu viele Römer verwundet, zu viele todt! Wir siegen gewiß. Die Zeit ist ganz nah, daß Hermann auch fallen kann. Auch sagt mir mein Herz laut, daß Wodan den alten Siegmar aus keiner Niederlage seines Volks nach Walhalla hinübergehen läßt! Barden, singt mir den Gesang Derer, die ihr Vaterland mehr als ihr Leben liebten. Nein, singt nicht mir, singt hinunter in die Schlacht. Ermuntert sie nicht zum Siege. Davon singt, daß kein Römer entrinnen muß!

WERDOMAR zu den Barden. Ihr hört, er meint, wie wir dann singen, wenn die Schlacht am Blutigsten ist.

BRENNO. Ich kenne deinen Muth, Siegmar, der dich auch im Tode nicht verläßt. Ich kenne aber auch den oft schnellen Umsturz menschlicher Dinge. Ihr wißt den unbekannten Weg, Druiden, der um den spitzen Felsen herum zum Walde führt. Den nehmt, wenn die Römer noch siegen. Vielleicht nehme ich ihn auch, vielleicht sterbe ich lieber hier. Ich bin noch nicht entschlossen, ob ich Wergobreth seyn will.

HORST. Es ist nun Zeit, Siegmar, daß ich hinunter geh' und deinen Tod räche. Ich sterbe lieber in der Schlacht, als bei deinem Grabe.

SIEGMAR. Diese Sitte unsers Volks liebe ich nicht, daß der Freund mit dem Freunde stirbt! Du sollst nicht sterben, Horst!

HORST. Wie kannst du Das von mir fordern, edler Greis, daß ich nicht mit dir sterben soll?

SIEGMAR. Du sollst aber wegen der Legionen leben, die[92] Augustus senden wird. Du sollst nicht sterben, sag' ich! Schwör mir's bei dem Schwert'!

HORST. Ich liebe die Sitte unsers Volks und kann Das nicht schwören.

SIEGMAR. Meine letzte Bitte an dich schlägst du mir ab? Schwör'!

HORST. Und man sollte von mir sagen, daß ich vielleicht aus Zaghaftigkeit (auch nur Vermuthung ist bitter!) länger gelebt hätte, als Siegmar?

SIEGMAR. Und ich sag' hier laut, daß dieser Jüngling wegen der Legionen, die kommen werden, leben bleibt! Schwöre mir's, oder ich hasse dich in meinem Tode!

HORST leise, indem er sein Schwert zieht und niedersenkt. Mein Vater, ich gehorchet. Laut. Ihr hörtet, was Siegmar von mir sagte!

WERDOMAR. Barden, Kriegsgeschrei bei den Wendungen des Gesangs und Wodan!

EIN CHOR.

Ihr stammet von Mana, ihr stammet von Thuiskon!

Reißt die Lanzen aus den Todten und stürzet die Lebenden hin!

Es schlägt sonst euren jungen Sohn, den Blüthenzweig,

Ihr Schwert herab!

ALLE.

Wodan, Wodan! Römerblut, Wodan!

ZWEI CHÖRE.

Ihr stammet von Mana, ihr stammet von Thuiskon!

Werft die blutigeren Lanzen schnell, wie den Blick!

Sonst müssen eure Mütter ihnen tragen

Ihre Kriegesbrüder!

ALLE.

Wodan, Wodan! Römerhelme, Wodan![93]

DREI CHÖRE.

Ihr stammet von Mana, ihr stammet von Thuiskon!

Die Lanze den Römern in die stolze Stirn'!

Und, senkt ihr müder Schild sich nieder.

Die Lanz' in das Herz!


Sonst nehmen sie euch das edle Weib

Und führen sie fort, in der Kette fort!

Ach, eine Sklavin,

Das edle Weib!

ALLE.

Wodan, Wodan! Römerschilde, Wodan!

ALLE.

Volk, das männlich ist und keusch,

Es wüthe dein Herz, es tödte dein Arm!

