Acht und zwanzigster Brief.

An den Herrn von Hohenau in Göttingen.

[218] ... den 30sten November 1770.


Ich schreibe Ihnen, mein geliebtester Freund! diese Zeilen in der größten Unruhe meines Herzens – Man will uns trennen – Meine Eltern haben einen Brief aufgefangen, den Sie mir geschrieben hatten, und mir über unsere unschuldige, heilige Verbindung, und unsern Briefwechsel die bittersten Vorwürfe gemacht.

Wir waren vorigen Sonntag in der Kirche, als Ihr letztes liebes Schreiben ankam. Catharine war unglücklicherweise auch nicht zu Hause, und mein Vater gieng[218] dem Postbothen selbst entgegen, um ihm die Bestellungen abzufordern. Als derselbe nun einen Brief zurückbehielt, verlangte mein Vater zu wissen, an wen derselbe gerichtet wäre, und da die Aufschrift an mich von meines Bruders Hand war, brach er ihn auf, und fand die Einlage, die er durchlas.

Als wir aus der Kirche kamen, merkte ich wohl, daß mein Vater böse über etwas war, allein er sagte mir nichts. Gestern aber kamen meine Eltern beyde auf meine Stube, und überhäuften Ihre arme Charlotte mit grausamen Verweisen, schimpften auf Sie und meinen lieben Bruder, und droheten einen Schritt zu thun, welchen ich nicht erwarten, und der unserm geheimen Liebesverständnisse (so nannten sie es) bald ein Ende machen sollte.

Ich bath, weinte und flehete, aber alles umsonst. Selbst meine Mutter, so gütig sie sonst ist, war gewaltig böse: »Weißt Du[219] denn auch« sagte sie »daß dieser junge Mensch keine Eltern, kein Gut, und nichts hat? Wer weiß wo der zu Hause ist? Der Herr von Leidthal hat ihn als einen Findling aufgenommen. Mit der Familie mag es wohl nicht gar richtig seyn. Im Vermögen hat er nichts. Und noch kann ich Dir zur Nachricht sagen, daß sich Leidthal auch nicht mehr Seiner wird annehmen können, denn der hat durch einen Proceß alle seine Güter verlohren« – Mit Einem Worte! meine Eltern verbothen mir aufs strengste, jemals wieder an Sie zu denken, viel weniger zu schreiben, und es hat mir Mühe gekostet, den Schulmeister Klingenberg, der mich auf dem Claviere unterweiset, zu bewegen, noch diesen Brief, unter einem Umschlage an meinen Bruder, anzunehmen.

Was meine Eltern mit mir vorhaben, weiß ich nicht, aber sie schreiben immer und flüstern zusammen – Ach! mein liebster[220] Carl! was wird aus uns werden? Gehen Sie doch mit meinem Bruder zu Rathe, was zu machen ist. Ich weiß mir nicht zu helfen. Allein es komme auch wie es wolle; so bleibe ich doch ewig,


Ihre

getreue Charlotte.[221]

Quelle:
Knigge, Adolph Freiherr von: Der Roman meines Lebens, in Briefen herausgegeben. 4 Teile, Teil 2, Riga 1781–1783, S. 218-222.
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