Mein Wäldchen

[22] An den Grafen und die Gräfin Holck.


Eure Beschattung kühlt schon lang, des lieben

Wäldchens Eichen, ich habe nicht die Wurzel

Dieser hohen Wipfel gesenkt, ihr wuchset

Früher als ich, seyd


Jünglinge gleichwol noch, erhebet höher

Einst die Häupter, und streckt, wenn sich der Tag neigt,

Längre Schatten. Grünet denn, überlebt; ich

Neid' euch nicht, Eichen.
[23]

Will mit Gespielen euch, mit Thränenweiden,

Rings umpflanzen, dass einst, wenn nun die Sonne

Sinkt, in eurer Kühle, durchhaucht von Abend -

Lüften, ihr Laub sich


Leise bewege, dann der Liebling sage

Zu dem Mädchen: »Sie weint ja nicht, sie säuselt,

Lallt Musik; wie fabelte von der schönen

Weide der Vorfahr!«


Wenn von dem Sturm nicht mehr die Eich' hier rauschet,

Keine Lispel mehr wehn von dieser Weide:

Dann sind Lieder noch, die von Herzen kamen,

Gingen zu Herzen.


Quelle:
Friedrich Gottlieb Klopstock: Oden, Band 2, Leipzig 1798, S. 22-24.
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