Die Sprache

[65] An Carl Friedrich Cramer.


Des Gedankens Zwilling, das Wort scheint Hall nur,

Der in die Luft hinfliesst: heiliges Band

Des Sterblichen ist es, erhebt

Die Vernunft ihm, und das Herz ihm!


Und er weiss es; denn er erfand, durch Zeichen

Fest, wie den Fels, hinzuzaubern den Hall!

Da ruht er; doch kaum, dass der Blick

Sich ihm senket, so erwacht er.
[66]

Er erreicht die Farbe dich nicht, des Marmors

Feilbare Last, Göttin Sprache, dich nicht!

Nur weniges bilden sie uns:

Und es zeigt sich uns auf Einmal.


Dem Erfinder, welcher durch dich des Hörers

Seele bewegt, that die Schöpfung sich auf!

Wie Düften entschwebt, was er sagt,

Mit dem Reize der Erwartung,


Mit der Menschenstimme Gewalt, mit ihrem

Höheren Reiz, höchsten, wenn sie Gesang

Hinströmet, und inniger so

In die Seele sich ergiesset.


Doch, Erfinder, täusche dich nicht! Für dich nur

Ist es gedacht, was zum Laute nicht wird,

Für dich nur; wie tief auch, wie hell,

Wie begeisternd du es dachtest.


Die Gespielen sind ihr zu lieb der Sprache;

Trenne sie nicht! Enge Fessel, geringt

An lemnischer Esse, vereint

Ihr den Wohlklang, und den Verstanz
[67]

Harmonie zu sondern, die so einstimmet,

Meidet, wer weiss, welcher Zweck sie verband:

Die Trennungen zwingen zu viel

Des Gedachten zu verstummen.


Von dem Ausland, Deutsche, das Tanz des Liedes

Klagend entbehrt, lernet ganz, was es ist,

Dem viele von euch, wie Athen

Ihm auch horchte, noch so taub sind.


Und es schwebt doch kühn, und gewiss Teutona

Wendungen hin, die Hellänis so gar

Nicht alle, mit stolzem Gefühl

Des Gelingens, sich erköhre.


Den Gespielen lasset, und ihr der Göttin

Blumen uns streun: Himmelschlüsseln dem Klang,

Dem Tanz Hiazinten, und ihr

Von den Rosen, die bemoost sind.


Sie entglühen lieblicher, als der Schwestern

Blühendster Busch, duften süssern Geruch;

Auch schmückt sie ihr moosig Gewand,

Und durchräuchert ihr Gedüfte.


Quelle:
Friedrich Gottlieb Klopstock: Oden, Band 2, Leipzig 1798, S. 65-68.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Mickiewicz, Adam

Pan Tadeusz oder Die letzte Fehde in Litauen

Pan Tadeusz oder Die letzte Fehde in Litauen

Pan Tadeusz erzählt die Geschichte des Dorfes Soplicowo im 1811 zwischen Russland, Preußen und Österreich geteilten Polen. Im Streit um ein Schloß verfeinden sich zwei Adelsgeschlechter und Pan Tadeusz verliebt sich in Zosia. Das Nationalepos von Pan Tadeusz ist Pflichtlektüre in Polens Schulen und gilt nach der Bibel noch heute als meistgelesenes Buch.

266 Seiten, 14.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.

444 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon