Dreyzehnter Brief.

An den Freyherrn von Leidthal in Hamburg.

[133] Dresden den 26ten Aprill 1771.


O mein theuerster Herr! Wie vergänglich sind alle menschliche Hofnungen! Da bekomme ich eben einen Brief von unserm Carl, der mich in Schrecken und Wehmuth versetzt.

Denken Sie nur, der redliche Obrist ist schleunig gestorben – Vor vierzehn Tagen kam der würdige Mann gesund vom Exerciren nach Hause; nach Tische fieng er an über heftiges Seitenstechen zu klagen; die Krankheit nahm täglich zu, und endigte vorigen Montag sein Leben. Da ich nicht weiß, ob Ihnen der Herr von Hohenau schon die traurige[133] Nachricht gemeldet hat; so eile ich, Ihnen dies zu berichten – Sie werden es meinem Briefe ansehen, wie sehr mich dieser Fall betäubt.

Wieder ein rechtschaffener Mann weniger in der Welt! – Und welch' ein Verlust für unsern Pflegesohn! Auch ist jedes Wort von ihm ein Abdruck des tiefsten Schmerzens.

Ja! der arme Carl leidet noch von einer andern sehr empfindlichen Seite; denn wenig Tage vor dieser betrübten Begebenheit, hatte er ein Paar Zeilen von seiner Charlotte, ohne Benennung des Orts ihres Aufenthalts, bekommen, darinn sie ihm, in Ausdrücken, die, wie er sagt, gar unbegreiflich von ihrem sanften Character, und auf keine Art ihrer würdig waren, schrieb: »Er solle nicht ferner an sie denken; sie habe eine andre vortheilhafte Partie getroffen.«1[134]

Zu jeder andern Zeit würde ich es vielleicht für ein Glück halten, daß die Sache auf diese Art ein Ende nähme, da doch wenig Hofnung zu Vereinigung dieser Leute da war; aber jetzt, da der junge Mann, in einer Welt wie Berlin, seines Führers beraubt, sich allein überlassen bleibt; jetzt wäre ihm eine tugendhafte Liebe, mögte sie auch ein wenig romanhaft seyn, ein Leitstern gewesen. Nun fürchte ich sehr für seine Sitten. Aus seinem Briefe blickt Mismuth, Verzweiflung, und eine gewisse Bitterkeit hervor, die mir gar nicht gefällt.

Ich habe ihm geschrieben, was man in solchen Fällen schreiben kann. Mein vortreflicher Obrist hat auch noch auf dem Todtenbette für unsern Carl gesorgt. Sein Vetter war grade in Berlin. Dieser, der von dem Verstorbenen erbt, hat sich in dessen Gegenwart gerichtlich verbinden müssen, dem Herrn von Hohenau, bis derselbe eine Compagnie haben würde, monatlich vier Thaler Zulage zu geben –[135] Der gute Mann! – Das war also wieder ein kurzer Traum – Schon machte ich Plane, ihn in künftigem Jahre in Berlin zu besuchen – Jetzt liegt er im Schooße der mütterlichen Erde, und ist dieser unruhigen Welt entflohn –

Was ich seit einem Jahre aufs Neue erlebt habe, betäubt mich oft so, daß ich Mühe habe mich zu überzeugen, daß mir das alles würklich also begegnet ist. Es werden kaum vierzehn Wochen seyn, daß ich in Donnergrund im Wirthshause, um eben diese Stunde saß, und um unsern Carl trauerte, der indeß mit mir unter einem Dache war, ohne daß wir von einander etwas wußten – Und was ist nicht wieder in dieser kurzen Zeit vorgefallen! – Ach, bester Herr! könnte es ein Verbrechen seyn, wenn meine Seele wünschte, bald das Ende aller dieser Verwirrungen zu sehn; wenn ich mich nach der Ruhe im Grabe sehnte, wo Vergessenheit der Sorgen, wo ewiger Frieden wohnt? –[136] Doch, ich bin in einer so traurigen Stimmung, daß ich nicht weiter schreiben mag – Thränen der Zärtlichkeit – das Einzige, was ich dem Andenken meines abgeschiedenen Freundes weyhen kann – sollen, hoffe ich, mein Herz erleichtern.

Seyen Sie nur recht glücklich, mein bester, gnädiger Herr! recht gesund, recht heiter, und entziehen nicht Ihre väterliche Güte,


Ihrem

treuen Diener,

Meyer.

Fußnoten

1 Man erinnere sich, daß das der von dem Franzosen fälschlich geschriebene Brief war.


Quelle:
Knigge, Adolph Freiherr von: Der Roman meines Lebens, in Briefen herausgegeben. 4 Teile, Teil 3, Riga 1781–1783, S. 138.
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