Funfzehnter Brief.

An den Herrn Ludwig Müller in Dresden.

[109] Urfstädt den 4ten September 1771.


Jetzt, mein lieber Freund! da wir im Begriff sind übermorgen abzureisen, muß ich noch ein herzliches Wörtgen zu Ihnen reden. Wer weiß, wie bald wir uns wiedersehen, und indessen treten Sie in eine neue Laufbahn, mit welcher eine wichtigere Periode Ihres Lebens anfängt.

Bis dahin, mein Bester! waren Sie ziemlich frey; Sie wurden durch keine merkliche Bande an den Staat geknüpft, konnten leben, wie Sie wollten, ohne jemand anderm als Ihrem Herzen Rechenschaft zu geben, und dies Herz war ein billiger, sanfter[109] Führer. Von nun an werden Sie andern Richtern in die Hände fallen; die Leute, mit welchen Sie in Verhältnisse kommen, werden ein Recht zu haben glauben, Ihre Handlungen zu controllieren, zu beurtheilen – und da thut es mir wehe, Ihnen sagen zu müssen, daß Sie nur zu oft Gelegenheit finden werden, über Ungerechtigkeit zu klagen.

Glauben Sie nicht, daß ich Ihnen die Menschen verhaßt machen wollte; Gewiß nicht! Ich will Ihnen im Gegentheil eine Skizze von Gemählden vor Augen legen, an deren Anblick Sie Sich gewöhnen müssen, wenn Sie nicht jeden Tag vier und zwanzig unruhige Stunden haben wollen.

Sieht man auch nur die Sache aus dem rechten Gesichtspuncte an; so wundert man sich gar nicht darüber, daß der große Haufen sich unter einander das Leben so sauer macht. Das gehört mit zu der Ordnung des Ganzen; durch diese Gährung wird manche sonst ruhende[110] Triebfeder in Bewegung gesetzt; es giebt der Maschiene mehr Mannigfaltigkeit, und erweckt manches schlafende Gefühl.

Sie sind lebhaft, verständig, gefühlvoll, unternehmend zum Guten und zutraulich auf die Güte Anderer – O! machen Sie Sich gefaßt, mit diesen herrlichen Eigenschaften wenig Glück in der Welt zu machen – Wiederstand von allen Seiten, Neid, Kälte, ungerechte Auslegung Ihrer unschuldigsten, edelsten Handlungen – das alles erwarten Sie sicher, und dies nicht nur vom vornehmen und geringen Pöbel, nein! von denen Leuten, die sich Ihre Freunde nennen; und haben Sie einst in dreyßig Jahren drey Menschen gefunden, die Sie ganz verstanden, ganz uneigennützig an Ihnen hiengen, von denen Sie treu, unwandelbar, um Ihrer selbst willen geliebt wurden – dann sind Sie ein Sohn des Glücks.[111]

Aber dies erbittere Sie nicht! Spannen Sie vielmehr beyzeiten Ihre Erwartungen herab; so werden Sie nicht von idealischen Hofnungen getäuscht werden. Thun Sie in der Stille so viel Gutes als Sie können, rechnen Sie auf keine Erkenntlichkeit, auf keinen Beyfall, freuen Sie Sich, wenn das alles von niemand erkannt, wenn es mit Undank belohnt wird. Dem liebevollen Wesen, das die Haare auf unserm Haupte zählt, entgeht kein Bestreben des Redlichen, kein Sehnen des Edlern, kein guter Vorsatz, kein Seufzer des Leidenden, keine Klage über mislungene fromme Wünsche. Ach! lassen Sie das Ihr Trost seyn, lieber Freund! und werden nicht müde den graden Weg zu gehen, wenn Sie Sich auch durch tausend Verirrte drängen müssen, die Ihnen höhnen, Sie aufhalten, und Ihnen große Steine vor die Füße werfen. Eine einzige Abendstunde voll süßer Rückerinnerung überwundener Schwierigkeiten ersetzt alles erlittene Ungemach, und Ein Paar treue Gefährten, die[112] Ihnen das Schicksal zuführt, alle Beschwerlichkeiten der Reise.

