Sechzehnter Brief.

An den Herrn Meyer, in Göttingen.

[183] Urfstädt den 4ten Januar 1770.


Mein lieber Freund!


Sie werden, wenn Sie diesen Brief erhalten, von Ihrer kleinen Reise zurückgekommen, und wieder in Göttingen seyn. Der Herr von Weckel ist der Ueberbringer desselben; ich hoffe, daß er Sie gesund und zufrieden antreffen wird.

Es würde mir lieb seyn, wenn mein Carl die Erzählung von dem, was ihm auf dem Landgute des Herrn von Hundefeld merkwürdig vorgekommen ist, welche er seinem Freunde versprochen hat, auch mir mittheilte. Ich mag gern sehen, auf welche Art der junge[183] Mensch beobachtet, und was vorzüglich seine Aufmerksamkeit gewinnt.

Für Ihre Lebensgeschichte, mein redlicher, aufrichtiger Freund! welche mir unser guter Müller überbracht hat, bin ich Ihnen sehr verbunden. Wenn das Schicksal nicht auf ganz ausserordentliche Art meine Plane vereitelt; so sollen Sie nicht Gelegenheit finden, von der andern Hälfte Ihrer Laufbahn ein solches Gemälde zu machen. Armer Mann! was haben Sie bis itzt gelitten! Und das in so wenig Jahren! Wir wollen uns nie trennen, sondern künftighin Hand in Hand die kleinen unvermeidlichen Abwechselungen, die uns, bey der kurzen Reise durch dies Leben, aufstoßen werden, mit heiteren Stirnen ruhig erwarten, und sie vorüber gehen lassen.

Weil ich Ihnen nun auch den Roman meines Lebens versprochen habe; so will ich Ihnen denselben stückweise zuschicken. Hier haben Sie die erste Hälfte davon! Sie werden[184] finden, daß ich meine jugendlichen Verirrungen sehr ungeschminkt Ihnen vor Augen lege, welches Ihnen, wie ich hoffe, eine Probe des uneingeschränkten Zutrauens, und der unbegrenzten Hochachtung geben wird, mit welcher ich stets seyn werde,


Ihr

Ihnen ganz ergebener

Leidthal.


* * *


Mein Vater versäumte nichts bey meiner ersten Erziehung. Er selbst war ein sehr guter, geschickter und vernünftiger Mann, und das Schicksal hatte ihn in Vermögens-Umstände gesetzt, die ihm alle Mittel darbothen, für die Ausbauung meiner natürlichen Talente zu sorgen. Wir wohnten des Winters in der Stadt, und im Sommer auf den Gütern,[185] wohin mein Vater alsdann meine Lehrer mit sich nahm, so daß ich in Wissenschaften und Künsten einen ununterbrochenen Privat-Unterricht genoß.

Nicht weit von uns wohnte des jungen Hohenaus Großvater, ein alter würdiger Officier, dessen Glücks-Umstände aber nicht glänzend waren. Er hatte einen einzigen Sohn, den Vater meines Carls, der mit mir von gleichem Alter, und ein vielversprechender Knabe war. Weil nun mein Vater mit Recht glaubte, daß Nacheiferung bey jeder Bemühung einen stärkeren Antrieb gäbe; so bath er den alten Obristen von Hohenau, ihm die Erziehung seines Sohns anzuvertrauen. Dies wurde ihm leicht zugestanden; Der junge Mensch kam also in unser Haus, und als der alte Obrist bald nachher starb, ohne einiges Vermögen zu hinterlassen; so wurde mein Gespiele so lange als ein Bruder mit mir auferzogen, bis mein Vater starb, da dann meine Vormünder dem jungen Hohenau[186] eine Officiers-Stelle kauften, welche Trennung uns sehr schmerzhaft war, die wir ein festes Freundschafts-Band geschlossen hatten, welches auch bis in unsre männliche Jahre festhielt, wie Sie demnächst erfahren werden.

Als mein Vater starb, war ich nicht völlig funfzehn Jahr alt. Meine Vormünder vertraueten mich also der Aufsicht eines würdigen alten Manns an, der schon viel junge Leute gebildet, und selbst Kinder hatte. Bey diesem wurde ich in Pension gethan, und brachte daselbst beynahe fünf Jahre zu, in welchen ich meine Studien fleissig fortsetzte.

