Funfzehnter Brief.

An den Herrn Hauptmann von Hundefeld in .....

[150] Berlin den 16sten Junius 1771.


Gnädigster Herr Vater!


Es ist wohl freylich, als wenn sich alles gegen mich verschworen hätte, damit ich unsere arme Charlotte nicht finden soll. Ich berichtete Ihnen neulich gehorsamst,1 wie ich, durch meine Tante irregeführt, hin und her gereiset bin, ohne im geringsten auf die Spur kommen zu können, wo meine arme Schwester seyn mögte, und daß ich nun fest entschlossen sey, nach Berlin zu gehn, um wenigstens den Herrn von Hohenau aufzusuchen. Da komme ich denn nun eben hier[150] an, und habe nicht verfehlen wollen. Ihnen davon sogleich schuldige Nachricht zu geben, damit Sie, und meine gnädigste Frau Mutter, der ich ehrerbiethigst die Hände küsse, meinetwegen nicht in Sorgen seyn mögen.

Der Brief den Sie mir, bester Herr Vater! letzthin zu schicken die Gewogenheit gehabt haben,2 ist zuversichtlich nicht von meiner Schwester. Es ist weder ihre Hand, noch ihre Schreibart. Dahinter steckt gewiß Betrug.

Zudem weiß ich durch den Herrn Meyer ganz sicher, daß Hohenau selbst Charlottens Aufenthalt nicht erfahren hat – Morgen früh wird sich alles aufklären; Sobald ich ausgehn kann, gehe ich zu ihm.

Ich bin kaum seit einer Stunde hier im Gasthofe, wo ich noch niemand gesehen habe,[151] als einen äusserst höflichen Franzosen,3 der hier gespeiset hat. Er scheint Officier zu seyn, und hat mir Hohenaus Wohnung beschrieben. Weil er sehr verbindlich war; so habe ich ihm die Absicht meiner Reise entdeckt, und er hat mir seine Dienste angebothen, will mich auch morgen selbst hinbegleiten.

So viel nur in Eile – Die Post geht in einer halben Stunde ab – Ich verharre mit kindlicher Ehrerbiethung,


Theuerster Herr Vater,


Ihr

gehorsamster Sohn,

Hundefeld.

Fußnoten

1 Die vorhergehenden Briefe finden sich nicht.


2 und den, wie wir wissen, der ehrliche Franzose geschrieben hat.


3 Da ist wieder Mr. de la Saltière, wie man aus dem folgenden Briefe sieht.


Quelle:
Knigge, Adolph Freiherr von: Der Roman meines Lebens, in Briefen herausgegeben. 4 Teile, Teil 3, Riga 1781–1783, S. 153.
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