Aber suchen Sie diese Freunde nicht ängstlich, aus Furcht, es mögte Sie gar zu sehr schmerzen, oder erbittern, wenn Sie Sich geirrt hätten. Fragen Sie niemand, wo er hinaus will; Aber Sie werden schon einmal an irgend einen andern stillen Wanderer gerathen, wenn Sie viel Tagereisen gemacht haben, und Sie denselben guten Menschen jeden Abend in derselben Herberge finden; wenn Sie bemerken, daß er stets den nemlichen graden Weg geht, den Sie wandeln – dann ist es wahrscheinlich, daß er eben den Ort erreichen will, wohin Sie streben, und Sie können es versuchen Hand in Hand mit ihm zu wandeln –

Allein auch da werden Sie Sich noch oft getäuscht sehen – Doch, was thut es? Wenn Sie nur indessen nicht auf Irrwege gerathen sind.[113]

Also trauen Sie Wenigen, aber verachten Sie Keinen, und helfen, wo Sie können. Gott und die Natur haben die bessern Seelen zu Werkzeugen bestimmt, der gedrückten Menschheit wieder aufzuhelfen. Der Kampf ist schwer, aber der Sieg süß, und heitrer Frieden und die entzückende Aussicht in die seligere Zukunft der Lohn des Streitenden.

Es ist eine alte Bemerkung, aber sie ist deswegen nicht weniger wahr, daß Sie, wenn Sie im Glücke sind, nicht wissen können, wer Ihr Freund ist. Der Eine wird sich Ihnen aufdringen, um sich durch Ihr Zutrauen Glanz zu geben; das Publicum soll es merken, daß ein allgemein geehrter, verständiger, oder gar berühmter Mann sein Freund ist. Der Andre sucht Sie auf, weil er irgend einen Vortheil von Ihnen ziehen, einen Freundschaftsdienst erwiesen haben, irgend etwas lernen, Ihnen irgend etwas ablocken will. Ein Dritter sucht nur in[114] Ihrem angenehmen Umgange Unterhaltung, Ausfüllung seiner leeren Stunden. Noch ein Anderer fürchtet Sie, sucht Ihren Schutz, Ihre Nachsicht mit seinen Fehlern. Alle aber nehmen ohn gefehr eben dieselbe Aussenseite der persönlichen Zuneigung an. Doch lassen Sie trübe Stunden kommen; lassen Sie ein Gewitter sich über Ihr Haupt zusammenziehen; und dann sehen Sie, wie Wenige Stich halten, wie Wenige Ihnen Schutz in ihrer Hütte anbiethen werden. Versuchen Sie es nur, und bringen ein nachtheiliges Gerücht über Ihre Person ins Publicum; da werden denn alle diese schönen Freunde sich zurückziehen, und so lange hinter dem Busche lauren, bis sie sehen, wie das Ding abläuft. Wo wird der Mann seyn, der mit fester Entschlossenheit sich Ihrer annähme, sein Privatinteresse, seinen Ruf auf die Seite setzte, Ihnen irgend ein Opfer bringen, sich dem Sturm entgegenstellen, und ausrufen würde: »Schone des Mannes, er verdient nicht gemißhandelt zu[115] werden – Ich kenne den Edlen; er ist mein Freund.«

Und hier habe ich nur von der schlechtesten Classe von Menschen geredet. Aber auch die Bessern, zu schwach ihren Grundsätzen treu zu bleiben, werden, wenn man Sie verläumdet, zurückweichen. Zehnjährige Kenntniß Ihres Herzens wird nicht hinreichen Ihrer Unschuld das Wort zu reden. Die Schmähungen Ihrer Feinde werden dem ganzen Bilde, das Sie so ausgemalt in den Seelen ihrer Freunde glaubten, andre Farben, andre Umrisse geben. Ein Schein von Wahrscheinlichkeit wird genug seyn, Sie der unerhörtesten Handlungen zu beschuldigen, Handlungen, deren Möglichkeit ganz ausser Ihrem Character liegt. Man wird alle Ihre guten edlen Züge vergessen, so manche Probe Ihrer Rechtschaffenheit, so manchen Freundschaftsdienst – Ihre Tugenden werden nicht gegen Ihre Fehler auf die Wagschale gelegt werden; Auf die Heftigkeit Ihrer Leidenschaften[116] wird man nicht Rücksicht nehmen; Es wird sich ein bisgen Neid, selbst der Bessern, die das Uebergewicht Ihrer Verdienste ungern tragen, mit hineinmischen – Und nun wird jeder Knabe sich erlauben der Richter eines noch vor acht Tagen allgemein angebetheten Mannes zu seyn, indeß der Eine Ihrer Vertraueten sagt: »Ich kenne des Menschen nicht,« und der Andre die Achseln zuckt, ausruft: »Hätte ich das je gedacht!« und vielleicht gar das noch schleichende Gerücht, durch die ängstliche Art wie er die Sache nimt, ausbreitet und bestättigt.

Und mit was für Recht? Sie können eine sonderbare Erfahrung dabey machen. Wenn es Ihnen leidlich wohl geht; dann werden Verwandte und Freunde ruhig seyn; Niemand wird sich beeifern, Ihre Zufriedenheit zu vermehren; Sie werden immer allein für Sich arbeiten, Sich selbst durchhelfen, der Schöpfer Ihres Glücks seyn müssen.[117] Aber kaum erfährt man etwas Nachtheiliges von Ihnen; so glaubt jeder ein Recht zu haben, Ihnen Vorwürfe zu machen: »Mein Gott!« werden sie ausrufen, »Was hast Du da gemacht? Was müssen Deine Freunde von Dir hören? Denk an, wie uns das kränken, beschimpfen muß!« Dann wird jeder fordern, vorschreiben was Sie thun sollen – Nicht zu Ihrer eigenen Hülfe, sondern damit die Achtung der elenden Menschen, die durch Ihren Umgang sich geehrt wissen wollten, nicht vor den Augen des Volks leide.

Sehen Sie, mein lieber Freund! das sind Resultate von Erfahrungen meines unruhigen Lebens. Mögten Sie doch alles falsch finden, was ich hier gesagt habe! Zur Ehre der Menschheit wünschte ich es – Aber wie wenig darf ich das hoffen!

Wenn denn einst Ihr lebhafter, thätiger, sorgenloser Geist Sie in einen bösen Handel[118] verwickelt, wo Sie es so gut gemeint hatten, und nun alles schief geht, alles auf Sie fällt, Schande, Unrecht, Kummer – auf Sie, der, da er nur Gutes thun wollte, so gänzlich miskannt wurde; Wenn ein Freund, auf den Sie fest baueten, Ihnen in einem entscheidenden Augenblicke den Rücken wendet; Wenn der Mann, den Sie mit Wohlthaten überhäuft hatten, Sie mit Füssen tritt – dann wafnen Sie Sich mit liebevollem Muthe; Nehmen Sie alle Würde Ihres Geistes zusammen, und stehen da, in der ganzen bescheidenen Größe eines edlen, sich keines bösen Vorsatzes bewußten Mannes. Ihr Gewissen wird Sie reichlich belohnen. Hassen Sie nur die Menschen nicht! Es ist Schwäche, und sonst nichts, was die guten Narren so verkehrt macht. Ertragen Sie die Schwachen, und leiden geduldig. Nie müsse Sie Ihre heitre fröhlige Laune verlassen! Haben Sie Frieden mit Sich selbst; so wird Ihnen alles übrige leicht zu ertragen werden.


[119] Den 5ten Abends.


Ich weiß nicht, ob Sie je geliebt haben; Also kann ich Ihnen hierüber keinen Rath geben. Auch ist da schwer zu rathen; denn dies süße Ungemach kömmt über uns, wenn wir es am wenigsten erwarten. Fliehen Sie also, so lange Sie noch können. Ist es aber zu spät – dann erfahren Sie selbst, welche Revolution die erste Liebe in Ihrem ganzen Wesen hervorbringen wird. Nur merken Sie Sich, daß Sie nie bey dem andern Geschlechte jene gänzliche treue Hingebung erwarten müssen, mit welcher wir Männer uns ihnen in die Hände liefern.

Der klügste Mann ist, wenn er liebt, nicht mehr Meister seines Verstandes. Er wird nichts hören, nichts sehen, als seine Geliebte; Alle übrigen Weiber werden für ihn Bildsäulen seyn. Vergebens wird er sich in einer Gesellschaft, worinn die Freundinn seines Herzens ist, verstellen wollen. Man wird sehen, wie seine Augen nur sie suchen,[120] wie seine ganze Heiterkeit an einem Blicke von ihr hängt. Aber das unerfahrendste Mädgen wird sich in dieser Leidenschaft zu bemeistern, sie wo es nöthig ist zu verhehlen wissen. Sie wird von zwanzig Jünglingen, unter denen sie Einen liebt, keinen der übrigen neunzehn beleidigen noch verabsäumen, jeden durch irgend eine kleine zutrauliche Gefälligkeit gewinnen, und dadurch ihrem Geliebten oft kummervolle schlaflose Nächte machen.

Ist es würklich eine ganz andre Art von Leidenschaft was sie Liebe nennen, und wobey sie sich noch immer so planmäßig in ihrer Gewalt haben, oder hat der Schöpfer gewollt, daß sie dadurch gegen unsre Zudringlichkeiten geschützt seyn, sich weniger vergessen sollten? – Das kann ich nicht entscheiden; Genug, die Natur hat es so gewollt, und eben diese kleinen Cocketterien, welche den Weibern beynahe angebohren werden, geben der Liebe mehr Mannigfaltigkeit. Das[121] erregt dann zärtliche Besorgnisse, macht dem redlichen Manne wohl manche unruhige Stunde, ist aber dennoch so böse nicht gemeint. Man muß ihnen nur die Künste ein bisgen ablernen, und sie mit ihren eigenen Waffen bekämpfen; denn sie sind im Grunde eifersüchtiger als wir, besonders wenn sie erst verheyrathet sind, und hängen mit ganzer Seele an ihren Gatten und an ihre Kinder.

Und nun, da ich Ihnen von einer Leidenschaft geredet habe, die so großen Antheil an meinen vielfachen Schicksalen hat; so muß ich Ihnen etwas vertrauen, das mir schwer auf dem Herzen liegt.

Sie wissen, daß seit einiger Zeit ein gewisser Herr Becker (wenigstens giebt er sich diesen Nahmen) nebst seiner Frau in dem Städtgen ohnweit Urfstädt wohnt. Da niemand diese Leute kannte, und sie allen Umgang mieden; so erregten sie anfangs die[122] Aufmerksamkeit des vorwitzigen Publicums; Ich aber, der ich nicht sehr neugierig in solchen Dingen bin, habe in der ganzen Zeit um so weniger nach ihnen gefragt, da ich mir es gewiß nicht träumen ließ, daß sie das geringste Interesse für mich haben könnten.

Vorigen Diensttag nun, als ich, mit einem Buche in der Hand, an dem Bache hinter dem neuen Garten her spazieren gehe, begegnet mir dies Paar – Und welche unangenehme Entdeckung! – ich erkannte in der Frau die Geliebte meiner Jugend, meine Wilhelmine. Was ich in dem Augenblicke empfand, das bin ich nicht fähig Ihnen zu beschreiben. Auch weiß ich mich es kaum mehr zu erinnern; Meine Verwirrung war so groß, daß ich mich noch zuweilen gern überzeugen mögte, ich hätte mich geirrt.

Ob sie mich erkannt hat, weiß ich nicht. Ich war nicht genug bey mir selbst, um[123] beobachten zu können, und hatte nicht das Herz, mich, als sie vorbey waren, umzusehen. Ich habe niemand hier etwas davon erzählt; aber man wollte mich sehr verändert finden, als ich des Abend zur Gesellschaft kam.

Nicht als wenn meine alte nun überwundene Liebe aufgewacht wäre! Dieser Schaden ist – leider! – längst geheilt; Aber die Rückerinnerung alles dessen, was ich um Wilhelminen gelitten habe, meine Schicksale, die fast alle Folgen von dieser Leidenschaft gewesen sind – das alles, und viel andre Dinge drängen sich itzt vor meine Phantasie, so sehr ich mich bemühe diese Gedanken zu vertreiben – Ich fürchte, es wird das Vergnügen meiner Reise sehr verbittern, mir böse Launen machen.

Mich dünkt der Herr Becker hat einen finstern unfreundlichen Blick. Wenn er nur gut mit ihr umgeht! –[124] Aber wie kamen sie in diese Gegenden? Warum führt er einen Nahmen, der nicht der seinige ist? – Doch was bekümmert mich das alles? Ich wollte indessen, ich wäre schon vor acht Tagen fortgereist –

Sie wird mich wohl nicht mehr gekannt haben; Sie hat mich, hoffe ich, längst vergessen – Zerreissen Sie nur diesen Brief – Das wäre Wasser auf des Herrn von Weckels Mühle, wenn er über eine solche Wiederfindung scherzen könnte – Seine Lustigkeit ist meiner itzigen Gemüthsverfassung sehr zuwieder – Aber der Mann meint es so gut; Mein Verdruß macht mich ungerecht – Gott erhalte ihm sein fröhliges Humor! – Und nun wollen wir nicht weiter von dieser Sache reden –

Sie bitten mich, Ihnen ein Portrait von einigen der Leute zu machen, mit denen Sie itzt leben. Allein mein Brief ist schon so lang, und Sie werden alle diese Personen bald[125] selbst näher kennen lernen. Vielleicht kann Ihnen auch das, was ich zu Anfang dieses Bogens von der Art gesagt habe, wie ich glaube, daß man die Menschen beurtheilen muß, zu einem allgemeinen Commentar für jede neue Bekanntschaft, die Sie machen werden, dienen. Nur will ich ein Paar Worte über einige Personen sagen, mit denen Sie in Verbindung stehen.