Wenn hier etwas an meiner Erziehung versehen wurde; so war es, daß man mich auf einmal zu einem gelehrten Greise machen wollte, daß man einen lebhaften Jüngling, in diesen Jahren der Fröhligkeit, nur beständig mit Wissenschaften vollpfropfte, und daß man mich zu wenig mit öffentlichen Lustbarkeiten und allerley Vergnügungen bekannt[187] machte, wovon ich doch in meines Vaters Hause, der sehr prächtig lebte, schon den Vorschmack genossen hatte. Da kam es dann, daß ich freylich aus Ehrgeiz und Eitelkeit sehr viel lernte, daß mir aber auch die Freuden der großen Welt so ganz fremd wurden, daß, als man mich im Jahr 1737 mit einem Hofmeister nach Leipzig schickte, ich in allerley Ausschweifungen verfiel. In der Pension war ich wie in einem Kloster gewesen, und mein itziger Hofmeister war im Gegensatze ein Mann, der mir zuviel Freyheit ließ, weil es ihm nur darum zu thun war, sich auf meine Unkosten gute Tage zu machen. Wir giengen zwar ordentlich in unsere Collegia, aber jeder Augenblick, den wir für uns hatten, wurde den Lustbarkeiten gewidmet, und da es mir nicht an Gelde fehlte, und wir muntere Leute waren; so wurden wir in den ersten Häusern mit ofnen Armen aufgenommen.

Mein Führer war auch ein Liebhaber von Schauspielen, ein schöner Geist, der für das[188] deutsche Theater, welches freylich zu der Zeit noch sehr zurück war, arbeitete, indem er allerley Stücke übersetzte, auch Prologen und Epilogen machte.

Damals befand sich eine Gesellschaft Schauspieler in Sachsen, deren Vorstellungen wir nicht nur immer beywohnten, sondern mit denen wir auch, durch meines Hofmeisters Schöngeisterey, bald in Verbindung kamen. Eine junge Schauspielerinn, die in allen Künsten der feinen und groben Coketterie ausgelernt hatte, spielte dabey die ersten Liebhaberinnen. Wir sahen sie oft; Ich war ein junger feuriger Mensch, in der Blüte meiner Jahre, noch wenig mit dem weiblichen Character bekannt, und fähig, jedem Eindrucke mein Herz zu leihen, und so war es denn nicht schwer zu begreifen, warum ich ihren Künsten nicht wiederstehen konnte, und eine heftige Leidenschaft zu diesem Mädchen faßte, wobey mein Führer beyde Augen zudrückte. Zu Geschenken, kleinen vertraueten[189] Gastmalen und Partien, über welche ich meine Studien versäumte, giengen große Summen aus meinem Geldbeutel. Meine Vormünder schöpften Argwohn, erkundigten sich nach unserer Aufführung, und konnten es kaum glauben, als sie hörten, daß ich mich allerley Ausschweifungen überliesse, und daß ein so fleissiger, solider junger Mensch in so kurzer Zeit, und unter den Augen eines Hofmeisters, sich so habe verändern können – Das alles hatte ein Mädgen gethan.

Nach genauerer Untersuchung schickten sie mir um Ostern 1739 einen sicheren Mann, liessen mich schleunig von Leipzig abholen, dankten meinen Gesellschafter ab, und liessen mich nach Jena führen, woselbst ich einen andern Hofmeister, einen steifen, pedantischen Magister, bekam.

Dies war wieder nicht das rechte Mittel, mich zu bessern. Der rauhe Ton in Jena und der Umgang mit einem Pedanten waren[190] einem Menschen von meiner Erziehung und meinem Temperamente so unerträglich, daß ich zwar aus Verzweiflung fleissig studierte, aber nur den Zeitpunct erwartete, da ich die Fesseln abschütteln könnte. Ich ließ mich daher im Jahre 1740 mündig erklären, gieng von Jena fort, reisete an einige deutsche Höfe umher, und nahm das Jahr darauf in ... Kriegs- und Hof-Dienste.

