Zwölfter Brief.

An den Herrn von Hohenau, in Göttingen.

[146] Urfstädt den 6ten December 1769.


Ich schreibe Ihnen, mein guter lieber Freund! als ein Abgeordneter des Herrn von Leidthals, der durch Geschäfte verhindert wird, Ihnen selbst zu sagen, daß wir Ihnen noch Alle in Gnaden gewogen sind, und daß ich seit acht Tagen hier bin, um Ihrem Pflegevater etwas vorzuschwätzen, das ihn aufheitert. Dabey kömmt mir aber der Herr Müller, den Sie uns geschickt haben, sehr zu Hülfe. Der Mann gefällt mir gut, wenn er nur den verwünschten Commerzienraths-Titel nicht hätte! Ich will ihm aber einen andern verschaffen, denn Sie müssen bedenken, daß ich in genauer Verbindung mit viel deutschen Höfen stehe. Ich bin gereiset, das[146] wissen Sie, und bin noch immer die Beschreibung dieses Ritterzugs schuldig, die ich Ihnen versprochen habe. Weil ich nun nichts Bessers zu schreiben weiß, und Sie ein junger Herr sind, der sich gern aus den Erfahrungen eines so alten, weltklugen Manns, als ich bin, wird belehren wollen; so sollen Sie heute hören, was mir auf meiner großen Reise an einigen mächtigen deutschen Höfen begegnet ist, wie folget, und beyliegender Aufsatz zeigt, den ich für Sie gemacht habe.

Ich nahm den 1sten September dieses Jahrs Urlaub von meinem Chef, und reisete unter tausend Seegenswünschen mit der ordinairen Post bis auf die nächste Station vor ... Daselbst nahm ich, nebst meinem Bedienten, einen kleinen Courier-Wagen, und kam des Abends im Gasthofe an, brachte die Nacht angenehm in Gesellschaft von unzähligen Wanzen und Flöhen hin, und ließ mich den folgenden Tag bey Hofe melden. Der Miethlakay, den ich annahm, sah aus,[147] wie ein englischer Pferdeknecht. Er schien herzliches Mitleiden mit mir zu haben, weil ich mich französisch hatte frisiren lassen, denn seitdem der Herzog von Glocester hier durchgereiset war, hatte Hof und Stadt die Haare oben abgeschnitten, und sich auf allerley Art geengländert. Er meinte, ich würde mit dieser Frisur wenig Glück machen. Der Hof-Fourier kam, und bath mich zur Tafel. Indessen sah ich viel müssige Hof-Cavaliers mein Haus vorbeyreiten, Alle auf gestutzten Pferden, Alle englisch gekleidet, und keiner ritt langsam, obgleich Manchem darunter elend zu Muthe seyn mogte.

