Eilfte Scene.

[108] Hermanns Barden. Valerius und Licinius. Hauptleute, die Varus Schild, Cohortenlanzen und zwei Adler tragen. Siegmund Hermann.


HERMANN indem er im Eingange sich nach einem Hauptmanne umwendet. Die kühlsten Quellen sind die besten für die Wunden.[108]

THUSNELDA die mit ausgebreiteten Armen auf ihn zuläuft. Hermann!


Nachdem sie ihn umarmt hat, fällt sie vor ihm nieder und hält seine Hand und seine Lanze.


HERMANN er reißt seine Hand von ihr los und hält seine etwas blutige Lanze gegen den Altar. Wodan! Dieß war der dritte Tag, und ich lebe! Haltet mir die Lanze in den Bach.


Er gibt sie weg.


THUSNELDA. Kommt, kommt und bringt die Blumen!


Thusnelda und ihre Jungfrauen streuen Blumen um Hermann.


HERMANN. Wo sind meine Kriegsgefährten? Wo ist Hawart?

EIN KRIEGSGEFÄHRTE. Er ist todt!

HERMANN. Wo ist Geltar?

EIN ANDRER. Er ist todt!

HERMANN. Wo ist Horst?

HORST. Hier bin ich, Hermann.

HERMANN. Horst! Vala will mit den Reitern entrinnen! Mein Vater, sagen sie mir, hat eine leichte Wunde.

HORST. Er fühlt keine Schmerzen mehr.

HERMANN. Meine Mutter pflegt des ehrwürdigen Greises, sonst wäre sie gewiß hier. Horst, erst an Mana's Felsen herum! Dann durch die Wasserkluft! Dann durch den Bach bei der neunten Eiche! Dann das verwachsne steinige Thal hinauf. Am Ende des Thals kömmt Vala vorbei. Arbeiten sich euer Viele durch, so fesselt Sklaven; aber, sind eure Haufen nur klein, so müssen er und seine Reiter ohne Schonen alle sterben. Du hast mich gehört, Horst? Bei der neunten Eiche. Denn der Bach ist sonst überall zu reißend und zu steinig im Grunde.


Horst geht.


THUSNELDA. Du bist noch so wild von der Schlacht, Hermann![109]

HERMANN er ruft Horst nach, der sich umkehrt. Horst! das Steinthal, das sich schmal öffnet. Dicht daran ist ein großer Moosfels!

THUSNELDA. Ach, Hermann, du siehst deine Thusnelda nicht einmal an!

HERMANN. Edles Weib meiner Jugend! Ja, ich lebe, meine Thusnelda! Steh' auf, du freie Fürstin Deutschlands! Es war heiß und blutig in der Schlacht! Steh' auf, Thusnelda! ich habe dich noch nie geliebt, wie heut! Blumen hat mir meine Thusnelda gebracht?

THUSNELDA. Nein, Hermann, deine Thusnelda, die freie Fürstin Deutschlands, soll noch nicht aufstehn. Meine Liebe zittert hier wohl in meinem Herzen; aber ich wage es heut nicht, dich anders als mit Ehrfurcht anzusehn!

HERMANN. Steh' auf, mein edles Weib! Bald will ich bei dir in deinem Kriegswagen sitzen. So eilen wir an dem Rhein hinauf und sehen vor uns und hinter uns die Schlösser der Römer brennen. Barden! Ihr habt noch nie so viel Theil an den Ehren der Schlacht gehabt. Doch, ich erzähle euch Das alles bei dem Mahle. Eilt jetzt und singt Wodan den Siegsgesang!

ALLE.

Geschlagen ist die blutige Todesschlacht!

Erkämpft der Sieg!

Der Legionen drohendes Kriegsgeschrei, der Felsherrn stolzes Rufen

Ist stumm wie das Grab!

ZWEI CHÖRE

Wodan hat den hohen Wagen gewandt.

Hinüber nach Walhalla.[110]

Wie des Widerhalls in der Sommernacht war seines Schilds Ton,

Wie des vollen Mondes der Glanz.

ZWEI ANDRE CHÖRE.

Flieget den Flug

Des Kriegeswagen Wodans

Ihr Seelen, deren edles Blut

Floß in der blutigen Todesschlacht!


Folget ihm nach mit den Barden Walhalla's.

In seinen Hain

Und singet, wie wir,

An dem Rauschen der heiligsten Quelle des Hains Siegsgesang!

ALLE.

Ha, Streiter auf dem donnernden Kriegeswagen.

Sie liegen und schlummern im Thal'!

Ha, Streiter mit dem tausendjährigen Eichenschilde,

Sie liegen und schlummern im Thal'!


Ha, Streiter Wodan,

Die stolzen Tribunen im Thal'!

Ha, Streiter Wodan,

Die stolzen Legaten im Thal!


Wodan Streiter Wodan,

Der Feldherr im Thal'!

Ha, Wodan, Wodan, Streiter Wodan.

Augustus komm' und lieg' im Thal!

HERMANN. Ist hier kein Felsensitz? Die Legionen haben mich müde gemacht. Wer den schattigsten Quell kennt, Der[111] schöpfe mir daraus! Die erste Kühlung, wie sie aus dem Felsen stürzt.

THUSNELDA sie setzt sich bei Hermann. Was ist Das für ein glänzender Schild dort, Hermann?

HERMANN. Das ist Varus Schild.

THUSNELDA. Bring' ihn mir, Hauptmann. So groß, und hat doch nicht gerettet! Sie legt ihn vor Hermann nieder.

HERMANN. Brenno, die Götter haben es gut gemacht. Diese Schlacht war heiß, und sie dauerte!

BRENNO. Jupiter hatte Rom hoch erhöht. Unsre Schlacht lehrt mich von Neuem, daß es über seinen Gipfel weg ist und herunter steigt. O du Edelster unsrer Fürsten, unterjochen sollen sie uns nun nicht!

HERMANN. Wähl' und weihe die Eichen, Brenno, in deren Schatten du diese hohen Adler und diese Cohortenbilder hinstellen willst. Ich verberge es euch nicht, meine Stirn glühet mir, und mein Herz schlägt mir laut, wen ich diese Denkmale unsers Siegs ansehe.


Seine Lanze wird ihm wieder gebracht.


THUSNELDA. Ich kann dir's nicht aussprechen, Hermann, was mir diese Adler jetzt für ein Anblick sind. Wie furchtbar kamen sie mir vor, wenn ich ins Lager der Römer hinunter sah! Und wie wenig sind sie es hier! Gib mir deinen Adler, Hauptmann! Sie besieht ihn mit Aufmerksamkeit. Hermann wird Wasser in einem Helme gebracht. Nimm ihn, nimm ihn! er hat im Blute gelegen!

HERMANN. Der dritte fehlt, aber seine Legion ist vertilgt! Er mag fehlen! Wie nahmst du den Adler, Cherusker?

DER CHERUSKER. Wie ich ihn nahm? Wir waren Zwölf, sieben Brüder und fünf Brüder. Wir schwuren bei Thuiskon, daß wir einen Adler nehmen wollten. Da nun mein[112] sechster Bruder auch todt war, da wurde die Rache so heiß bei mir, als der Schwur. Ich schonte meiner und sah nur nach dem Adlerträger. Die Jünglinge warfen mir's vor, daß ich nicht stritt. Ich ließ mir's vorwerfen: denn ich wußte wohl, daß ich sterben wollte! Aber endlich, endlich, da ich wieder drei Lanzen bei einander hatte, und die Cohorten sehr schwankten, da stieß ich dem Träger die dritte Lanze ins Herz. Denn werfen wollt' ich sie nicht, sonst hätt' ein Andrer den Adler genommen.

HERMANN. Und du, Bructerer?

DER BRUCTERER. Meine Braut sagte zu mir: Einen Adler, oder ich mag dich nicht wiedersehn! Es war mir, als sänge sie mir Bardengesang; aber ich antwortete ihr nicht. Ich hab' auch nur in der Schlacht gespielt, als wär's Waffentanz gewesen. Allein, da die Adlercohorte von Neuem vordrang, und der Kriegsgesang eben sehr stolz herunter scholl, da wüthete ich, daß ich nicht mehr weiß, wie ich ihn nahm! Nun habe ich ihn, und meine Braut seh' ich auch wieder.

HERMANN. Diese Jünglinge, Brenno, müssen künftig dicht hinter den Fürsten stehen, wenn du opferst. Thusnelda, den Adler des Bructerers hatte die neunzehnte Legion. Sieh' ihn an, Thusnelda! Er ist uns merkwürdig. Sie erzählen seine Geschichte wie eine Göttergeschichte. Ich begleitete einmal Varus zu der Legion, die in Waffen stand, und er war kühn genug, sie mir zu erzählen!

THUSNELDA. Bei Hertha, dieser Adler muß sehr merkwürdig seyn. Denn dein Auge glüht ja, und du bewegst die Lanze, als du thust, wenn du es bei meinem Wagen nicht mehr aushalten kannst und zurück in die Schlacht sprengen willst!

HERMANN. Bewegte ich die Lanze, Thusnelda? Einer der Adler aus jener Vertilgungsschlacht, da Marius ... da[113] wir keine Feldherrn hatten! Du bist gerächt, o Blut meiner Väter, du bist gerächt! Brenno, wenn du mit den Weissagerinnen über das Schlachtfeld zeuchst, so rufe den Schatten dieses Cajus Marius herauf, daß er dort wehklage, wie einst, noch lebend, unter den Trümmern Karthago's! Ja, du bist gerächt, o meiner Väter Blut! Gerächt bist du, und rings umher verstummt dir der Ueberwundnen Tod!

THUSNELDA. Liebenswürdigster und Geliebtester! Ja, du hast die edeln Krieger und ihre Fürstinnen gerächt!

HERMANN. Wem rinnt deine Thräne, Thusnelda?

THUSNELDA. Sie rinnt der Freude und dem Blute, dem der Tod verstummt! Nach einigem Stillschweigen. Aber sage mir, wer sind diese Römer auf den Cohortenlanzen? Sind's Kriegsgefährten Marius'? oder ihre Söhne? Wer sind sie?

HERMANN. Es sind große Männer, wenn ungerechte Krieger große Männer seyn können.

VALERIUS. Ich sehe, Hermann, du schmücktest deine Empörung gern mit dem Namen eines gerechten Kriegs!

HERMANN. Du sprichst unsre Sprache, Centurio?

VALERIUS. Ja, um besser durch eure Gebirge und Wälder fortzukommen. Hätte Varus die Legionen geführt, wie wir jungen Hauptleute unsre Manipeln, so stünde ich nicht hier!

HERMANN. Der Sieg war also euer, wenn Einer von euch die Legionen führte? Höre, Centurio, eh wir die Gerechtigkeit unsers Kriegs und eures Kriegs ausmachen, werden erst noch andre Dinge ausgemacht: Ob du, und zwar jetzt gleich, sterben sollst? Oder ob ich die Druiden das Todeslos über dich werfen lassen soll? Ob ich dich, als Hüter einer meiner kleinsten Heerden, in eine Hütte oder nach Rom schicken soll, damit Augustus durch den Ausforscher unsrer Wälder recht genaue Botschaft von der Schlacht höre?[114]

VALERIUS. Was nennst du einen ungerechten Krieg?