Hier hatte ich eine Menge kleiner Liebeshändel, und wurde in unzählige Hof-Cabalen verwickelt, mit deren genauer Erzählung ich Sie nicht ermüden will. Doch, die Hauptsache:

Die Herzoginn war, wie bekannt, ein schönes, aber wollüstiges, stolzes, geiziges und ränkevolles Weib. Ihrem alten Gemahl, der alle nur mögliche Gefällig keit für sie hatte, begegnete sie mit der ausgezeichnetesten Verachtung. Statt sich ein wenig nach seiner Gemüthsverfassung zu richten,[191] suchte sie sich unter ganz jungen Leuten einen Anhang zu machen. Mit diesen schwärmte sie umher, gab kleine Bälle, und machte allerley Partien, wobey nicht selten die Anständigkeit bey Seite gesetzt wurde, und dem alten Herzog die Stirne juckte.

Nun! da ich jung war, und alle Arten von Vergnügungen liebte; so läßt sich's begreifen, daß ich mich lieber zu diesem Haufen munterer Leute, als zu der Partie des Fürsten hielt. Auch hatte dieser im Grunde keine Partie, denn alle diejenigen Leute, welche er, aus dem Staube hervor, zu reichen, angesehenen Männern gemacht hatte, zeigten ihm, durch ihre Aufführung, nicht die geringste Dankbarkeit. Sie trotzten ihm, glaubten sich ihm nothwendig gemacht zu haben, betrogen ihn, wo sie konnten, bereicherten sich, kauften Güter ausser dem Lande, um einst der Rache des Erbprinzen nicht in die Hände zu fallen, der arme schwache Herr erzog indessen immer wieder neue junge Leute, hofte[192] endlich einmal einen dankbaren Freund zu finden, und wurde jedesmal getäuscht.

Es waren wohl an dem Hofe ein Paar redliche Minister, aber diese hatten nicht Muth zu reden. Der Eine, welcher sehr religiös war, seufzete nur im Stillen über das Unglück, und der Andere hatte nicht viel Vermögen noch Gehalt, deswegen durfte er es mit der Rotte der Günstlinge, welche immer zum gemeinschaftlichen Betrug sich die Hände reichten, nicht verderben, damit man ihn nicht ums Brod brächte.

Ich darf wohl sagen, daß ich, durch meine Lebhaftigkeit, munteren Witz und einige Talente, ein Jahr hindurch die erste Rolle bey dem lustigen Hofe der Herzoginn spielte. Darum glaubte nun endlich der arme furchtsame Herzog, der dies merkte, mich gewinnen und auf seine Seite ziehen zu müssen. In meinem Herzen fand er auch leicht die Disposition, ihm gefällig zu seyn, denn ich[193] hatte gewiß Redlichkeit genug, zu fühlen, wie unedel es sey, den mit Füßen zu treten, dessen Brod man ißt, und zudem wurde ich's, gewisser Umstände wegen, sehr überdrüssig, mit der ausgelassenen Bande seiner Gemahlinn herumzuziehen.

Es fand sich an dem Hofe eine Dame, eine Französinn, die, aller Ränke voll, bey Ihrer gnädigen Frau eine Rolle zu spielen anfieng, die mir von jeher zuwieder gewesen ist. Sie führte derselben nemlich einen jungen Garde-Officier zu, und unsere Bälle fiengen bald an den holländischen Spiel-Häusern gleich zu sehen. Man verlohr sich paarweise, und kam dann, mit geschwollenen Köpfen und in Unordnung gerathenen Frisuren, einzeln, durch verschiedene Thüren wieder, welches mir sehr übel gefiel. Also brach ich kurz ab, und suchte nun auf alle Art meinem mir mit Güte zuvorkommenden Herrn mich gefällig zu machen.[194]

Sobald die Herzoginn merkte, daß ich ihre Partie verlassen hatte, warf sie einen tödlichen Haß auf mich, und machte mir, wo sie konnte, Verdruß. Von der andern Seite, sobald ich das gewahr wurde, und ich mich in der Gunst ihres Gemahls fest glaubte, trieb mich auch Stolz und Lebhaftigkeit, nichts zu unterlassen, ihr jedes Uebel zu erwiedern.

