Achter Brief.

An den Herrn Baron von Leidthal in Urfstädt.

[99] Göttingen den 20sten Aprill 1770.


Da Herr Meyer es übernommen hat, Ihnen, mein theuerster Pflegevater' ausführliche Nachricht von dem Zustande des armen Gefangenen auf dem Eichsfelde zu geben; so werde ich hiervon ganz schweigen, und nur meine Bitten mit den seinigen verbinden, doch diesem unglücklichen Manne, nach Ihrer gewöhnlichen Bereitwilligkeit Gutes zu würken, durch Vorbitte beyzustehn – O! wäre es nur möglich gewesen ihn mit Hülfe einiger Freunde aus seinem Kerker zu entführen! Hieran habe ich oft gedacht – Und welche herrliche Freude wäre es nicht, sich einer solchen That bewußt zu seyn! Aber bey kühlerem Blute sehe ich doch[99] ein, daß dies ohnmöglich ist, und daß Ihre Hülfe allein uns Hofnung zur Erlösung gewähren kann.

Uebrigens will ich einige kleine Umstände von unserm dortigen Aufenthalte nachholen. Die Gegenden haben mir hie und da ausserordentlich gefallen. Sie sind an manchen Oertern recht malerisch, recht romantisch. Aber doch mögte ich da nicht immer wohnen. Das ganze Eichsfeld ist vollgepropft von Edelleuten, die sich unaufhörlich besuchen und beschmausen, und darunter sind dann, wie unter allen großen Haufen, manche Menschen, mit denen ich eben nicht leben mögte. Zudem fange ich an, so jung ich bin, mich vor rauschenden Vergnügungen zu fürchten, und mich nach stillen häuslichen Freuden zu sehnen.

Wir haben aber dort eine Familie angetroffen, die sich sehr von andern in der Nachbarschaft unterscheidet. Ein alter würdiger[100] Vater lebt da mit erwachsenen Söhnen, auf einem so brüderlichen und zugleich launigten Fuß, daß man ihn nur an seinen grauen Haaren von den andern jungen Leuten unterscheidet. Der Mann ist so lebhaft und lustig, als ich noch je einen Greis gesehen habe. Ein gemeinschaftlicher Freund vom Hause ist ihr beständiger Gesellschafter, ein Mann, der ehemals Obrist in holländischen Diensten, sehr angesehn und vermögend war, aber nachdem er das Seinige mit fröhligem Herzen verzehrt, Andern mitgetheilt hatte, und ihm nun nichts mehr übrig blieb, von allen, die ihn hatten mit aufzehren helfen, verlassen wurde. Hier aber hat ihm die edle Gastfreyheit die Thür geöfnet, und wenn sich eine solche Gastfreundschaft belohnen läßt; so belohnt er sie durch seine unnachahmliche Kunst die ganze Gesellschaft munter und gramlos zu erhalten.

Wir haben dort einem ländlichen Feste beygewohnt, und die Bauern tanzen gesehn.[101] Es half auch nichts, wir mußten sogar selbst mittanzen, die Menuetten nach der Arie: »Sous le nom d'amitié« und die Lustigen nach: »ma commère quand je danse.«

Oft habe ich diese guten Menschen beneidet, wie sie so aus inniger Freude herumspringen. Bey aller Armuth vergessen sie leicht jedes Ungemach, und öfnen ihr Herz Empfindungen, die wir, ach! kaum kennen. So tanzt keiner von unserm Stande! Früh gewöhnt sich das eitle Herz auf jedem kleinen Wege zu unschuldiger Lust Langeweile zu finden. Wünsche, nichts als Wünsche und gegen einander kämpfende Leidenschaften plagen den unruhigen Geist, und machen uns alles Vergnügen unschmackhaft, bis die Jahre kommen, da man wohl mit Sehnsucht sich nach den Augenblicken zurücksehnen mag, die wir Undankbaren ungenützt vorbeyeilen lassen. Aber wer kann sich anders stimmen? Und wenn man auch gern wollte; so stöhren andre Menschen unsre Ruhe.[102]

