An einige Leser.

[8] Fürchten Sie nichts, meine Herrn und Damen! Ich werde Sie hier nicht in einer Gestalt auftreten lassen, der man entgegen rufen könnte: »Das sind sie!« Haben Sie mir gleich manche trübe Stunde gemacht; hat Ihre Bosheit gleich mannigfaltigen Verdruß über mein Haupt gezogen; hätten mich Einige von Ihnen gleich gern muthwillig verkannt, gedrückt, verfolgt; – den Menschen verfolgt, der nicht Einen seiner Brüder mit Vorsatz je gekränkt hat, der, bey tausendfältigen Schwachheiten und Fehlern, gewiß ein liebe- und friedenvolles Herz in seinem Busen trägt, der Ihnen nie hinderlich in Ihren Entwürfen war, dessen Weg ja ganz im stillen,[9] einsamen Thale fortgeht, ohne irgend jemandes Straaße zu durchschneiden! – so bin ich doch der Mann nicht, welcher sich rächen, und Sie öffentlich preis geben könnte. Auch würde mir das nicht gelingen. Was eigentlich Spott und Hohn heißt, dazu ist mein Witz so wenig abgerichtet, daß ich gern gegen jeden, der mich auf diese Art herausforderte, die Segel streichen würde.

Ich überlasse der Zeit und dem Schicksale, welches früh oder spät (das ist heilig gewiß!) jeden Bösewicht entlarvt, und jedem Redlichen Gerechtigkeit verschafft, Ihnen den Lohn Ihrer Handlungen zu geben. Mein Glück ist in meinem Herzen. In häuslichem Frieden lebe ich still, ruhig, heiter, arbeite an mir selbst, um klüger und besser zu werden, und geniesse das Glück der Freundschaft und Achtung derer, die mich nicht miskennen, und mich, mit allen meinen Schwachheiten, ertragen.

Die Arbeit, dieses Buch zu schreiben, soll mir meine Erholungsstunden versüßen, und[10] diese würde ich sehr schlecht angewendet glauben, wenn ich sie mit Verfertigung elender Pasquillen verschwendete. Einige Blicke auf meine vergangene Tage zurück, in welchen ich vieles erlebt, vieles gesehen, viel gelitten habe, manches durch die Bosheit Anderer, manches durch eigene Unvorsichtigkeit, werden mich zwar in den Stand setzen, Ihnen hie und da getreue Bilder von nicht ganz uninteressanten Scenen vor Augen zu legen, also werde ich nicht nöthig haben, Begebenheiten zu erdichten; aber wo ich es nöthig finde, werde ich doch, um sie unkenntlich zu machen, entweder mehrere zusammenschmelzen, oder den Schauplatz verrücken. Und so sollen auch die Schilderungen von Höfen und Personen nicht von einzelnen Originalen copiert, sondern bald hier bald dort ein Stück abgezeichnet werden, wie es sich gerade an die Stelle passen wird, denn, wie ich schon gesagt habe, obgleich ich von keinem Hofe noch Gönner abhänge; so beleidige ich doch nicht gern jemand. Es ist daher meine Schuld nicht,[11] wenn einer sein oder eines Andern Bild hier zu finden glaubt. Ich verachte vornehme und geringe Schurken, aber ich entsage allen Ansprüchen, auf den Plan sie zu bessern.

Wahre Begebenheiten also, welche ich theils selbst erlebt, theils in der Nähe oder von Weitem beobachtet habe, Character-Züge von verschiedenen Gattungen Menschen, und hie und da eigene Gedanken über allerley wichtige und unwichtige Dinge, sollen hier in einer Art von Verbindung erscheinen. Das Ganze kann man hernach etwa einen Roman nennen – oder wie Sie wollen! Wenn nur etwas darinn steht, das dem bessern Theile des Publicums gefällt, bey dessen Lesung ein guter Mensch sich eine heitere Stunde machen, und woraus irgend jemand, in seiner Lage, einen practischen Vortheil ziehen kann.

Quelle:
Adolph Freiherr von Knigge: Der Roman meines Lebens, in Briefen herausgegeben. 4 Teile, Teil 1, Riga 1781–1783, S. 8-12.
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