Ich fuhr an den Hof. Der Fürst war auf einige Tage auf ein Lustschloß gegangen, mithin war die Prinzeßinn mit ihrem Hofstaate allein da. Ich setzte kaum den Fuß in das Vorzimmer; so lachten schon Alle heimlich über mich. Nun! das mag ich wohl leiden. Ich habe so oft über andre Menschen gelacht, daß ich es schon vertragen kann, wenn man[148] etwas an mir comisch findet, aber das Ding muß sich bey näherer Bekanntschaft verliehren – Allein hier war das nicht der Fall. Sobald die Fürstinn herauskam, und ich ihr präsentirt wurde, biß sie sich auf die Lippen, um nicht laut herauszuplatzen. Anfangs brachte mich das nicht aus meiner Ruhe, aber nach und nach setzte es mich doch in eine große Verlegenheit. Hätte ich englisch reden können, und mein Haar abgeschnitten; so wäre alles gut gewesen – O! wie fluchte ich auf mein unglückliches Gestirn! Tummer Tropf! Kein Wort englisch und ein hohes Touppée! – Zwey Tage hielt ich diese Scenen aus, und ich leugne es nicht, daß ich eine klägliche Rolle spielte – Auch zu einer Wist-Partie war ich ungeschickt! Endlich brach meine Geduld. So gieng ich dann einmal bescheiden nach der Tafel zu dem Hofmarschall, und bath ihn, mir zu sagen: »ob, wenn der Fürst wiederkäme, die Hof-Etikette dieselbe bleiben würde.« Er verstand mich nicht. »Ich meine,« sagte ich, »ob es hier[149] allgemein eingeführt ist, einem Fremden gerade ins Gesicht zu lachen? Die Gewohnheiten an den Höfen sind sehr unterschieden. Da hat man Oerter, wo man gegen einen Fremden auf alle Art gefällig und nachsichtig ist. Das ist Vorurtheil! Warum soll ich nicht eben so wohl einen Reisenden, der die Haare anders frisiert hat, als bey uns üblich ist, aushöhnen? Sie wissen, mein Schatz! daß Candide einst eines Fürsten Favorit wurde, der die Gewohnheit hatte, jedem, dem er gut wollte, einen Tritt in den Hintern oder hundert Fußsohlen-Preller zu geben. Nun habe ich nur fragen wollen, ob die hiesige Etikette fortdauern wird, wenn der Herr wiederkömmt, oder ob Sie das nur so unter Sich treiben? Im ersten Falle reise ich heute fort, um an andern Oertern selbst lachen zu können; im andern Falle aber will ich Ihnen Ihre Späße so nachsehen, und noch morgen die Ankunft des Fürsten erwarten.«[150]

Der Hofmarschall wechselte mit Entschuldigungen, Leugnen, Ereiferungen und allerley ab, allein, da er mich entschlossen fand, ihn festzuhalten, und er an mir den unerschrockenen und spottenden Ton nicht gewöhnt war; endigte er endlich mit viel Bitten um Verzeyhung, und warf die Schuld auf eine Hofdame, welche das Lachen nicht halten könne, und den ganzen Hof damit anstecke. »Ha! nun weiß ich ja, an wem ich mich zu halten habe,« sagte ich, – »Sie werden doch nicht – Ganz gewiß werde ich die Hofdame um die Ursache des beständigen Lachens fragen, und ihr auch sagen, daß Sie mich an dieselbe gewiesen haben« – Der Hofmarschall wollte einreden, aber ich war fort, ohne weiter etwas zu erwarten.

Nun gieng ich zu der Hofdame. Ich wurde ein paarmal abgewiesen, endlich kam ich vor. Sie war etwa sechs und dreyssig Jahr alt, hatte manche Classe durchgelaufen, war einmal mit Vortheil cocket gewesen, aber[151] itzt, leider! auf ihrem Rückwege, und da die Rosen ihrer Wangen verblüht, und die Lilien vertrocknet waren; so war dies durch Farbe ersetzt, wodurch sie gern irgend einen jungen unerfahrnen reichen Mann gereizt hätte, sie von dem mühseligen Hofleben zu erlösen, und seinen Haushalt mit diesem überfirnisten Meuble zu zieren, um sich dann das Opfer, welches sie ihm gemacht haben würde, Zeitlebens vorwerfen, und vielleicht durch den Kutscher sich zum Hahnrey machen zu lassen.

Als ich zu ihr in die Stube trat, lachte sie nicht, sondern schien im Gegentheil verwirrt. Es war nur ein altes Fräulein aus der Stadt bey ihr. Diese aber mußte uns hernach eine Pantomime spielen, welche Geld werth war. Denn so oft die Hofdame mir etwas Witziges sagte, mußte ihr das Fräulein Beyfall zulächeln, aber Ein Blick von mir zwang sie auch wieder, mir entgegen zu grinzen, wenn ich meinen Ausfall that. Hier ist ohngefehr unser Gespräch!

