Wir und sie

[248] Was that dir, Thor, dein Vaterland?

Dein spott' ich, glüht dein Herz dir nicht

Bey seines Namens Schall!


Sie sind sehr reich! und sind sehr stolz!

Wir sind nicht reich! und sind nicht stolz!

Das hebt uns über Sie!


Wir sind gerecht! das sind Sie nicht!

Hoch stehn Sie! träumen's höher noch!

Wir ehren fremd Verdienst!


Sie haben hohen Genius!

Wir haben Genius, wie Sie!

Das macht uns ihnen gleich!
[249]

Sie dringen in die Wissenschaft

Bis in ihr tiefstes Mark hinein!

Wir thun's! und thaten's lang!


Wen haben Sie, der kühnes Flugs,

Wie Händel Zaubereyen tönt?

Das hebt uns über Sie!


Wer ist bey ihnen, dessen Hand

Die trunkne Seel' im Bilde täuscht?

Selbst Kneller gaben Wir!


Wenn traf ihr Barde ganz das Herz?

In Bildern weint er! Griechenland,

Sprich du Entscheidung aus!


Sie schlagen in der finstern Schlacht,

Wo Schiff an Schiff sich donnernd legt!

Wir schlügen da, wie Sie!


Sie rücken auch in jener Schlacht,

Die Wir allein verstehn! heran;

Vor Uns entflöhen Sie!
[250]

O sähn Wir Sie in jener Schlacht,

Die Wir allein verstehn! einst dicht

Am Stahl, wenn er nun sinkt,


Hermanne unsre Fürsten sind!

Cherusker unsre Heere sind,

Cherusker, kalt, und kühn!


Was that dir, Thor, dein Vaterland?

Dein spott' ich, glüht dein Herz dir nicht

Bey seines Namens Schall!

Quelle:
Friedrich Gottlieb Klopstock: Oden, Band 1, Leipzig 1798, S. 248-251.
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