Indessen habe ich doch in diesen Gegenden schon mehr Zwang, mehr Niederdruck als bey uns bemerkt, und die gemeine Sprache klingt mir höchst wiederwärtig. Die rechte ächte niedersächsische Bauernsprache gefällt mir, und hat etwas unglaublich naives und treuherziges, so wie ich glaube, daß überhaupt in Niedersachsen das ächteste Deutsch geredet wird. Der Beweis ist klar, weil da auch die incultivirtesten Leute richtiger schreiben, als in Schwaben, Baiern, Oesterreich, Hessen, am Rhein, und selbst in Obersachsen. Sie werden nicht so oft, wenn sie unbekannte Namen, nur nach dem Klange schreiben sollen, das g mit dem k, das p mit b, st mit scht verwechseln, auch viel leichter die Mundart fremder Sprachen lernen.

Dies letzte gilt aber überhaupt von den Deutschen, welche unter andern Vorzügen auch den haben, leicht eine jede Eigenheit eines Ausländers ihm abzulernen, und das ohnbeschadet ihrer Originalität, denn der[103] Deutsche behält doch immer sein Gepräge. Selbst unsre Tänze (und Sie haben mir ja oft gesagt, daß man aus den Tänzen ziemlich auf den Character einer Nation schliessen kann) selbst unsre deutschen Tänze verkündigen, dünkt mich, Offenherzigkeit, Muth, Stärke, Treue, und frohen Sinn.

Ihnen, mein bester Vater! danke ich es, daß ich früh aufmerksam auf die Menschen geworden bin, und gewiß soll dies immer mein wichtigstes Studium bleiben. Ich sehe eine Sammlung von Schmetterlingen, Versteinerungen oder so etwas, ohne Theilnehmung an. Das ist die äussere Form, und freylich vom Schöpfer mit unbeschreiblicher Kunst zubereitet, aber Eine neue Bemerkung über das Innre des Menschen, Ein edler Zug von einem großen Manne, Eine Linie in dem Gesichte, die Abdruck dessen ist, was in seiner Seele vorgeht, ist mir mehr als das vollständigste Musäum werth. Ich kann nicht einmal eine Landschaft leiden, auf welcher[104] keine lebende Creatur gemalt steht; Mir kömmt eine Aussicht öde vor, wäre sie auch noch so abwechselnd, wo ich keine Menschen sehe. –

Doch wohin gerathe ich? Indem ich Ihnen etwas von unserer Reise schreiben will, komme ich in ein ganz anders Feld. Würklich aber weiß ich auch von derselben nichts hinzuzufügen, das der Erzählung werth wäre. Wollte nur der Himmel unsre Wünsche zum Besten des armen Gefangenen erfüllen!

Der Herr von Weckel, den ich noch immer sehr munter finde, obgleich zuweilen auf meine Kosten, wird Ihnen, theuerster Wohlthäter! sagen, wie oft mein Herz in Gedanken bey Ihnen ist. Ich küsse Ihnen ehrerbiethigst die Hände, und schicke die treuesten Wünsche für Ihr dauerhaftes Wohlseyn zum Himmel. Er gebe Ihnen die größte Glückseligkeit, deren eine gefühlvolle Seele[105] in dieser Welt fähig ist: Es mangle Ihnen nie die Gelegenheit dem Elenden zu helfen, und den gebeugten Freund zu trösten.

Ich verharre mit kindlichen Gesinnungen


Ihr

gehorsamster Sohn

Carl von Hohenau.[106]

Quelle:
Knigge, Adolph Freiherr von: Der Roman meines Lebens, in Briefen herausgegeben. 4 Teile, Teil 2, Riga 1781–1783, S. 99-107.
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