[152] Ich. »Gnädiges Fräulein! ich komme hierher, weil mich der Herr Hofmarschall zu Ihnen geschickt hat, um mit Ihnen über ein gewisses Hof-Ceremoniel einig zu werden, dem ich mich habe unterwerfen müssen, welches mir aber ein bisgen schwer zu ertragen gewesen ist, und von dem nur Sie mich befreyen können, weil Sie allein, wie dieser ehrliche Mann mir gesagt hat, dasselbe eingeführt haben. Sie haben sich nemlich die Freude gemacht, jede meiner Bewegungen mit lautem Lachen zu bewillkommen. Ich hielt dies anfangs für eine allgemeine Etikette. Da man mich aber belehrt hat, daß nur Sie gewöhnt sind, die Fremden auf diese ganz eigene Art zu bewillkommen; so wende ich mich an Sie, um zu bitten, Sie mögen, wäre es auch nur um Ihrer selbst willen, diese Art mit mir umzugehen ein bisgen verändern.«

Die Hofdame: »Ich weiß nicht, mein Herr! Was Sie und Ihr Herr Hofmarschall wollen« – [153] Ich. »Stöhren Sie mich nicht, und lassen mir den Hofmarschall in Ruhe! Das ist ein creutzbraves Männchen. Er hat Recht, wenn er das Lächerliche, welches mir hier begegnet ist, nicht gern auf Unkosten des ganzen Hofs auswärts mag erzählt haben. Sie haben Sich diese Paar Tage hindurch so gegen mich betragen, daß Sie Sich nicht wundern müßten, wenn ich Ihnen hier sehr unangenehme Dinge sagte. Aber ich will einen leichteren Weg wählen. Hier bin ich! Sehen Sie mich an, und lachen Sie Sich hier auf Ihrem Zimmer, wo Ihnen eine jede Unanständigkeit erlaubt ist, satt über mich. Ich kann Ihnen sogar mein Portrait, zu Ergötzung in Nebenstunden, hier lassen. Aber keine Miene wieder zum Lachen über mich! Sie glauben nicht, was für ein verwegener Mensch ich bin.«

Die Hofdame. »Das sehe ich, daß Sie das sind, und noch nie bin ich also angeredet worden. Wenn Sie es aber denn[154] durchaus wissen wollen; nun ja! Es ist wahr, daß ich die unartige Gewohnheit habe, wenn etwas Ungewöhnliches mich an einem Fremden frappiert, mich des Lachens nicht erwehren zu können. Einer Dame sollte man indessen, wenn man Verstand hat« –

Ich. »Mein gutes Fräulein! Als ich funfzehn Jahr alt war, hatte auch ich unzählige böse Gewohnheiten von der Art. Aber, zum Henker! Wir sind, denke ich, Beyde sehr über die funfzehn hinaus.«

Die Hofdame. »Es ist also lange her, daß Sie funfzehn Jahre alt waren?«

Ich. »Sie sehen, daß ich kein Roth auflege, mithin kann ich niemand betrügen; ich bin sieben und zwanzig Jahr alt.«

Die Hofdame. »Das ist erschrecklich alt!«

[155] Ich. »O! für einen Chapeaux nicht – Aber für eine Dame – Gott bewahre!«

In diesem Tone gieng die Unterredung fort. Endlich fieng sie an aus Bosheit zu weinen. Nun hatte ich sie genug gedemüthigt, also stimmte ich herab, schmeichelte ihr auf eine höchst gezwungene Art, bath um Frieden, und gieng fort.

Diese Unterredung hatte die erwünschte Würkung, und man lachte nicht mehr. Ich machte der Hofdame von dem Augenblicke an die Cour. Sie ließ sich nichts von der Scene merken, obgleich das alte Fräulein sie, aus christlicher Liebe, in der Stadt an zehn oder zwölf ihrer Freundinnen erzählt hatte. Ich war auf dem angenehmsten Fuße, die folgenden Tage hindurch, an dem Hofe, war immer äusserst munter, erwartete den Fürsten, der mir sehr gnädig begegnete, und reisete, ohne Ein Haar abzuschneiden, weiter nach ...[156]

