Drey und zwanzigster Brief.

[200] An den Herrn von Hohenau in Göttingen.

Urfstädt den 16ten September 1770.


Es wundert mich nicht, mein lieber Sohn! daß Du itzt in einem so verwirrten und beklommen Gemüthszustande bist, und ich wünschte nur, Du mögtest von mir versichert seyn, daß ich mich ganz in Deine Lage zu setzen, und mit Dir zu fühlen weiß, was Du leidest.

Vergebens würde ich Dir vorstellen, wie viel tausend Menschen unglücklicher als Du sind – Das ist wohl immer ein schwacher Trost für jemand der Kummer hat, wenn man ihn noch mit der Erinnerung an fremden Jammer peinigt. Aber doch ist etwas darinn, das uns beruhigen kann, und dies[200] Etwas ist die Ueberlegung, daß wenn die Vorsehung auch bessere Menschen prüft, wir in einer künftigen Welt Güter zu erwarten haben müssen, die hier so sparsam ausgetheilt sind – Und wer sagt, daß sie so ganz sparsam ausgetheilt sind? Noch habe ich nicht gesehn, daß ein Mensch, ohne sein Verschulden, unaufhörlich sein Leben hindurch, wahrhaftig unglücklich gewesen wäre, und immer habe ich gefunden, daß auf eine traurige Periode glückliche Begebenheiten folgen. Baue fest auf die Vorsehung, und verzage nicht, wenn Du ein Mann und ein Christ seyn willst.

Und wenn ich Dir nun gar beweisen wollte, daß Du würklich nicht unglücklich wärst; was würde es helfen? Noch ist Deine Vernunft nicht unbefangen genug, um dies unpartheyisch abzuwägen.

Komm also, sobald Du kannst, mit Deinem Freunde zu mir; Das ist alles, warum[201] ich Dich heute bitten kann. Hier will ich Oel in deine Wunden giessen, so viel ich vermag. Wir wollen auch ruhig zusammen überlegen, was in der Folge für Dich zu thun ist. Findest Du es dann nach einigen Wochen noch immer rühmlicher, die Talente, die Dir Dein Schöpfer zum Dienste Deiner Nebenmenschen gegeben hat, in einen engeren Circul zu vergraben; Fährst Du fort zu glauben, daß Du nicht anders glücklich seyn könnest, als wenn Du schon als Jüngling die Bestimmung eines Mannes erfüllest – Ey nun! so wollen wir sehn, was sich thun läßt. An meiner Liebe soll es Dir wahrlich nie mangeln, und das Schicksal, was mir der Himmel beschehrt, will ich als ein treuer Vater mit Dir theilen.

Ich erwarte, so bald als möglich, Dich in meinen Armen zu sehn.


Leidthal.[202]

Quelle:
Knigge, Adolph Freiherr von: Der Roman meines Lebens, in Briefen herausgegeben. 4 Teile, Teil 2, Riga 1781–1783, S. 200-203.
Lizenz:
Kategorien: