Neun und zwanzigster Brief.

An den Herrn Hofmeister Meyer in Göttingen.

[222] Urfstädt den 30sten November 1770.


Das Schicksal, mein lieber Freund! das mir drohete, ist nun entschieden, und mit seiner ganzen Last auf mich gefallen, indem das Urtheil des Reichsgerichts meinen Gegner, bis zu gänzlich ausgemachter Sache, in den Besitz meiner Güter setzt –

Das ist ein unerwarteter harter Schlag für mich, zumal ich mich wegen meines Schadens an niemand erholen kann, und mein harter Gegner nur dem strengen Rechte, keiner Billigkeit Gehör giebt, auch alle Vergleichvorschläge verworfen hat.[222]

Ich habe gelernt Unglück mit Standhaftigkeit ertragen, auch bleibt mir so viel übrig, für meine Person, in Gesellschaft eines Freundes, eingeschränkt, aber doch nicht unglücklich leben zu können. Nur zerreißt es mein Herz, wenn ich mir einbilde, wie wenig ich von nun an das süße Vergnügen wohlzuthun werde schmecken können.

Da wir uns indessen nicht gegen die Vorsehung auflehnen dürfen; so will ich nicht klagen, sondern den Plan zu meinem künftigen Leben Ihnen vorlegen.

Das Schicksal meines lieben Carls, bey seiner itzigen Gemüths-Verfassung, geht mir am mehrsten zu Herzen. Ich kann nun nicht mehr seine Wünsche so befriedigen, wie ich herzlich gern wollte; Er muß sich also herabstimmen, seine ganze Seele zu männlicher Fassung anstrengen, und wegen der Folgen auf den bauen, der uns mit Weisheit und väterlicher Güte leitet, regiert, prüft, aber[223] nie vergißt, und auch die Haare auf unserm Haupte zählt.

Ich beschwöre Sie, mein Freund! alles anzuwenden, den armen jungen Menschen nach und nach zu dieser Stärke des Geistes zu erheben, und ihn von seiner jetzigen Lage mit Vorsichtigkeit zu unterrichten.

Hier schicke ich Ihnen 120 Louisd'or, als den Theil einer Summe, die ich lange schon zu einer Nothhülfe bey Seite gelegt hatte, nebst Empfehlungsschreiben nach ... und ... Reisen Sie augenblicklich mit Ihrem Zöglinge dahin! Ich zweifle nicht, daß an einem von diesen Oertern sowohl Sie als mein Carl unter vortheilhaften Bedingungen Dienste finden werden – Reisen Sie getrost! Es wird gewiß gelingen, und beyliegende Instruction1 wird Sie unterrichten, wie Sie es am besten anzufangen haben. Vorgebauet[224] ist schon, und eher habe ich Ihnen nicht schreiben wollen.

Was mich betrift; so werde ich nebst unserm Freunde Müller und einem Bedienten nach Hamburg ziehen, und daselbst so eingeschränkt und unbekannt als möglich leben, bis die Vorsehung mich anders führt.

Ich bin gefaßt, ruhig, und murre nicht. Ein Blick zurück auf die Plane, welche ich zum Besten vieler guten Menschen entworfen hatte, ist das Einzige, was mir meine Lage zuweilen hart machen wird – Doch der Himmel wird auch für diese sorgen –

Leben Sie wohl, mein treuer Freund! Sobald Sie an Ort und Stelle seyn werden, schreiben Sie mir ja gleich, wie Ihre Verhandlungen laufen, damit ich für das Weitere sorgen könne. Wenn denn alles richtig seyn wird; so will ich Sie wieder mit noch etwas Gelde versehen, und bald hoffe ich Sie[225] in den Umständen zu wissen, daß Sie meiner Hülfe nicht mehr bedürfen. Carl wird freylich nur mäßigen Gehalt zum Anfang bekommen, allein wenn er thätig und ordentlich ist; so wird er bald mehr erhalten, und bis dahin reicht noch meine ersparte kleine Summe zu, ihm beyzustehn.


Ich bin unterdessen ohnveränderlich,


Ihr

treuer Freund

Leidthal.

Fußnoten

1 welche man nicht hat mit abdrucken lassen,


Quelle:
Knigge, Adolph Freiherr von: Der Roman meines Lebens, in Briefen herausgegeben. 4 Teile, Teil 2, Riga 1781–1783, S. 227.
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