Ich machte sogar, als ein junger unerfahrner Mensch, den kühnen Plan, meinem guten Herrn seine Würde wiederzugeben, ihm die Augen über das Spiel zu öfnen, welches die Bande schlechter Menschen mit ihm trieb, und den ganzen Hof von dem elenden Gesindel zu säubern. Armer Jüngling! welche Keckheit, gegen alte ausstudierte Hofleute zu Felde zu ziehen! Das muß ich bekennen, daß ich mich in der That in kurzem furchtbar machte, aber um desto heimlicher baueten sie ihre Minen, schmeichelten mir äusserlich, und legten mir dabey die feinsten Schlingen.[195]

Einer unter ihnen, für welchen der Herzog sehr viel Liebe hatte, war ein durchtriebener schlechter Kerl, und lebte mit der küpplerischen Hofdame in der schändlichsten Verbindung. Diesen Abschaum des weiblichen Geschlechts aber wollte der Fürst, um sich Luft zu machen, heimlich in ein Kloster stecken. Mir gab er den Auftrag, dies zu bewerkstelligen, und ich übernahm ihn, nach einiger Weigerung. Allein, der schwache Mann vertrauete den Plan bald wieder der bösen Rotte, alles wurde hintertrieben, und die Sache blieb auf mich hängen.

Als sie mich nun so thätig gegen sich sahen, vereinigten sich alle Parteyen, meinen Sturz zu befördern. Sie setzten unerhörte Maschinen in Bewegung, denen ich zwar durch List und Muth auswich, allein, da sie künstlich genug waren, mir nach und nach die Mittel abzuschneiden, den Herrn oft allein zu sprechen, und er selbst furchtsam und schwach war; so merkte ich wohl, daß ich,[196] mit aller Thätigkeit Gutes zu würken, am Ende nichts ausgerichtet hatte, als den ganzen Hof gegen mich aufzuhetzen, und noch dazu für einen ränkevollen Menschen zu gelten. Ich blieb noch eine Zeitlang da, verhielt mich duldend, und nahm endlich, nach vierjährigem Dienste, meinen Abschied.

Meine Gesundheit war durch Unruhe und unordentliches Leben sehr zerrüttet worden; also beschloß ich zu reisen, um mich zu erholen. Ich schrieb aber an meinen alten Freund Hohenau, er mögte mich begleiten. Dieser hatte indessen auch manches Schicksal gelitten, wovon ich Sie gelegentlich unterichten will. Sein liebes Weib war eben gestorben; ich bath ihn daher, mit mir zu reisen, um sich zu zerstreuen. Wir reiseten ein Jahr lang umher, wurden aber in Italien auf die unglücklichste Art von einander getrennt (wie Sie einmal hören werden,1 wenn ich Ihnen[197] seine Geschichte erzähle), worauf ich, des Lebens in der Welt müde, mismüthig, betrogen, mit mir selbst nicht in Frieden, von der Herzoginn aller Orten verfolgt, beschloß, mich eine Zeitlang unter fremden Nahmen versteckt zu halten,2 theils um meinen mir entrissenen Freund aufzusuchen, theils um indessen von meinen Feinden vergessen zu werden.

Allein, dies stille, unbemerkte Leben war noch nicht für mein unruhiges Herz, und alle Mühe, meinen verlohrnen Freund aufzuspüren, war auch vergebens. Da ich nun mit dem würdigen Minister von ... Bekanntschaft in Wien gemacht hatte; so schlug mich dieser dem Herzoge von ... zum Hofmeister bey seinem Prinzen vor, obgleich ich noch nicht acht und zwanzig Jahr alt war, und oft selbst eines Mentors bedurft hätte. Der[198] rechtschaffene Minister bewog mich indessen, diese Stelle im Jahr 1745 anzunehmen, versprach mit Rath mir beyzustehen, und ich, um allem Verdrusse fernerhin auszuweichen, unterichtete ihn gänzlich von meinen bisherigen Schicksalen.

Der Herzog war ein gutgearteter Mann, dem es nicht ganz an Vernunft fehlte, der aber Ruhe und Freude liebte, und aus Bequemlichkeit nicht fest in seinen Entschlüssen, also leicht umzulenken war. Er ließ sichs gefallen, daß ich den Prinzen erziehen sollte, und lächelte freundlich Beyfall zu allem, was ich ihm von meinem Plane, wie ich es mit der Erziehung anfangen würde, vortrug. Der Knabe hingegen war ein böser, tückischer Bube. Ich fand gleich anfangs so viel Wiederstand bey meinen Bemühungen, und hatte soviel Verdruß, daß es mich bald reuete, die Stelle angenommen zu haben. Die Herzoginn hatte auch eine thörigte Affenliebe zu ihrem ungezogenen Prinzen, und deswegen[199] waren mir die Hände gebunden, daß ich nie durchgreifen konnte, also kein Ansehn hatte.

Es regierten aber drey Minister an dem Hofe. Der Eine, der mich in den Dienst gebracht hatte, lobte mich ohne Unterlaß gegen seinen Herrn, aus Enthusiasmus, auf eine zu übertriebene Art; Der Andre, der dieses Mannes Feind war, haßte mich, weil er mich als desselben Creatur ansah, und wenn er auch nicht offenbar schlechte Dinge auf mich bringen konnte (obgleich ich noch immer glaube, daß meine auswärtigen Feinde ihn auch dazu gestimmt hatten); so verfehlte er doch nicht, wenn der Fürst mit Vortheil von mir redete, durch ein bedeutendes Lächeln dem schwachen Herrn Verdacht zu erwecken; Und der dritte Minister, der ein Tölpel war, gab immer einem jeden Recht, hielt sich zu dem herrschenden Glauben, und unternahm nie das Geringste, weder zum Guten noch Bösen. So kam es denn, daß der Herzog bald sehr laulich gegen mich wurde, denn[200] schwache Prinzen, denen man von Jugend auf gezeigt hat, wie oft sie betrogen werden, werden allzeit, wenn sie nicht Lust haben, die Sache genauer zu untersuchen, lieber den Unschuldigen verdammen, als sich des Unterdrückten annehmen. Also hatte ich auch hier mannigfaltigen Verdruß, worunter der nicht der kleinste war, daß ich Wiederstand und Mistrauen bey allem fand, was ich unternahm, und daß der Prinz so unerzogen blieb, als er vor meiner Zeit gewesen war.

Was noch mehr dazu beytrug, mir mein Leben bitter zu machen, war, daß mir die Liebe einen unglücklichen Streich spielte. Ein herrliches sanftes Mädgen, die Tochter eines Generals, erweckte zuerst in meinem, in der großen Welt verwilderten Herzen, eine schuldlose, reine, aber so heftige Liebe, daß meine ganze Seele an ihr hieng. Jeder ihrer Blicke war mir süße Wonne; ich sah nur sie, fand nur an ihrer Seite Glück und Seligkeit, und ich bekenne es gern, als ich[201] erst merkte, daß ich meiner Bestimmung bey dem fürstlichen Buben nicht würde genugthun können, versäumte ich gänzlich meinen Dienst, und brachte die mehrsten meiner Stunden in dem Hause meiner Geliebten hin. Ich beschloß auch, bey ihrem Vater bald um sie anzuhalten, und meinen Abschied zu fordern, als die Blattern das liebe Mädgen ins Grab streckten. – Noch ist ihr Bild in meinem Herzen, und was ich für sie empfand, habe ich nie wieder für ein weibliches Geschöpf empfunden. Denn glauben Sie, mein lieder Freund! es giebt so manche Arten von Liebe und Freundschaft. Oft wird durch einen guten Menschen ein sympathetisches Gefühl rege gemacht, wenn eine oder mehr Saiten in uns gleich gestimmt sind, aber den ganzen Accord, die vollkommenste Harmonie in allen Tönen in unserer Seele, durch ein anderes liebes Geschöpf in Bewegung gesetzt zu sehen, das Glück hat man nur einmal in diesem Leben –[202] Nun war mir freylich der Hof doppelt verhaßt und öde. Es kam aber unterdessen der König von ... dahin. Er sah mich, ich gefiel ihm, und da er bald die Verfassung durchschauete, in welcher ich in ... lebte, und er mich besser gebrauchen zu können glaubte, ließ er mir seine Dienste anbiethen, welche Gelegenheit, mich von da zu entfernen, ich sogleich ergriff. Er machte mich zum geheimen Legations-Rath und Cammerherrn, und nahm mich mit sich nach ...