Wahrhaftig! ich hätte auch müssen für jeden kleinen Hof eine eigene Perücke haben, denn hier war alles französisch, und beym ersten Anblicke gefiel ich allgemein, weil ich ein hohes Touppée trug. Aber welch ein Hof! Der Chef desselben stotterte so entsetzlich, daß er nicht Ein Wort hervorbringen konnte. Der Mann war blos zu der Stelle durch einen Favoriten ausersehen worden, um das Unangenehme davon zu verantworten, und ihm die Ehre des Guten, das vorgieng, zu lassen. Der Mann konnte ihm nie gefährlich werden, und des Favoriten Verdienste stachen gegen denselben sehr hervor. Solche Leute muß man ansetzen! Auch bestand fast der ganze Hof aus solchen lächerlichen Geschöpfen. Der Oberstallmeister war ein süßes Kerlchen, das Verse machte, ein schöner Geist, der bald an mir seinen Bewunderer fand. Der Oberschenk war ein Polyhistor, Freygeist, Blumenliebhaber, und machte pappene Kästgen für die kleinen Prinzen. Er bath mich des Morgens zu sich,[157] um mir seine Bibliothek zu zeigen – Hat man jemals eine solche Sammlung von unpassenden Büchern gesehen? Voltairens dictionaire philosophique; alle Deductionen aus dem vorigen Kriege; das ökonomische Wörterbuch; Musarion; Martii liber de magia, u.s.f. Der Oberhofmeister an diesem ganz französierten Hofe, sprach kein Wort französisch. Die Hofdamen waren ungeschliffene, tumme Dorf-Dirnen. Die Gespräche an der Tafel waren die allerlangweiligsten, und obgleich der Fürst gar keine ausländische Literatur hatte, und sogar selbst äusserst jämmerlich französisch redete; so wurde doch sehr oft auf die deutsche Sprache, auf unsre Literatur und unser National-Theater geschimpft. Dennoch kannte man nicht einmal unsre classischen Schriftsteller, und ich fand des Prinzen Büchersammlung, die er mir durch einen dicken unwissenden Bibliothekar zeigen ließ, ohngefehr in denselben Umständen, wie die des Oberschenken. Alles ekelte mich hier, doch erwartete ich einen[158] Cour-Tag, da dann die Damen aus der Stadt an den Hof kamen. – Aber nichts als alte Weiber! Eine davon, des Hofmarschalls Frau, die itzt entsetzlich kupfrig war, aber im vorigen Kriege denen französischen Officieren sehr gefallen hatte, war die angesehenste, weil sie des Günstlings Maitresse war, und mit ihm alles regierte, manchen redlichen Mann fortschaffte, der ihr nicht schmeichelte, und ihre erztumme Creaturen beförderte.

Das alles und unzählige andre Geschichtgen wurden mir in den ersten Tagen sub rosa erzählt, und eine solche allgemeine Gährung und Klatscherey, als hier herrschte, habe ich nirgendswo gefunden.

Ich beurlaubte mich nach einem fünftägigen Aufenthalte, und kam den 13ten September, Mittags um zwölf Uhr, bey erwünschtem Wohlseyn in ... an.[159]

Im Gasthofe, wo ich abtrat, speiseten viel Officiere, die alle barbarisch aussahen, und auf mich, als ihren neu angekommenen Kriegscameraden mit einer Art Mitleiden herabsahen, wovon ich nachher die Ursache erfuhr. Ich hatte nemlich keine Uniform an; eine Sache, die in ihrem Dienste ein unerhörtes Verbrechen war. Den ganzen Mittag redeten sie nur von Dienst-Sachen, geriethen sehr oft in Streit mit einander, und wurden nicht selten grob. Dabey bemerkte ich aber, daß Einige nur bis zum zweyten Gange sitzen blieben, Andre hingegen sich hinsetzten, als der Braten kam. Als ich den Wirth hernach um die Ursache fragte, antwortete er mir: »Ach! die Herrn speisen nur halb.« Weil sie nemlich von ihrem Herrn schlecht bezahlt würden; so accordierten sie nur auf die Hälfte einer Mahlzeit. Mein Unwille über die ungesitteten Leute verwandelte sich bey dieser Nachricht in Mitleiden. »Ist es erlaubt,« sagte ich zu mir selbst, »daß ein Fürst, der nie Krieg zu befürchten hat,[160] aus bloßer elender Eitelkeit oder aus Spielwerk, eine Menge armer Leute, durch Ehrgeiz oder andre Mittel, anlockt, seine Uniform zu tragen, sie dadurch unfähig macht, auf andre redliche Art sich zu ernähren, und sie dann darben läßt? O! ihr kleinen Tyrannen!«

Ich gieng nach Tische in der Stadt spazieren, und fand, daß alles in derselben ärmlich und nahrungsleer aussah. Des Abends fuhren indessen viel Kutschen, wovon die Vergoldung aber zum Theil sehr matt aussah, weil sie schon manchen Herrn mogten gehabt haben, in das Schloß. Nach der Menge von Officieren zu urtheilen, die ich hie und da erblickte, hätte der Fürst eine große Armee haben müssen, allein man versicherte mich das Gegentheil, obgleich er noch immer, nach Verhältniß des armen Ländgens, zu viel hielt. Doch traf ich Haufen Soldaten in allen Gassen an, so daß ich mich des possierlichen Gedankens nicht erwehren konnte, man[161] liesse täglich ein Commando von ihnen aufziehen, das durch die Straßen spazieren müßte, um die Fremden dadurch zu blenden.

Den folgenden Tag gieng ich an den Hof, wo alles vollkommen in eben dem Geschmacke war. Da sahe man ein ganzes Heer von nicht bezahlten Hofleuten, denen die Noth auf jedem Rock-Knopfe saß, nebst einigen Jünglingen, dergleichen, durch Eitelkeit geblendet, um etwa ein Schüsselchen zu tragen, viele an solchen Höfen sich Dienste geben lassen, wo sie alten Männern, welche ihr Vermögen längst im Dienste zugesetzt haben, vorgerückt, und dann, wenn auch sie in Schulden bis über die Ohren stecken, und um Gehalt bitten, in Gnaden entlassen werden, um andern Ankömmlingen Platz zu machen. Das nennt man an einigen Oertern: junge Leute bilden, sie den Dienst lehren.1[162]

Auch war ein Gesandter von einem Hofe da, den man sich erbethen hatte, obgleich man nie das geringste Geschäfte mit demselben haben konnte. Dieser Gesandte lachte in seinem Herzen des ganzen Werks, und schrieb darüber die lustigsten Briefe an seinen Herrn. Indessen gefiel mir der Kerl mit seinen Ordens-Bändern auch gar nicht. Er hatte so etwas unnachahmlich Bedeutendes in seiner Gesticulation, wenn er sprach, und dabey einen Augenschnitt und Blick, der mir höchst zuwieder war. Auch erfuhr ich, er sey würklich ein schlechter, stolzer Kerl, habe an einem[163] andern Hofe viel Cabale gemacht, und bekleide diese Stelle nur seines Vermögens wegen. Seine Frau war artig genug, doch hatte sie sich etwas von dem gezierten vornehmen Wesen angewöhnt, welches sie, die zu einer guten Hausfrau geschaffen schien, recht übel kleidete.

Die erste Dame in der Stadt war ein langes, hageres, unangenehmes Weib, mit einer großen Warze auf der Nase. Weil ihr Mann der Einzige von der Dienerschaft, der Vermögen für sich hatte, und auch in der That ein rechtschaffener, vernünftiger Mann war, folglich dem Hofe auf alle Art Ehre machte; so zog man die Frau sehr vor. Dies hatte aber eine so unleidliche Creatur aus ihr gemacht, daß man nicht wußte, ob man über sie lachen oder sich ärgern sollte. Ohne die geringste Erziehung zu haben, wollte sie in Allem den Ton angeben, Sprachen reden, die sie nicht verstand, sich in Geschäfte mischen, Leute in den Dienst bringen, und das[164] Ansehen haben, in großem Briefwechsel zu stehen, da doch ihre Cammerjungfer sogar ihre Liebesbriefe für sie schreiben mußte. Denn sie war nicht ohne Forderungen von der Seite, sondern hielt sich immer einen jungen Officier, der den Freund vom Hause machte. So häßlich und alt sie nun war; so kleidete sie sich doch wie das jüngste Mädgen, war aber sehr zu Vapeurs geneigt, fürchtete jedes Thier, fuhr bey jedem Geräusche zusammen, und war, mit Einem Worte, eine Närrinn.