Die Lanze gerad' in das Antliz der Römer,

Gerad' in das Herz!


Sonst führen sie eure Bräute,

Die hohen, stolzen Blumen des Frühlings,

Zum Traubenmahle dahin,

Zum nächtlichen schrecklichen Traubenmahle!

ALLE.

Wodan, Wodan! Cohortenbilder, Wodan!

EIN CHOR.

Ihr habt doch blinkend Dolche, Bräute?

Schnell, wie der Schwelger Blick,

Ist euer Entschluß!

Ihr habt doch blinkende Dolche, Bräute

ALLE.

Wodan, Wodan! Adler, Wodan![94]

ALLE.

Ha, sie wüthen, die Jünglinge wüthen!

Umsonst winkt in der goldenen Schale der Traube Saft!

Die Schwelger bluten, sie bluten und trinken die goldene Schale nicht!

Werft, Bräute, die Dolche weg!

ALLE.

Wodan! Wodan, Tyrannenblut

Wegen der heiligen Freiheit!

Blut, wegen der heiligen Freiheit Blut der Tyrannen!

Wodan! Wodan!

SIEGMAR. Wißt ihr, Barden, wie mir gewesen ist, daß ich diesen Leichengesang der Legionen noch gehört habe? Es ist mir gewesen, wie dem Jünglinge, der am Tage seiner ersten Waffen die Waffen blutig sieht. Ach, es war schon der dritte Tag, da einst meine bluteten. Aber ich hatte gleichwohl auch der Freuden viel! Ich zögerte, da ich zum Bache gehn mußte, das Blut von meiner schönen Lanze zu spülen. Ich mußte hin! Mein Vater wollt's! Sein Vater hatt' es auch so gewollt! Es ist gleichwohl eine gute Sitte! Ich mußte hin. Aber ich fiel in jedem Strauche, weil ich die schöne blutige Lanze immer ansah. Ich hab' es wohl eher erzählt. Erst mit dem letzten Strahle der Sonne floß das letzte Blut in dem Bache fort. Und so kam ich mit blinkender Lanze zum Siegsmahle! Aber singt mir nun das Lied Derer, die ihr Vaterland mehr als ihr Leben liebten. Denn ich sterbe!

ALLE.

O Vaterland, o Vaterland!

Mehr als Mutter und Weib und Braut'

Mehr als ein blühender Sohn

Mit seinen ersten Waffen![95]

SIEGMAR er winkt mit der Hand. Mildert den Schall der Hörner nicht und wendet euch von mir mehr nach dem Thal' hin. Denn das Lied ist auch für Die, welche unten in der Schlacht sterben.

ALLE.

Du gleichst der dicksten, schattigsten Eiche

Im innersten Hain,

Der höchsten, ältesten, heiligsten Eiche,

O Vaterland!

EIN CHOR.

Die Blum' auf dem Schilde des Manns,

Auf welche das Blut des Todes troff,

Ist schön wie Hertha

Im Bade des einsamen Sees!

ZWEI CHÖRE.

Wer des Schildes Blume sich röthen sah

Von Todesblute,

Hat an Hertha's geweihtem Wagen gestanden und die Göttin gesehn

Im Bade des einsamen Sees!

DREI CHÖRE.

O du, der starb für das Vaterland,

Dir bringt in dem kühlsten der Haine Walhalla's,

Dir, der wieder Jüngling ward,

Die ersten Waffen Thuiskon!

SIEGMAR er winkt mit der Hand. Stärker! stärker! daß es meine Gefährten nach Walhalla auch hören!

WERDOMAR. Bester Mann des Vaterlands, unser Gesang wüthet hinab![96]

SIEGMAR. Stärker! sag' ich. Verzeih mir, Werdomar! Ich schlummre schon hin! Wenn ich hinauffühle, so däucht mich's, daß der Kranz in der Schlacht gewelkt ist. Ja, es däucht mich, daß ich auch Blut daran fühle! Bringt mir andres Laub, bringt mir junges Laub, bringt mir frisches, helles Sommerlaub von Thuiskons großer Schatteneiche!

BRENNO. O du lieber Siegmar, ich will hingehn und dir Thuiskons Laub bringen!

SIEGMAR. Du guter Brenno, ja, ich sterbe! Reich mir deine Sichel her! Das ist eine große, goldne Sichel! Die Tribunen haben nun goldne Schilde! Ich hab' einen solchen Tribun gesehn, Brenno! Sterben sollen sie auch! sterben! Brenno geht. Wo ist mein alter Freund Brenno hingegangen?

WERDOMAR. Er schneidet dir frisches, helles Sommerlaub von Thuiskons Eiche.

SIEGMAR. Ist er in die Schlacht gegangen? Will er auch sterben? Wo ist mein Sohn Hermann? Ist er schon todt? Nun, Hermann, Hermann! Siegmar und Bercennis Sohn! (Flavius muß zu Minos hinunter! Lass' ihn Walhalla selbst nicht von fern sehn, Wodan: denn zu furchtbare Ahndung träfe ihn dann!) Nun, Hermann, mein Sohn Hermann, du Knabe mit dem großen blauen Auge! Habt ihr einen Jüngling das Lanzenspiel tanzen gesehn, wie ihn? Du guter Hermann, wärst du bei mir gewesen, so hätte ich sie nicht, diese Todeswunde! Nun, so bist du denn mein Genoß bei dem Siegesmahle Wodans!

BRENNO er flicht den Kranz. Den Kranz, den du in der Schlacht getragen hast, wollen wir bei dem ersten Opfer mit in die Flamme werfen! Siegmar, ich bin glücklich in meinem Leben gewesen. Weil ich Das war, so habe ich mir wenig[97] Wünsche erlaubt. Aber heut' hätte ich, wie du, vorn in der Schlacht seyn mögen!

SIEGMAR. Du! und ich! und Hermann! meinst du? Aber du kömmst uns ja bald nach. Barden, ihr habt den Grabgesang nicht vollendet.

DREI CHÖRE.

Dir singen nach die Barden an Wodans und Hertha's Altar',

Entgegen dir die Barden Walhalla's.

Ohne deinen Namen wäre den Barden hier,

Ohn' ihn den Barden dort die dankende Saite stumm!


Quelle:
Friedrich Gottlieb Klopstock: Sämmtliche Werke. Band 6, Leipzig 1844, S. 90-98.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Hermanns Schlacht
Die Hermanns Schlacht
Klopstocks Sämmtliche Werke: Bd. Der Tod Adams. Hermanns Schlacht (German Edition)

Buchempfehlung

Stifter, Adalbert

Der Condor / Das Haidedorf

Der Condor / Das Haidedorf

Die ersten beiden literarischen Veröffentlichungen Stifters sind noch voll romantischen Nachklanges. Im »Condor« will die Wienerin Cornelia zwei englischen Wissenschaftlern beweisen wozu Frauen fähig sind, indem sie sie auf einer Fahrt mit dem Ballon »Condor« begleitet - bedauerlicherweise wird sie dabei ohnmächtig. Über das »Haidedorf« schreibt Stifter in einem Brief an seinen Bruder: »Es war meine Mutter und mein Vater, die mir bei der Dichtung dieses Werkes vorschwebten, und alle Liebe, welche nur so treuherzig auf dem Lande, und unter armen Menschen zu finden ist..., alle diese Liebe liegt in der kleinen Erzählung.«

48 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Hochromantik

Große Erzählungen der Hochromantik

Zwischen 1804 und 1815 ist Heidelberg das intellektuelle Zentrum einer Bewegung, die sich von dort aus in der Welt verbreitet. Individuelles Erleben von Idylle und Harmonie, die Innerlichkeit der Seele sind die zentralen Themen der Hochromantik als Gegenbewegung zur von der Antike inspirierten Klassik und der vernunftgetriebenen Aufklärung. Acht der ganz großen Erzählungen der Hochromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe zusammengestellt.

390 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon