Zwölfte Scene

[133] Werdomar und sein Sohn.


DER KNABE. Wo ist denn mein Schild und meine Lanze? Führe mich nicht, ich wanke nun nicht mehr. Nur ist mir's noch ein Wenig dunkel vor den Augen. Wo ist meine Lanze und der Römerhelm, den ich nahm? Wer ist denn Das dort? Ach, Hertha, es ist Hermann! Indem er zu Hermann hineilt, wankt er. Er sinkt bei Hermann nieder und küßt ihm sein Schwert und hält's mit beiden Händen. Ach, Hermann, Hermann, dich seh' ich wieder! Bist du auch verwundet, Deutschlands großer Heerführer?

HERMANN. Brenno! was will dieser Knabe mit dem trüben kühnen Auge?

BRENNO etwas leise. Ich habe den Göttern für ihn gedankt. Er ist in der Schlacht gewesen! Er ist zum Tode verwundet!

DER KNABE. Warum sagst du es nicht laut, was du zu Hermann sagst? Darf's Hermann nicht wissen, daß ich[133] in der Schlacht gewesen bin? Hab' ich armes Kind nicht genug darin gethan? Hab' ich nicht eine heiße Wunde hier? Schämt sich Hermann meiner? Warum sagst du nicht laut, was du sagst?

HERMANN. Hat mein Vater diesen Knaben in der Schlacht gesehn?

BRENNO. Nein, aber ich hab' es ihm erzählt.

HERMANN. Nun so sieht ihn sein Geist von der Abendwolke! Knabe, Bruder meines Sohns, wenn mein Sohn deiner würdig wird, wie liebe ich dich!


Er hebt ihn in die Höhe und küßt ihn.


DER KNABE. Ach, Hermann!

SIEGMUND der sich schnell naht. Laß mich ihn auch küssen, Hermann. Nein, nein! Er tritt zurück. Ich bin unter den Römern gewesen.

HERMANN. Bei dem Blute, das ich an deiner deutschen Lanze gesehen habe, küss' ihn! Siegmund bückt sich nieder und küßt ihn auf die Stirne. Ihr Götter, welch ein Tag ist dieser! und Siegmar ist todt!

DER KNABE. Ist Siegmar todt?

THUSNELDA. Mein edler Sohn! siehst du es denn nicht, daß er dort unter den Adlern liegt?

DER KNABE. Ach, so haben wir denn die Adler! Mein Auge wird manchmal so dunkel. Aber ich mag ihn auch nicht sehn. Darf ich mich wohl noch ein Wenig an deinem Schwert' halten, Hermann? denn ich wanke wieder so sehr. Wie ist mir denn jetzt wieder? und wo bin ich denn wieder?

WERDOMAR. Da, sieh, mein Sohn, da hast du deine Lanze und deinen Schild und den Römerhelm, den du nahmst!

HERMANN. Ist er dein Sohn, Werdomar?[134]

WERDOMAR. Er ist mein Sohn.

HERMANN. Glücklicher Vater!

WERDOMAR. Ach, ich werde bald ...

DER KNABE. Ja, Das ist meine kleine schöne Lanze! Ha, du Mähnenbusch, wie wehtest du in der Schlacht! Nein, nein! Das ist meine Lanze nicht! Das ist das Schwert des Centurio, welches er mir in die Brust stieß!

WERDOMAR. Ach, bald werde ich ein so unglücklicher Vater seyn, als du ein unglücklicher Sohn bist.

BRENNO. Verzeih' es seinem Schmerze, daß er dich unglücklich nennt. Das bist du nicht. Denn dein ehrenvoller Vater ist aus der größten unsrer Schlachten nach Walhalla gegangen.

HERMANN. Wie ist der kühne Knabe umgekommen?

DIE BEIDEN ANDERN KNABEN. Ein Centurio wollte sinken ...

HERMANN. Knaben, seyd ihr auch in der Schlacht gewesen?

BEIDE. Ja!

EINER. Aber wir sind unschuldig: wir konnten ihn nicht zurückhalten! Ein Centurio wollte sinken, da rannte er ihm mit seiner Lanze gerade nach dem Herzen zu und traf ihn auch; aber der Centurio riß die Lanze heraus und stieß sie ihm in die Brust: allein er nahm dem Römer doch den Helm, so sehr er auch selbst blutete.

HERMANN. Ach, daß mein Vater diese Knaben nicht sieht! Kühne Knaben, ihr helft meines Vaters Tod rächen! Ihr Blumen des Vaterlands, ihr seyd dann vorn und fechtet mit den Veteranen! Wo sind eure Lanzen?

EINER. Sie sind auch blutig geworden, aber die Schlach' ward auf Einmal so heiß, daß wir sie nicht wieder finden konnten, und die großen Lanzen konnten wir nicht werfen.[135]

DER AELTESTE. Das ist nur ein Spiel, über diesen Bach zu springen, denn ich will meine Lanze an dem Felsen drüben wetzen. Mein Vater, bitte du Brenno, daß er mir nur drei Blätter des heiligen Laubes in die Locken flechte! Nun, so weht nur ohne heiliges Laub, meine Locken! Aber blutig soll Hermann, soll Siegmar, soll Brenno, sollen alle Hauptleute der Narisker, soll Thusnelda, sollen alle Hauptleute der Semnonen, blutig sollen sie meine Lanze sehn. Ach, ach, welch ein Schmerz! Aber wo bin ich denn? Welcher Todte liegt dort, auf den die Adler aus der Wolke heruntergestürzt sind? Tanzt zum Siegsliede, Knaben! Das sind die Adler Wodans! Das ist Varus! Das bist du, Varus, auf dem die Adler sitzen. Nein! nein, er ist es nicht, er lebt noch! dort stehet er! Er weist auf Hermann. O du Römerfeldherr, warum sitzen Wodans Adler nicht auf deiner Leiche? Ha, nimm nur dem Centurio sein Schwert und stoß' es mir noch einmal ins Herz! Wie kriegerisch tönen die Hörner der Barden! Ich will auch singen, Barden! Ich kann nun nicht wieder in die Schlacht gehn.


Er bemüht sich zu singen.


Ha! ihr Cherusker, ihr Katten, ihr Marsen, ihr Semnonen!

Ihr festliche Namen des Kriegsgefangs!

O Schmerz in meinem Herzen hier!

THUSNELDA. Kaum hatte ich's länger aus, Hermann! Druiden, habt ihr denn gar keine Heilungskräuter für ihn?

BRENNO. Er stirbt ja schon, Thusnelda.

DER KNABE. Einen Blumenschild hast du, Varus? Wem hast du den Blumenschild genommen, Tyrannenfeldherr? Ihr Götter, Das ist ja Hermanns Schild! Ist Hermann todt? Nun, so will ich auch sterben![136]

HERMANN. Bringt ihn mir her, daß ich's ihm recht sagen kann, daß ich lebe. Er setzt sich.

DER KNABE. Zu Varus schleppt ihr mich hin? zu Varus?

HERMANN der ihn in seine Arme nimmt. Guter, kühner, tapfrer, liebenswürdiger Knabe! ich bin Hermann, und ich lebe. Sieh' her! dieser ist mein Schild, der Schild, den mir Thusnelda gab, da sie meine Braut war.

DER KNABE. Ja! Das ist der schöne Schild mit den Purpurblumen! Aber bist du Hermann?

HERMANN. Kennest du meine Stimme nicht? Ich bin Hermann, und ich sage dir mit dieser Stimme, die du kennst, daß ich dich sehr lieb habe, und daß ich dir danke, daß du in der Schlacht gewesen bist!

DER KNABE. Ach, du bist Hermann und nicht Varus! Hermann küßt ihn. Warum weinest du denn, da du doch gesiegt hast?

HERMANN. Sprich etwas weniger, mein Liebling, mein Kriegsgefährt, mein Sohn! Wenn du zu viel sprichst, so blutet deine Wunde wieder. O Brenno, könntest du mir sagen, daß du Hoffnung hättest!

DER KNABE. Ich will dir gern gehorchen, du großer Feldheer Deutschlands: denn ich trage heut meine ersten Waffen.

HERMANN. Du bist nicht mehr, mein Vater! ach, und ich kann mit dir nicht mehr von den Freuden reden, die ich habe!

THUSNELDA. Wenn nur dein Herz erst nicht mehr von dieser heftigen Wehmuth fortgerissen wird, so rede ich mit dir von den Freuden dieses Tages und vornehmlich von dieser größten unter ihnen, daß dein Vater an diesem Tage[137] so altdeutsche Thaten gethan hat. Hermann, willst du nicht seinen unsterblichen Namen im Bardenliede hören? Singt, Barden, sein Stillschweigen scheint es zu erlauben.

ZWEI CHÖRE.

O Vaterland, o Vaterland

Du warst ihm mehr als Mutter und Weib und Braut,

Mehr als sein blühender Sohn

Mit seinen ersten Waffen.


Du warst ihm die dickste, schattigste Eiche

Im innersten Hain.

Die höchste, älteste, heiligste Eiche,

O Vaterland!

ZWEI STIMMEN.

Die Blum' auf dem Schilde Siegmars,

Da auf sie das Blut des Todes troff,

Da ward sie schön wie Hertha

Im Bade des einsamen Sees.

ZWEI CHÖRE.

Die Cherusker haben gesehn, daß des Schildes Blume sich röthete

Von Siegmars Todesblume

Sie haben an Hertha's geweihtem Wagen gestanden und die Göttin gesehn

Im Bade des einsamen Sees.

HERMANN der den Barden mit der Hand gewinkt hat. Brenno!

Einst seh' ich, daß diese Purpurblumen sich röthen

Von meinem Todesblute![138]

Dann steh' ich an Hertha's geweihtem Wagen und sehe die Göttin

Im Bade des einsamen Sees.


Weine nicht, Thusnelda! denn dazu hat mich meine Mutter geboren. Fahrt fort, Barden.

EIN BARDE.

Einst sieht Hermann, daß seines Schildes Blume sich röthet.

Von seinem Todesblute

Dann steht er an Hertha's geweihtem Wagen und siehet die Göttin

Im Bade des einsamen Sees.

DREI CHORE.

Siegmar, du starbst fürs Vaterland!

Nun bringt dir in dem kühlsten der Haine Walhalla's

Dir, der wieder Jüngling ward,

Die ersten Waffen Thuiskon!


Dir singen nach die Barden an Wodans und Hertha's Altar,

Entgegen dir die Barden Walhalla's!

Ohne deinen Namen wäre den Barden hier,

Ohne ihn den Barden dort die dankende Saite stumm!

ALLE.

Und, hast du bei Waffentänzen und Siegesmahlen

Die zweite lange Jugend gelebt,

So nimmt dich ans in seinen strahlenden Hain

Allvater.

DER KNABE. Sind diese Schatten um mich her die Schatten der Haine Walhalla? Und sind es die Barden dieser Haine, die von Siegmar singen? Haben die Römer meinen Vater auch zu ihren Chören ...


Quelle:
Friedrich Gottlieb Klopstock: Sämmtliche Werke. Band 6, Leipzig 1844, S. 133-139.
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