Selmar und Selma

[133] Meine Selma, wenn aber der Tod uns Liebende trennet?

Wenn dein Geschick dich zuerst zu den Unsterblichen ruft?

Ach, so werd' ich um dich mein ganzes Leben durchweinen,

Jeden nächtlichen Tag, jede noch trübere Nacht!

Jede Stunde, die sonst in deiner Umarmung vorbeyfloss,

Jede Minute, die uns, innig genossen, entfloh!

Ach, so vergehen mir dann die übrigen Jahre voll Schwermuth,

Wie der vergangenen keins ohne Lieb' uns entfloh.

Ach mein Selmar, wenn künftig der Tod uns Liebende trennet,

Wenn dein Geschick dich zuerst zu den Unsterblichen ruft;[134]

Dann, dann wein' ich um dich mein ganzes übriges Leben,

Jeden schleichenden Tag, jede schreckliche Nacht!

Jede Stunde, die sonst, mit deinem Lächeln erheitert,

Unter dem süssen Gespräch zärtlicher Thränen entfloh!

Ach so vergehen mir dann die übrigen Tage voll Schwermuth,

Wie, der Liebe leer, keiner vordem uns entfloh.

Meine Selma, du wolltest nach mir nur Tage noch leben?

Und ich brächte nach dir Jahre voll Traurigkeit zu?

Selma, Selma, nur wenig bewölkte trübe Minuten,

Bring' ich, seh' ich dich todt, neben dir seelenlos zu!

Nehme noch Einmal die Hand der Schlummernden, küsse dein Auge

Einmal noch, in die Nacht sink' ich, und sterbe bey dir.

Selmar, ich sterbe nach dir! den Schmerz soll Selmar nicht fühlen,

Dass er sterbend mich sieht. Selmar, ich sterbe nach dir![135]

Bringe dann auch nur wenig bewölkte trübe Minuten,

Seh' ich, Selmar, dich todt, neben dir seelenlos zu!

Blicke noch Einmal dich an, und seufze noch Einmal: Mein Selmar!

Sink an die ruhende Brust, zittr' und sterbe hey dir!

Selma, du stürbest nach mir? den Schmerz soll Selma nicht fühlen,

Dass sie sterbend mich sieht. Selma, du stirbst nicht nach mir!

Selmar, ich sterbe nach dir! Das ist es, was ich vom Schicksal

Lang mit Thränen erbat. Selmar, ich sterbe nach dir!

Ach wie liebest du mich! Sieh diese weinenden Augen!

Fühle diess bebende Herz! Selma, wie liebest du mich!

Meine Selma, du stürbest nach mir? du fühltest die Schmerzen,

Dass du sterbend mich sähst? Selma, wie liebest du mich!

Ach wenn eine Sprache doch wäre, dir alles zu sagen,

Was mein liebendes Herz, meine Selma, dir fühlt![136]

Würde diess Aug' und sein Blick, und seine Zähren voll Liebe,

Und diess Ach des Gefühls, das mir gebrochen entfloh,

Doch zu einer Sprache der Götter, dir alles zu sagen,

Was mein liebendes Herz, meine Selma dir fühlt.

Ach, wenn doch kein Grab nicht wäre, das Liebende deckte,

Die einander so treu, so voll Zärtlichkeit sind!

Aber weil ihr denn seyd, ihr immer offenen Gräber;

Nehmet zum wenigsten doch, nehmet auf Einmal uns auf!

Hörest du mich, der zur Liebe mich schuf? Ach wenn du mich hörest;

Lass mit eben dem Hauch Selma sterben, und mich!

Selmar, ich sterbe mit dir! Ich bete mit dir von dem Himmel

Diese Wohlthat herab. Selmar, ich sterbe mit dir!


Quelle:
Friedrich Gottlieb Klopstock: Oden, Band 2, Leipzig 1798, S. 133-137.
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