Sie wissen, wie sehr ich Ihnen empfohlen habe, die Freundschaft des Cammerraths von ... zu suchen. Er ist auch wahrlich ein edler, seltener Mann. Mit dem allen aber wünschte ich doch nicht, daß Sie ganz Ihren Character nach dem seinigen zu bilden suchen mögten, wenigstens nicht in Ihrer jetzigen Lage. Sein freyes, ofnes Herz fließt zu oft über, wo es Wahrheit und Aufrechterhaltung der guten Sache gilt, und da trifft denn oft sein gerechter Eifer den heuchlerischen aber rachgierigen, mächtigen Bösewicht so scharf, daß der gute Cammerrath sich dadurch[126] mancher Verfolgung aussetzt. Wenn er so dreist weg den falschen papiernen Nimbus fortbläst, den sich ein vornehmer Schurke um seinen Eselskopf geklebt hat; dann wird der nackte Betrüger aufgebracht, und sucht ihm hinter dem Rücken so viel möglich zu schaden. Es fehlt nicht an schlechten sclavischen Seelen, die jeden solchen, in einer guten Stunde gesagten Einfall, jedes freye Wort über Pfaffentyranney und Fürstenstreiche, jeden Spott über Thorheit, jeden Schimpf, womit er den paradierenden Schelm belegt, aufsammlen, bey Seite an einen sichern Ort legen, und zu rechter Zeit, um des Eiferers Character verdächtig zu machen, wieder herzuholen wissen. Die Anzahl seiner Feinde vermehrt sich, und alle seine Verdienste, seine ganze Klugheit wird ihn nicht gegen die traurigen Folgen schützen, welche dies nach sich ziehen wird. Man verschreyet ihn als einen unruhigen Kopf, als einen Lästerer – Oft hätte ich ihm gern vorgelesen, was Eugenius zu Yorick sagte. Aber diese Art Leute ist nicht[127] zu bessern; Auch sind sie wahrlich von der Vorsehung zu Werkzeugen einer glücklichen Revolution ausersehen – Schade, daß sie mehrentheils das Opfer ihres redlichen Bestrebens werden, und die Früchte ihrer Arbeit, große freye Grundsätze auszubreiten, nicht erleben.

Der Secretair Fränzel hat viel gute Anlage. Wenn er nicht ganz ist, was er seyn sollte; so schieben Sie die Schuld auf Rechnung seiner Erziehung und der durch schlechten Umgang erhaltenen Eindrücke. Er ist ein hübscher Mann, gefiel früh den Weibern, wurde von ihnen geschmeichelt, fiel aber unglücklicherweise ausschweifenden, wenig gebildeten Frauen in die Hände; daher die Frivolität, mit welcher er über alles hinausglitscht. Er liebt das Vergnügen, und hat nicht Festigkeit genug, sich irgend eines zu versagen. Da er für sich wenig Vermögen hatte; so mußte er sich, bis er dahin kam, wo er jetzt ist, um Gönner bewerben, diesen[128] Weyrauch opfern, seinen Character in manche Form zwängen, und nun ist dieser von der Natur wahrhaftig mit herrlichen Talenten ausgerüstete Mann ein unsichrer Freund, ein leerer schwacher Mann geworden.

Der Hauptmann von Herdel, der mit Ihnen an einem Tische speiset, ist noch sehr jung, voll Lebhaftigkeit und gutes Muths. Sein Kopf ist hell, sein Herz nicht ohne Gefühl. Aber schwerlich werden Sie ihn fest an irgend etwas binden können. Er ist aufbrausend, heftig, ein beständiger Wetterhahn seiner stürmenden Leidenschaften. Er hat nie Mangel gefühlt, sondern war das Lieblingssöhnchen seiner Eltern, und daher hat sein Character nicht die zum geselligen Leben so nöthige Biegsamkeit angenommen. Bey allem Anschein der wärmsten Theilnehmung lebt er doch nur einzig für sich, und hat dabey hohe überspannte Begriffe von falscher Ehre, welche, nebst einer unbegränzten Eitelkeit, allein die Triebfeder seiner Handlungen ist.[129]