HERMANN. Was, wenn ihr nun aus dem Taumelkreise eurer Herrschsucht herausgestoßen seyd, was dann Jupiter, die Rache des Donners in der rechten Hand, zehntausend Meilen in den Abgrund hinunter so nennen wird!

VALERIUS nach einigem Stillschweigen. Ich bin jung; aber du irrst, wenn du glaubst, die Begierde, in dem Taumelkreise zu bleiben, sey so heiß bei mir, daß ich, von ihr verführt, aufhören werde zu reden, wie ich denke. Gerecht ist ein Krieg, wenn ..

HERMANN. Schweig' hiervon. Du sollst bei Wodans Altare von dieser ernstvollen Sache nicht sprechen, von der du ohne Das nicht sprechen kannst. Sonst irrst du auch noch so sehr in einer andern, und die, da du glaubst, es liege mir daran zu wissen, wie du denkst. Ich habe mit dem Feldherrn und den Legaten geschlagen: sie und die Legionen sind vertilgt: wie kann ich auf das Geschwätz einiger Hauptleute hören, die das Schwert vergaß?

BRENNO. Jüngling, käme Scipio selbst aus seinem Walhalla herauf und träte hier vor uns hin, so antwortete ich ihm, daß der stärkste und der tiefste Grundpfeiler eurer Größe Ungerechtigkeit ist, daß ein Sturmwind der Götter das Felsengebäude niederstürze wird, und daß der dann vielleicht aus dem Norde stürmt!

VALERIUS. Zu stolzer Sieger, ich bin aus einem Stamm großer Männer, ich heiße Valerius und kann ein Feldherr werden, der weder sich, noch seine Legionen vertilgen läßt.

HERMANN. Und du fühltest nicht, daß mir der Römer sehr gleichgültig seyn müsse, der an einem Tage, wie dieser ist, seine Zuflucht dazu nimmt, daß er von künftigen Feldherrn und von künftigen unzuvertilgenden Legionen spricht?[115] Hättest du mit dieser Valeriusmiene, die du hast (ich kenne euch wohl!), still geschwiegen, wie das Grab, so hätt' ich viel anders von dir gedacht. Aber so mußtest du auch sterben! Nun hast du dein Leben gerettet und bringst die Botschaft nach Rom!

VALERIUS etwas leise zu Licinius. Ha, er ist fürchterlich stolz, dieser deutsche Jüngling!

LICINIUS. Ich schwieg, Hermann!

HERMANN. Wie heißest denn du? Bist du auch aus dem Stamm großer Männer?

LICINIUS. Ich heiße Licinius.

HERMANN. Du willst mich überreden, daß du Muth zu sterben hast. Aber du wußtest so gut als ich, daß es das Schweigen nicht allein ausmacht. Du bringst auch Botschaft!

VALERIUS. Du überlassest dich dem Taumel deines Sieges sehr, Heerführer der Cherusker!

THUSNELDA. Ihr Jünglinge von hohem Geschlecht – denn viel andre Vorzüge habt ihr nicht, ihr Jünglinge ohne Wunden – Hermann, der Liebling seines Vaterlands, ist diese drei furchtbaren Tage Heerführer der Deutschen gewesen!

VALERIUS zu Licinius etwas leiser. Sie hat die hohe Miene einer Römerin.

HERMANN. Ihr wollt, daß ich mit dem Stolz' eurer Triumphatoren nur leise und einsylbig von meinem Siege reden soll. Vor der Schlacht red' ich niemals; aber nach der Schlacht rede ich, wie mir's aus dem Herzen zuströmt. Nennt mir ein Volk, das euch besiegt hat, wie wir heut? Die Parther etwa? Mein ganzes Herz dankt den edeln Parthern für ihre Schlacht; aber wie wir fochten sie nicht! Crassus und seine Legionen starben in der Sandwüste vom. Durste, und so tödteten sie die Parther vollends, die ohne[116] Das viel weiter trafen, als sie getroffen wurden Und, wenn euer todtes Heer ja gegen sie vordrang, so flogen sie auf ihren schnellen Rossen davon und tödteten sogar im Fliehn. Und dann, wenn auch Sandwüste nicht war und Durst und ferntreffender Pfeil: waren denn Crassus Legionen wie diese, die nun unten in Teutoburgs Thälern schlafen? Bei deinem Stammvater, Valerius! habt ihr jemals, hat Cäsar selbst so tapfere und durch die Zucht und die Kunst und die Erfahrung des Kriegs so furchtbare Legionen gehabt? Antworte, wenn du kannst! Vielleicht werft ihr mir unsre dicken Wälder und wasservollen Thäler vor. Aber öffneten sich unsre Wälder nirgends? und bracht ihr nicht gestern durch eine solche Oeffnung hervor und nahmt euch mit blutiger Lanze ein Schlachtfeld, wo ihr euch ausbreiten konntet? Allein duldeten wir euch lange dort? Und mußtet ihr nicht bald wieder in die Eichenschatten zurück? Und mit welchen Waffen thaten wir, was wir gethan haben? Was sind sie gegen die Waffen der Legionen? Wenn unser zu kühnes Volk jemals meine Bitte hört, so sollen unsre Waffen künftig viel anders seyn. Seht nur diese kurzen Lanzen an und diese leichten bunten Schilde. Sie sind im Walde gehaun und nicht aus der Erzgrube gegraben. Wenn ihr uns nicht kenntet, so müßtet ihr glauben, wir hätten sie nur zum Kriegstanze! Aber ihr habt uns schon ehmals ein Wenig gekannt, und heut' habt ihr uns endlich recht vertraut kennen gelernt!

VALERIUS. Du schmeichelst dir doch nicht etwa, daß Tiberius säumen werde, mit neuen Legionen zu kommen? Darum rathe ich dir, daß du deine Bitte um andre Waffen bald erhören lassest.

LICINIUS etwas leise. Willst du sterben, Valerius?[117]

VALERIUS. Und hoffst du denn, daß er uns leben läßt?

HERMANN. Du sprichst wieder von Dem, was geschehen soll. Weil du so gern vom Künftigen sprichst, so sage mir: Wie wird Augustus die Boten von Teutoburg aufnehmen? Werdet ihr ihm das neue Kriegslied bei dem Nektar nach der lydischen Flöte vorsingen? oder ihm bei Livia's geheimsten Hausgöttern die unvermuthete Staatsvorfallenheit ins Ohr anvertraun?

VALERIUS. Bei dem Nektar und bei Livia beschließt er, daß er diese deutschen Empörer vertilgen will!

HERMANN. Wird er die Beschließung selbst ausführen? Höre, Sohn der Valere, bring' uns euren großen Imperator in unsre Wälder, und du sollst belohnt werden, wie man selten belohnt wird. Einen Blumenschild sollst du tragen, sollst bei dem Opfer nah' am Altare stehn, und im Bardengesange soll dein Name tönen! Führt diese Gefangnen zu den andern, doch legt ihnen keine Ketten an.

VALERIUS. Lass' uns lieber hier tödten, als unten.

HERMANN. Erst bringt ihr Botschaft. Wenn ihr sterben wollt, so kommt mit Tiberius wieder! Indem sie weggeführt werden. Bleibt. Zu Valerius. Du wärst unten in Gefahr! denn du würdest des Gesprächs zu viel machen!

LICINIUS etwas leise zu Valerius. Ich mag nicht sterben. Wenn du deinen Freund noch liebst, so schweig nun!

HERMANN. Wer ist jener Römer in der Fessel, der sich nach dem Walde hinwendet?

BRENNO. Ich muß dir meinen Fehler gestehn, Hermann. Ich hätte ihn wegführen sollen. Es ist dein Bruder Flavius.

HERMANN. Ach, Thusnelda! Siegmars ältester Sohn, Flavius! O, hätte dich die Schlacht getödtet! Das wäre mir und dir besser gewesen![118]

FLAVIUS der sich umkehrt. Denke daran, Sieger, wie ich gegen dich handeln würde, wenn du in Rom so in meiner Gewalt wärst, wie ich hier in deiner bin!

BRENNO zu Flavius. Lass' uns nicht daran denken, wie der Verräther seines Volks gegen seinen Bruder handeln würde! Hättest du ihn von der Begleitung des Triumphwagens befreit? Doch ich mag deine Antwort nicht hören.

THUSNELDA. Ach, rett' ihn, Hermann!

HERMANN. Du weißt, ich kann ihn freilassen. Aber spreche ich ihn dadurch von dem furchtbaren Lose der Druiden los?

THUSNELDA. Ach, Brenno!

HERMANN. Ich lasse dich frei, Flavius.


Sein Führer macht ihm die Kette los.


BRENNO. Bringt die Lose des Lebens und des Todes!

HERMANN der von seinem Sitz aufspringt. Halt noch ein Wenig inn, Brenno. Hauptleute, geh' Einer von euch unserm Vater und rede mit ihm.

BRENNO. Hermann, würde der verwundete Greis diese Nachricht aushalten?

HERMANN. Bleibt Hauptmann!

FLAVIUS. O, daß mein Vater verwundet ist! Du böser Stolz meines Herzens, der mich zu den Römern geführt hat!

BRENNO. Hattest du etwa Mitleid mit Denen unter deinem Volk, deren Blut deine Lanze heut geröthet hat? Bringt die Lose! Zu einem der Opferknaben. Was zitterst du, Knabe? Du sollst sie werfen! Lerne früh, daß man gut ist, wenn man gerecht ist. Zu einem Druiden. Führet das Roß zur Götterfrage in das Schlachtfeld hinab keins von unsern geweihten, ein Römerroß: seine Rosse werden ihm schon antworten! Führt's über .. Wie viel deines Volkes hast du getödtet? rede! wie viel? Führt's über fünf Leichen![119]

FLAVIUS. Ach!

BRENNO. Hast du mehr getödtet, Blutiger? Ueber neun Leichen! Geh, Druide.


Kedmon bringt einen Helm.


THUSNELDA. Ach, Hermann, die fürchterlichen Lose!

BRENNO. Sind sie drin?

KEDMON. Sie sind drin!

BRENNO. Breitet den Teppich aus, Druiden! Ein weißer Teppich wird ausgebreitet. Wie viel Lebenslose sind drin?

KEDMON. Sechs.

BRENNO. Und wie viel Todeslose?

KEDMON. Sechs.

BRENNO. Nimm drei Lebenslose heraus.

THUSNELDA. Das ist hart, Brenno!

BRENNO. Gegen einen Hasser seines Volks? und der noch dazu Hermanns Bruder ist? Zu Kedmon. Hast du sie?

KEDMON nachdem er einigemal Lose zurückgeworfen und andre auf den Altar gelegt hat. Hier sind sie.

BRENNO. Bewege den Helm, Kedmon.

THUSNELDA. Wie schreckenvoll klingt dieser Helm!