Es wurden mir hier Geschäfte aufgetragen, in welchen ich unter der Direction des ersten Ministers, Baron ... arbeiten mußte. Der Mann war ein herrlicher Kopf, und besaß vorzüglich die Kunst, da es ihm an erster Anführung und Cultur gefehlt hatte, die Kenntnisse anderer Menschen so zu nützen, daß alles durch ihn zu geschehen schien. Ich merkte vermöge meiner Erfahrungen aber auch bald, daß man sich durchaus in seinen Schutz begeben, und keine eigene[203] Rolle zu spielen versuchen müsse, um nicht von ihm fortgeschafft zu werden.

Ueberhaupt muß man, um am Hofe groß zu werden, anfangs sich sehr klein stellen, alsdann, und sonst nie, hebt jeder den unschädlichen Zwerg in die Höhe. Ich wog desfalls jedes Wort ab, sprach nur durch den Minister, und wenn der König mich um Geschäfte befragte; so redete ich nichts, als wozu ich vorher von jenem Auftrag hatte. Derselbe brauchte mich nun dazu, Dinge, welche ihm, nicht aber mir, gefährlich oder verantwortlich hätten werden können, unserem Herrn, auf eine feine Art, in den Kopf zu setzen. Es versteht sich, daß das keine schlechte Dinge waren, denn sonst würde ich nie die Hände dazu gereicht haben. Wenn der König diese Ideen hernach dem Baron ... sagte; so stellte sich dieser, als wenn ihm das ganz neu sey, willigte darinn, und wenn die Sache unversehens nicht gut ausfiel; so hatte nicht er, sondern der Herr selbst, den Einfall gehabt.[204]

Uebrigens munterte ich, durch gute Laune und Witz (die sich wieder bey mir einstellten, nachdem ich in eine angenehmere Lage gekommen war, und mein Schmerz über den Verlust meiner Geliebten, wie alle menschliche Dinge, nachließ) den ganzen Hof auf, und weil alle Fürsten belustigt seyn mögen, und der ihnen der wichtigste Mann ist, der am kräftigsten die Langeweile von ihrem Hofe verjagt; so fieng ich bald an, mich dem Könige, ohne daß dies mein Plan gewesen war, sehr unentbehrlich zu machen. Dies merkte der schlaue Minister, fand auch oft, zu seiner Verwunderung, daß ich die schwersten Sachen, welche er mir aufgetragen hatte, bey unserm Herrn durchsetzen konnte – »Halt!« dachte er, »hier muß vorgebauet werden.«

Zu dem Endzwecke verdoppelte er seine Freundschafts-Versicherungen gegen mich. Dabey bekam ich aber nach und nach die unangenehmsten Aufträge, und wurde bey[205] tausendfachen Lobsprüchen, so sehr mit Arbeit überhäuft, daß mein Kopf nie frey war, folglich meine muntere Laune auch sehr abnahm. Als der Minister dies auf den gehörigen Grad gebracht zu haben glaubte, nemlich so weit, daß den König (um welchen man indessen andre fröhlige, unterhaltende Leute versammlet hatte) nun nicht mehr so beständig nach meiner Gesellschaft verlangte, obgleich er mich immerfort hochschätzte; so war itzt die rechte Zeit, ihm folgenden Vortrag zu machen: »Ihro Majestät bedürften eines klugen Mannes zu dem Gesandschaftsposten nach ... Der Cammerherr Leidthal sey der tüchtigste Mann hierzu, und er verdiene diese Ehre als Belohnung für seinen wahrhaften Dienst-Eifer. Man müsse ihn dabey gut bezahlen, und ihm den Titel als Geheimen Rath geben. Man könne sich auf niemand so sicher verlassen, als auf ihn« u.s.f.

Ohne Anstand willigte der König, welcher mich zu belohnen meinte, in diesen Vorschlag,[206] und da auch ich denselben ganz gern annahm; so gelung es dem Minister, seinen vermeintlichen Nebenbuhler zu entfernen, und ich gieng 1749 in meinem ein und dreyssigsten Jahre als Gesandter nach ... Was mir nun da begegnet ist, sollen Sie nächstens erfahren.

Fußnoten

1 Man sehe den drey und zwanzigsten Brief.


2 Man erinnere sich, was im ersten Briefe Seite 29 steht.


Quelle:
Adolph Freiherr von Knigge: Der Roman meines Lebens, in Briefen herausgegeben. 4 Teile, Teil 1, Riga 1781–1783, S. 208.
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