Der Hofrath Tillmeyer ist vielleicht einer der edelsten Menschen, von denjenigen nemlich, mit denen Sie leben, doch haben heimliche Leiden seinem Herzen einen gewissen Anstrich von Bitterkeit gegeben. Allein er mögte eigentlich gern schlechter scheinen als er ist, oder er betrügt sich vielmehr selbst; glaubt für die Menschen sey nun einmal nichts mehr zu thun, sie seyen insgesammt Narren oder Schelme. Aber geben Sie ihm Gelegenheit einem armen Gedrückten in der Stille zu dienen; so wird seine Temperamentsgüte über seine Grundsätze siegen, und er wird Gut und Blut daran wagen. Weil er aber arm ist; so hängt er von einigen Menschen ab, nach deren Ton er sich stimmen muß; und da dieser nicht der beste ist; so sieht man ihn fast nie selbstständig handeln. Dies ist um so mehr zu bedauern, als er würklich viel Thatkraft hat, die itzt, so wie jedes würksame Bestreben, bey ihm schläft.[130]

Den herrlichen ... kennen Sie aus dem so allgemein beliebten, bewunderten Werke, das er geschrieben hat. Welch' ein Kopf! Welch' ein Reichthum von Imagination! Welch' ein feines zartes Gefühl! Welch' ein philosophischer Blick! – Und dieser Mann ist so faul, so schwer an die Arbeit zu bringen, so unordentlich, daß Sie Sich gar keinen Begriff davon machen können. Es ist nicht Phlegma bey ihm, sondern Gewohnheit, Sorglosigkeit an sich selbst Hand anzulegen, und sich von kleinen Schwachheiten loszumachen. Ich habe erlebt, daß er, der sehr vermögend ist, kein Geld hatte, und würklich Mangel litt, bloß weil er sich nicht entschliessen konnte, an seinen Geschäftsmann einen Brief zu schreiben. Einen Posttag nach dem an dern versäumte er, und ließ indessen lieber einen Juden rufen, dem er seine Uhr versetzte, als daß er einen kurzen Brief geschrieben hätte. Er hat in allen wissenschaftlichen Fächern mehr gelesen, als vielleicht irgend ein Mensch von seinem Alter.[131] Mögte er nur mehr schreiben! Aber wenn er auch etwas in einer guten Stunde anfängt; so läßt er es entweder aus Faulheit wieder liegen, oder verliehrt das Manuscript unter dem unendlichen Chaos von schmutziger Wäsche, Büchern, Schriften und Kleidern.

Der Herr von Altheim hat eine sehr eingeschränkte, falsche Erziehung genossen, welche denn auch seine vortrefliche Anlage gänzlich erstickt, sein von Natur warmes treues Herz erkältet, seinen Kopf verdunkelt hat. Hie und da sieht man noch einen Blick von diesem Guten hervorschimmern, aber es ist alles nur Erscheinung. Er steckt voll Vorurtheile, ist eigensinnig, an Müßiggang gewöhnt, melancholischen Temperaments, und fast immer in der Einbildung krank, welches wegfallen würde, wenn er eine geschäftigere Lebensart wählte.

Sehen Sie, mein Lieber! da haben Sie ein kurzes Bild der mehrsten Personen, mit[132] denen Sie umgehn. Ich habe nur so in Eil die Grundzüge entworfen; Ihre eigene Erfahrung wird die Portraitte schon ausmalen helfen.

Aber es ist wohl Zeit, daß ich diesen Brief schliesse; Er kann für drey gelten. Dagegen erwarten Sie in den ersten acht bis zehn Wochen auch keinen wieder. Ich werde bey dem Anfange unserer Reise schwerlich so viel Muße finden; Sie erhalten ja durch Ihren Herrn Vater immer Nachricht von uns.

Der junge Herr von Hohenau ist wieder nach Göttingen gegangen, woselbst er noch ein Jahr studieren, und dann die ihm zugesicherten hessischen Civil- und Hofdienste in Cassell antreten wird.

Leben Sie, lieber guter Müller! recht wohl und zufrieden. Niemand nimt wärmeren Antheil an Ihrem Glücke, als


Ihr

treu ergebener Freund

Meyer.[133]

Quelle:
Knigge, Adolph Freiherr von: Der Roman meines Lebens, in Briefen herausgegeben. 4 Teile, Teil 4, Riga 1781–1783, S. 109-134.
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