BRENNO. Reiche ihn mir. Ich hebe dir die Lose empor, Wodan. Drei sind Rettung. Laß keines von diesen fallen! Die sechs sind den ruhenden Lanzen gleich, das eine geworfne gleichet der blutigen. Gewähr' uns ein solches Los, Wodan, Gott der Schlacht! Denn hier stehet ein Deutscher vor dir, der sein Volk verrieth und von Sonne zu Mond, noch ein Mal von Sonne zu Mond, das dritte Mal noch mit der sinkenden wider uns focht, da es uns Allen für die Freiheit bis zum Tode galt, und so Viele (Thränen euch, die hinwandelten!) Er sieht mit halbem Blicke nach Siegmar. so Viele von uns der Tod traf! Tritt herzu, Knabe? Das Gesicht ganz von den Losen weg! Greif hinein und wirf hinter dich![120]

THUSNELDA. Nein, nein, ich halt' es nicht aus.


Sie geht weg.


HERMANN. Um dieses Tages willen, Brenno, laß den Knaben nicht werfen.

BRENNO nach einigem Stillschweigen. Tragt den Helm weg. Wer kann dir, Hermann, heut nicht gehorchen? Zu einem Druiden. Ruf' hinunter, daß das Roß nicht geführt werde.

FLAVIUS der Hermanns Knie umfaßt. Ach, mein Bruder Hermann! Im Weggehen. Rom, Rom! o, daß du mich so fest an dich gekettet hast! Er geht.

HERMANN. Und mich, o mein Vaterland, sollst du ewig in deinen sanften Banden halten!

THUSNELDA. Ach, Hermann! ach, Brenno! nun bin ich wieder ganz glücklich! Er lebt. Was säumen wir, meine Gespielinnen, unser Siegslied zu singen?

HERMANN. Aber nun sollt' ich weggehn, meine Thusnelda!

THUSNELDA. Soll der große Sieger nicht bleiben, Brenno, und hören, wie warm das Herz seines ganzen Volkes von ihm ist? Bleib, mein Hermann! Deine röthere Wange wird die Sängerin deiner Thaten noch mehr begeistern.


Ich stand am Hange des Felsen und sah

Hinunterschäumen den Strom und springen am Strome das Reh,

Da ruften auf Einmal im Thal' herauf die Hirten sich zu:

Siegmars Sohn ist wiedergekommen von den Heeren Roms!


Er hatte Spiele der Waffen gelernt

Ans Vaterland dachte der schöne, heftige Jüngling,

Da er lernte den neuen Lanzentanz!
[121]

So fleugt am Haine Semaan durch die jungen Maien der Donnersturm!

So erschütterte mich die Freude mit ihrem ganzen Ungestüm!

Dank dir noch einmal, o Hertha, daß ich damals nicht

Von dem Felsenhange stürzt' und starb!


Leer war sein Köcher, er jagte nach unseren Rehen herauf

Den pfeilevollen Ur!

Er sah mich stehn! Die Töchter der Fürsten standen um mich.

Er eilte zu mir und nannte mich das erste Mal Braut!


O Tag, dem keiner glich! Nur dieser Tag des Siegs

Gleicht meiner bebenden Freuden Tage!

Heut nennet der schone, heftige Jüngling mit der blutigen Lanze

Mich wieder das erste Mal Braut!


Der Knabe, dein Sohn, stammelt nur erst,

Sonst hätt' er schon bei Mana Rache geschworen;

Doch greift er fest in den Griff des Schwerts! Ihr Töchter der Fürsten,

Heut nennt sein Vater mich wieder das erste Mal Braut!

EIN CHOR JUNGFRAUEN.

Dieses Tages Waffenklang

Scholl bis in Hertha's Hain!

Hell glänzt der weiße Teppich in dem Graun des Hains!

Sauft wallet der Staub an dem Friedenswagen der Göttin!

DAS ANDRE CHOR DER JUNGFRAUEN.

Mit Zorne denn, allein begleitet den Wagen Hertha's,

Göttinnen, Töchter Jupiters!

Wie wehet der Teppich, wie tönt der Friedenswagen

Ihr Töchter Jupiters![122]

THUSNELDA.

Die Fürstinnen sahn um das Haupt des Triumphators den Lorbeer schon,

Hörten schon die goldene Fessel klirren!

Ich sah den Lorbeer nicht, ich hörte die Fessel nicht klirren:

Denn Hermann führte die Deutschen!


Mein Hermann mit dem nervigen Arm,

Der schnelle Jäger und schnellere Krieger,

Mein Hermann mit dem feurigen Blick voll Todesbefehl

Führte die Deutschen!

EIN CHOR JUNGFRAUEN.

Gern flogen der Deutschen Lanzen dem Todesbefehl!

Zu Tausenden schweben nun die Schatten

Aus den Haine Wodans

Hin nach Minos dunkelm Throne,


Wie am Ufer der stolzen Elbe

Der Spreen schwarze Wolke

Vom Gesträuch' auftönt,

Zum Gesträuch' niedertönt,

BEIDE CHÖRE.

Nicht Schatten, Jünglinge wieder,

Schweben die Edleren, welche den Tod der Freiheit starben,

Hinüber nach Walhalla

Zu Lanzentänzen und Siegesmahlen.

THUSNELDA.

Wo Hermann war, da sanken Schaaren

In den schweren Schlummer!

Allein, o ihr, die noch nicht der Schlummer lastete,

Was warft ihr so schnell die Lanzen weg? die Schilde weg?
[123]

Täuscht' euch ein Gott, und war der Wodan,

Daß ihr, mit diesem Todesgeschrei sich senken den letzten der Adler saht?

Daß ihr, wie in Angsttraume der Schlummernden, saht

Die Schreckengestalt der Sueven über den Bergen?


Denn nicht Mitternacht schwebt' im Thal' unsrer Schlacht!

Schwarz war nicht des dumpfen Schildes Last!

Wir waren kein grauenvolles Würgerheer

Wie mit Blut bemalt!


Es strahlte der Tag

In dem Thale der Schlacht,

Und dämmernde Schatten

Zitterten nur im wehenden Haine.


Um Mitternacht halten wir Mahl und Rath,

Und die Barden singen uns Siegsgesang

Die Krieger singen ihn nach, dann wandelt das Horn des Urs umher,

Oder ein Jüngling tanzt das Waffenspiel.


Purpurblumen sind auf dem Schilde

Meines Hermanns!

Blühend ist seine Wange bei dem Fest, blühender in der Schlacht!

Schön flammt's ihm von dem blauen Auge, wenn es Tod gebeut!


Tod hat's drei Tage geboten,

Ihr blutigen Eroberer, euren Tod!

Habt ihr etwa mit Deutschlands Säuglingen und Bräuten

Mitleid gehabt? ja, euren Tod drei Tage lang![124]

EINE DER JUNGFRAUEN.

Reich mir den Kranz des heiligen Laubes,

Daß ich der Fürstin Hermanns ihn bringe.

EINE ANDRE.

Ich reich dir den Kranz des heiligen Laubes,

Daß du der Fürstin Hermanns ihn bringest.

THUSNELDA.

Empfang von Thusnelda den Kranz des heiligen Laubes,

Befreier deines Vaterlands!

Ihn nahm mit der goldenen Sichel Brenno

Von des Haines ältester Eiche!

BEIDE CHÖRE.

Dieses Tages Waffenklang

Scholl bis in Hertha's Hain!

Hell glänzt der weiße Teppich in dem Graun des Hains!

Sanft wallet der Staub an dem Friedenswagen der Göttin!


Mit Zorne denn, allein begleitet den Wagen Hertha's,

Göttinnen, Töchter Jupiters!

Wie wehet der Teppich, wie tönet der Friedenswagen,

Ihr Töchter Jupiters!

HERMANN. Thusnelda, meine Thusnelda! Aber Das verdiente ich nicht! Du weißt nicht, wie unsre Fürsten gefochten haben. Und hat nicht mein Vater sogar eine Wunde? Geh' Einer von euch hin, Druiden, und nehme Heilungskräuter mit und helfe Bercennis. Ein Druide geht. Warum säumen die Fürsten? Hast du sie noch nicht zum Siegsmahl eingeladen, Brenno? Ein Siegsmahl, wie unser heutiges seyn wird, hielten wir nie. Augustus ist ein Gott geworden! Ihm mag Hebe den Taumelsaft in der goldenen Schale reichen. Reicht ihr uns nur das rathschlagende Trinkhorn,[125] Jünglinge, und wir, seine sterblichen Besieger, wollen den Gott nicht neiden!

BRENNO. Ich habe in der großen Freude noch nicht daran gedacht, die Sieger einzuladen. Geht, ihr vier Barden dort, in das Schlachtthal hinab. Singt ihnen Brautlieder, indem ihr sie einladet.


Die Barden gehn.


THUSNELDA. Da die Römer gestern in den Wald umkehren mußten, konnte ich in der Bardenburg nicht mehr bleiben. Mein Köcher klang mir viel zu schön, und meine Pfeile kamen mir viel zu leicht vor. Ich mußte fort und ein Wenig unter dem Wilde spielen. Erzähl' es den Fürsten, Hermann, daß deine Thusnelda so gut für das Siegsmahl gesorgt hat, als sie dafür, daß es könnte gehalten werden. Aber, wie du, hab' ich nicht gesorgt. Ich floh vor einem Ur, der durch das Gebüsch herabrauschte.

HERMANN zu Brenno. Willst du die Eichen nicht wählen und weihn, daß wir die Denkmale des Siegs aufstellen können?

BRENNO. Weihen muß ich sie; aber wählen sollst du sie heut'!

HERMANN. Ich danke dir, Brenno. Wodan ehre dich, wie du mich ehrst! Wenn ich wählen soll, so werd' ich unter denen wählen, die nach dem Thale zu stehn. Denn dort hinunter sollen diese Römer auf den Lanzen sehn! Mich däucht, unsre Denkmale hier um uns her werden den Fürsten noch mehr gefallen, wenn ich einen Nachtgefährten darunter stelle. Ich nähme gern einen von unsern Cheruskern; aber werden die Fürsten den frohen Blick des Festes behalten, wenn der Nachtgefährt den Cheruskern zugehört?

THUSNELDA. Nimm ihn, nimm ihn. Du mußt heut stolz seyn, Hermann! Wer darf es denn jemals seyn, wenn du es heut nicht seyn darfst?[126]

HERMANN. Kennst du den Fürsten der Katten? und der Semnonen? Nur der Fürst der Bructerer wird es dulden, denn er hat einen Adler!

THUSNELDA. Und hat denn nicht dein Vater bei dem Nachtgefährten der Cherusker geblutet? Geh', Hauptmann, und bring' ihn! Der Hauptmann geht. Sie ruft ihn zurück. Hauptmann! den großen schimmernden, der aus die festeingezogne Klaue herabsieht, und den Hermann seinem alten Vater aus dem Feldzug in Illyrien mitbrachte! Er geht. Lehre mich diese Römer ein Wenig kennen, die nach dem Thal' hinunter sehn sollen.

HERMANN. Papirius Carbo! Das ist der tapfre Consul, den wir sehr blutig von Noreja zurücksandten. ... Lucius Cassius! Auch diesem Consul kam eine unsrer Schlachten sehr ernsthaft vor. ... Dieser ist Cäsar!

THUSNELDA. So sah er aus, der Stolzeste dieser schwindelnden Eroberer?

HERMANN nachdem er Verschiedne angesehn und nicht genannt hat. Jener ist Marcus Junius Silanus! Auch er und seine Legionen lernten unsre Lanzen kennen. Cajus Manlius! Servilius Cäpio! Wir sind dicht und lang' an ihrer Ferse gewesen. Ihre Flüchtigen stürzten in den Rhodan. Aurelius Scaurus! Unser zu jugendlicher Fürst Boler tödtete ihn, weil er zu viel von Künftigem sprach.

VALERIUS. Hätte mir mein Freund Licinius das Reden nicht untersagt, so würd' ich dir eine Frage thun.

HERMANN. Thu sie.

VALERIUS. Waren diese großen Männer, die du genannt hast, auch ungerechte Krieger?

HERMANN. Cäsar war's.[127]

VALERIUS. Du gestehst viel zu. Du scheinst ein gerechter Krieger seyn zu wollen.

HERMANN. Mehr als scheinen, Römer! Ihr scheint! Ich bin, und ich will seyn (schließ' hiermit deine Botschaft an Augustus) ein Krieger für die Freiheit meines Vaterlands; kennst du einen gerechteren? aber auch – denn wie sehr seyd ihr Das – ein blutiger! Du siehst, Thusnelda, wie sie die Cohorten zur Rache entflammen wollten, weil sie ihnen diese Bilder gewählt haben.

THUSNELDA. Künftig also Varus auch mit vor den Cohorten, damit der Reizung zur Rache noch mehr sey! Doch sey du nur wieder vorn unter den Fürsten, Hermann, so wollen wir den Brauttanz ruhig hinter dem Heere tanzen!

HERMANN. Ich liebe dich, meine Thusnelda, ich liebe dich! Welch einen fröhlichen Tag hab' ich er lebt! Ha, Thusnelda, nun können die Bräute wieder Blumenkränze winden! Tanz mir zum alten Liede von Mana! Ein Barde soll's singen, und, weil's Thusnelda tanzt, so will ich auch ein Wenig mit drein singen. Du weißt, daß ich den Kriegern in der Schlacht besser zurufe. Barden, wurd' Einer von euch verwundet, da ihr gestern mit euren Beschützern zwischen die Cohorten kamt?

EIN BARDE. Ich wurde verwundet.

HERMANN. Komm, wir wollen mit einander zu Thusnelda's Tanze singen.


Auf Moos', am luftigen Bach,

Saß Mana mit seinen ersten Waffen,

Ein röthlicher Jüngling.
[128]

Komm, Jägerin, komm von des Widerhalls Kluft;

Das Wild ist erlegt! das Wild ist erlegt!

Er ruft' es und spült' in dem Bach von des Riesen Helme das Blut!


Die Jägerin kam von dem Felsen herab.

Das Wild lag im Thal! das Wild lag im Thal'!

Er spült' in dem Bach von des Riesen Schilde das Blut!


Sie sprang zu ihm hin, wie im Fluge des Pfeils,

Weit über das Wild mit wehendem Haar!

Da sank in den Bach ihm des Riesen Panzer voll Blut!


Der Nachtgefährt wird gebracht, und zwischen die beiden Adler gestellt.


Sie wand das heilige Laub

Dem Jüngling mit seinen ersten Waffen,

Dem röthlichen Jüngling.

HERMANN. Was meinst du, Thusnelda, wenn die hohen Römerinnen den Nachtgefährten der Cherusker, zwischen der Weser in der Kette, und der Elbe in der Kette, vor den Triumphwagen gesehn hätten?

THUSNELDA sie singt und tanzt.

Die Jägerin kam von dem Felsen herab.

Das Wild lag im Thal! das Wild lag im Thal'!

Er spült' in dem Bach von des Riesen Schilde das Blut!

HERMANN. Wie würden Brenno und Deutschlands Fürsten sich freun, ließe sich mein ehrwürdiger alter Vater, wie kurze Zeit es auch seyn möchte, zum Siegsmahl herauftragen! Denn er hat ja, wie ihr Alle sagt, nur eine leichte Wunde. Ich kenne diese Art des Ernstes nicht an dir Brenno, mit dem du mich ansahst. Warum seht ihr mich Alle mit diesem[129] Mitleid' an? Es ist ja nur eine leichte Wunde, und dann bat er ein frisches Alter! Und dann ist seine Freude groß! Die allein wird ihn heilen! Hast du ihn gesehn, Brenno? Du antwortest mir nicht? Dein Blick wird ernster! Rede, rede, Brenno, bei Wodan, rede! Redet! wer hat meinen Vater gesehn? Warum seyd ihr so bestürzt? Will mir Keiner sagen, ob er meinen Vater gesehen hat? Warum liegt denn meines Vaters Lanze dort unter dem Teppich'? Ich nehme sie, bringe sie ihm und sehe seine Wunde! Sagt den Fürsten, wenn sie kommen, daß ich dort hingegangen bin!

BRENNO. Ach, dort sollst du noch nicht hingehn, Hermann!

HERMANN. Du weinst, Brenno! Ich habe dich nie weinen gesehn! Ich will hingehn! Indem er die etwas hervorragende Lanze schnell aufnimmt, entdeckt er den Todten, wirft seine und seines Vaters Lanze weg, stürzt sich auf ihn und küßt ihn. Nach ziemlich langem Stillschweigen. Todt ist er? Ich, mein Vater! O Wodan, Wodan, du gabst mir der Freuden viel. Aber dieser Schmerz ist wüthend wie eine Todeswunde ... Ach, mein Vater! ... ach, mein Vater Siegmar! ... Wo hat er die Wunde? Er springt auf. Wer warf ihm die Wunde? Ist er todt, der sie ihm warf? ist er todt? ... Ach, mein Vater, an diesem Tage ... du ... todt! ... Wer hat ihm die Wunde geworfen? Will mir Keiner sagen, wer ihm die Wunde geworfen hat? und ob er todt, todt, todt ist, dieser Verhaßteste unter diesem verhaßtesten aller Völker? dieser Letzte unter allen Thronkriechern Augustus?

EIN HAUPTMANN er drängt sich zwischen den Andern hervor. Die Lanze flog ..

HERMANN. Ha, die Lanze flog, und du stelltest dich ihr zum Tode nicht hin?[130]

DER HAUPTMANN. Ich war weit von dem hohen Tribun.

HERMANN. Schweig'! Ach, mein Vater, an diesem Tage. Hat mein Vater den Sieg erlebt, du dort, der der Lanze nicht entgegen sprang? Sage mir, Brenno, ob mein Vater den Sieg erlebt hat, oder dieser Zögerer muß sterben!

DER HAUPTMANN. Wenn du noch ein solch Donnerwort sprichst, so sieh nur her! Er legt sein Cohortenbild nieder und weist auf seine Lanze. Sieh' her! sie kann's auch! und dieß Herz hier fürchtet sie nicht!

BRENNO. Ja, Hermann, dieser ehrenvolle Mann, der nun in Walhalla ist, hat den größten unsrer Siege erlebt!

HERMANN. Hat seinen Sieg erlebt! Reiche mir deine Hand, Hauptmann, du bist unschuldig. Du weinest gewiß mit mir über unsern Vater! Aber ist der Tribun todt?

DER HAUPTMANN. Ob er todt ist? Meinst du, daß von dieser Lanze kein Blut in den Bach floß?

THUSNELDA. Ach, mein Hermann, dein edler Vater!

HERMANN. Bringt mir diese Römer weg, sie sollen meinen todten Vater nicht sehn! Indem er schnell auf Valerius zugeht. Ha, Valerius, bist du eines Tribuns Sohn?

VALERIUS. Mein Vater war kein Krieger.

HERMANN. Das gab ihm Jupiter ein, seiner Kinder Leben zu retten, daß er kein Tribun ward! Geh'! Sie werden weggeführt. Ach, Siegmar! Mein Vater Siegmar! Und todt lagst du schon damals hier, als ich mit allen Freuden des Sieges herauf kam? todt hier, als über Flavius das Todeslos nicht geworfen ward? Aber deins haben die Götter, um Wodan her versammelt, geworfen! Fürchterlich hat Wodans hohler Schild geklungen, als ihn die Götter mit den Losen darin schüttelten. In Wolken hüllte sich Hertha, griff in den Schild und warf und Tod fiel aus ihrer Hand! Denn[131] sonst wäre deine Lanze, Tribun, von meines Vaters Blute nicht blutig geworden!

BRENNO. Wenn du wüßtest, mit welchen Freuden über unsern Sieg dieser große Mann, der dein Vater und der Freund meiner Jugend war, den Tod herankommen sah, so trauertest du nicht.

HERMANN. Wie starb mein Vater? Schweig'! ich will es nicht hören. Ich halte seinen Anblick nicht mehr aus. Deckt ihn zu ... Nein! nicht mit dem Teppiche, deckt ihn mit den Adlern zu! ... Nein, nicht ihr! Gebt mir die Adler. Er wirft sich nieder und küßt ihn und bedeckt ihm das Gesicht mit den Adlern. Indem er aufsteht. Ach, Wodan, und all ihr Götter! der älteste und der kühnste und der furchtbarste deiner Krieger, o mein Vaterland, hat diese Adler nur in der Schlacht und nicht hier gesehen!

SIEGMUND. Nicht er, ich hätt' in dieser Schlacht sterben sollen, ich allein unter allen Söhnen der Fürsten!

HERMANN. Brenno, du Freund seiner Jugend, begrab' ihn bei einer der Eichen, die ich für die Adler wählen werde. Welcher ist der Adler der Legion, unter der der Tribun war?

DER CHERUSKER. Dieser.

HERMANN. Brenno, bei der Eiche dieses Adlers! Ach, mein Vater Siegmar, an diesem großen Triumphtage!

BRENNO. Der der schönste seines Lebens war, auch deßwegen, weil er sein letzter war! ... Geht hinunter zu den Fürsten und sagt ihnen, daß heut kein Siegsmahl ist.


Einige Druiden gehn.


HERMANN. Ja, und daß Der, welchen sie zu ihrem Feldherrn erhuben, den schönsten Tag seines Lebens mit Trauern endiget![132]

BRENNO. Hat es denn nicht Wodan gethan, Hermann?

HERMANN. Meinest du, daß ich Wodan nicht verehre, weil ich traure? Warum verbargst du mir seinen Tod, Brenno? Warum ließest du mir zu, daß ich mich freute?

BRENNO. Dein Vater wollte es so, als er starb. Mein Sohn Hermann soll erst das Siegsmahl halten! sagte er. Es war sein letztes Wort.

HERMANN. O du bester aller Väter!


Quelle:
Friedrich Gottlieb Klopstock: Sämmtliche Werke. Band 6, Leipzig 1844, S. 108-133.
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