Eine andre von denen Stadt-Damen, eine Witwe, war durch schlechte Wirthschaft in große Schulden gerathen. Sie war hübsch, und da ihr sinkendes Vermögen ihr nicht mehr erlaubte, viel an Putz zu wenden, die Hälfte ihrer Garderobe auch gewöhnlich versetzt war, und die Schuldleute oft mit Verhaft droheten; so erfand sie allerley Finanz-Operationen, hielt sich reiche Liebhaber, unter Juden und Christen, die eine Zeitlang von ihr gerupft wurden, betrog im Spiele, und[165] bezahlte nicht, wenn sie verlohr. Kein Fremder kam an den Hof, den sie nicht, wenn er ein bisgen Geld hatte, an sich lockte – Doch, ich kann Ihnen ohne Aerger nicht mehrere von den Originalen beschreiben, die ich an diesem Hofe antraf. Auch wurde ich hier bald fertig, und gieng nach ...

Ich fand diesen Hof auf einen gelehrten Ton gestimmt. Jedermann sprach von Wissenschaften, Literatur und Künsten, und die Hofleute affectirten, immer zerstreuet und beschäftigt zu seyn. Die Hauptrolle aber spielte ein französischer Chevalier, der indessen, wie man mir sagte, einst Comödiant gewesen seyn soll. Diesen Aventurier hatte der erste Minister verschrieben, ein Mann, welcher für einen großen Geist und Weltweisen gelten wollte, dessen Haus eine Academie war, wo beständig ein Haufen windvoller Köpfe die Vorkammer ausfüllten, und einen jeden witzigen Einfall des Mäcenaten auffiengen. Dieser Minister machte sich eine Ehre daraus, öffentlich[166] den Freygeist zu spielen, welches denn freylich bewies, daß er ein eben so schlechter Staatsmann als Mensch war. Er war in der Jugend Officier in französischen Diensten gewesen, hatte gelesen, und von allem etwas aufgeschnapt, und durch Geschwätz sein Glück ge macht. Itzt sprach er wenig, aber was er vorbrachte waren Sentenzen.

Gerade an dem Tage, da ich ankam, wollte Abends der Hof ein französisches Trauerspiel aufführen, deswegen nun eilte ich, mich vorstellen zu lassen, um dies mit anzusehen. Es war Zaire, von Voltaire. Der Fürst, ein äusserst kalter Mensch, machte, wie sich versteht, den jeune amoreux, die ärgste Cockette in der Stadt, eine Hofdame, die mit Serenissimo sehr vertrauet war, spielte seine Zaire, und den Orosman machte der Chevalier, der eine ganz feine Stimme hatte. Das Ganze war in seiner Art würklich sehenswerth.[167]

Ich fand noch andre Fremde am Hofe, an welche ich mich bald schloß, weil sie mir ausnehmend gefielen, und weil sie, so wie ich, Beruf zu haben schienen, die lächerlichen Sachen von einer lächerlichen Seite anzusehen. Diese Fremde waren nemlich: erstlich, ein fremder Gesandter, der mit seiner Frau hier durchreisete. Diesem Manne blickte feiner Verstand und Redlichkeit aus den Augen, nur schien er kränklich, sie aber war ein schönes, herrliches Weib, voll Seele, Talent und Gefühl. Dann war noch mit ihnen dort ein Mann, der an Höfen grau geworden ist, itzt aber auf seinen Gütern sich selbst lebt, oft die nachbarschaftlichen Fürsten besucht, von ihnen sehr geehrt wird, ihnen die Wahrheit sagt, und dann wieder zu Hause der Natur im Stillen nachforscht. Der Mann hat eine ungezwungene, immer gleiche Heiterkeit, welche mich überzeugt, daß er sich von den Fesseln der Leidenschaften losgemacht hat. Wir saßen neben einander hinter der Gesandtinn, und seine wahrhaftig witzige Einfälle[168] liessen uns bey der Vorstellung des Trauerspiels gewiß keine Thränen vergiessen, wenn dies auch sonst möglich gewesen wäre.

