Achtzehnter Brief.

An den Herrn Etatsrath Müller in Coppenhagen.

[154] Urfstädt den 10ten October 1771.


Ich schicke Ihnen, mein lieber Freund! hier einen Brief unsres muntren Weckels an Sie1, den er mir offen eingeschlossen hat. Von dem guten Meyer habe ich nur wenige Zeilen aus Göttingen erhalten, die (der Himmel weiß, warum?) voll böser Laune sind. Er schilt alle Universitäten, sagt: es seyen gelehrte Findelhäuser, wo manches Genie, durch Verwahrlosung und Mangel an guter Nahrung (indem man ihm nur aufgewärmte Wassersuppen reichte) ermordet würde. Wenn er ein großer Herr wäre, meint er, so würde er alle diese Weisheitssinnungen,[154] diese öffentlichen Anstalten verwüsten, würde die Gelehrten bitten, in den Städten sich niederzulassen, und ihnen, ohne Dienste von denselben zu fordern, bequemen Unterhalt reichen. Ihm wäre alsdann nicht bange, ob ein solcher Mann Licht um sich her verbreiten und junge Zöglinge bilden würde. Da hätten wir die Einrichtung der alten philosophischen Schulen, denen wir alle unsre bessern Kenntnisse zu danken hätten, in welchen jeder seinen eigenen kühnen Gang gehen, wo nicht der graduirte Pedant, sondern das schöpferische Genie Epoche machen würde.

Sie sind den 26sten Abends nach Göttingen gekommen, und haben den jungen Hundefeld, mitten unter Büchern, gesund und vergnügt gefunden.

Ich schreibe diese Zeilen in Eil, weil ich Besuch erwarte. Es gehe Ihnen wohl, lieber Freund! Denken Sie zuweilen an


Ihren

Leidthal.

Fußnoten

1 den folgenden neunzehnten.


Quelle:
Knigge, Adolph Freiherr von: Der Roman meines Lebens, in Briefen herausgegeben. 4 Teile, Teil 4, Riga 1781–1783, S. 156.
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