In der Stadt machte ich wenig Bekanntschaften. Ein Pärchen nahm ich indessen auf das Korn, welches mir sehr übel gefiel. Mann und Frau waren gleich gedreht, gleich weibisch, gleich gezwungen. Die Frau sprach immer ganz leise, und zierte sich gewaltig; Der Mann trug ihr stets ein seidenes Mäntelchen nach, damit sie sich vor jedes Lüftgen schützen könnte; Man roch ihren beyderseitigen Puder auf zwanzig Schritte; Uebrigens sagte man mir, er besorge allein den Haushalt und die Küche, sey überhaupt sehr geschickt, und könne, unter andern, über hundert Karten-Kunststücke. Und, denken Sie nur! auch dieser Mann war einst Gesandter eines großen Hofs gewesen, lebte itzt hier vor sein Geld, und wurde deswegen sehr vorgezogen.[169]

Doch, ich schliesse meine Erzählung. Schon den 21ten September reisete ich wieder fort, weil ich Nachricht erhielt, daß meine Mutter unpäßlich sey, und kam ich den 23ten bey ihr an.

Hier haben Sie, mein lieber Hohenau! einen Auszug aus meinem Reise-Journale! Denken Sie indessen ja nicht, daß ich nur das Lächerliche aufschreibe, wenn gleich ich, um Sie zu belustigen, Ihnen heute blos solche Bilder vor Augen lege! Nein, mein guter Mann! Ihr Freund, der gern über Thorheiten und Laster spottet, fühlt doch gewiß eben so lebhaft den ganzen Werth der Tugend und Schönheit, und ich habe auch auf dieser kleinen Reise viel schätzbare Menschen kennen gelernt, mit denen ich Sie gelegentlich bekannt machen will, und die bey mir in einem eigenen Buche verewigt stehen.

Nun muß ich Ihnen noch sagen, daß ich bald das Vergnügen zu haben hoffe, Sie in[170] Göttingen zu umarmen. Das kann etwa gegen den 10ten Januar künftiges Jahrs geschehen. Ich habe einen Oncle nicht weit von Hanau, den ich nothwendig sprechen muß. Zudem bin ich noch nie in diese Gegend von Deutschland gekommen, die man mir doch als ein Paradies beschrieben hat. Lange darf ich zwar nicht ausbleiben, denn ich werde nicht auf lange Zeit Urlaub bekommen, doch hoffe ich bis Straßburg hinauf zu gehen, und wenigstens ein Paar Tage bey Ihnen zuzubringen, und Ihnen die Versicherungen der treuesten Ergebenheit wiederholen zu können, mit welcher ich stets seyn werde,

Ihr

treuer Diener,

Franz von Weckel.

Fußnoten

1 Es wird nicht unnütz seyn, dem Leser hier ins Gedächtniß zurückzurufen, daß die etwas boshaften Schilderungen, welche der Herr von Weckel hier von Höfen macht, zwar damals alle nach der Natur copiert, aber vor mehr als eilf Jahren geschrieben sind. Alle diese Höfe sind nachher, unter den vortreflichen Nachfolgern der damaligen Herrn, gänzlich auf einen andern Fuß gekommen, und wir können stolz darauf seyn, daß diese Gemälde itzt auf keinen deutschen Hof mehr passen.


Quelle:
Adolph Freiherr von Knigge: Der Roman meines Lebens, in Briefen herausgegeben. 4 Teile, Teil 1, Riga 1781–1783, S. 172.
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